Konferenz
Berlin ist eine Stadt der Widersprüche. Die Wirtschaft wächst und es wird über einen Mangel an Fachkräften und Auszubildenden geklagt. Gleichzeitig hat sich die Langzeitarbeitslosigkeit verfestigt und die soziale Spaltung nimmt zu. Arbeitsmarktpolitik in Berlin muss sich deshalb einer doppelten Herausforderung stellen: Bekämpfung des Fachkräftemangels und der Langzeiterwerbslosigkeit! Unter Rot-Rot wurde auf der Grundlage der Fachkräftestudie Berlin-Brandenburg ein Masterplan Qualifizierung beschlossen. Obwohl die Vorarbeit geleistet ist, geht die weitere Umsetzung des Masterplans durch den neuen Senat aber nur zögerlich voran. Die Bundesregierung hat die Mittel zur Arbeitsförderung zusammengekürzt. Die neue Landesregierung wickelt zusätzlich den Öffentlichen Beschäftigungssektors (ÖBS) ab. Vielen ÖBS-Beschäftigten wurde die berufliche Perspektive genommen, andere verrichten die selbe Arbeit nun für ein deutlich geringeres Gehalt, das sie beim Jobcenter aufstocken müssen. Zahlreiche soziale und kulturelle Projekte in Berlin sind bedroht. Wie der neue Senat mit Langerwerbslosen umgehen möchte und was sich hinter dem geplanten Programm Berlin Arbeit verbirgt, ist immer noch weitgehend offen, aber Mindestlohnbedingungen für Langzeiterwerbslose soll es nicht mehr geben.
Die dringend notwendigen Schritte und Möglichkeiten von Qualifizierungen der Arbeitssuchenden sowie Aus- und Weiterbildung von Nachwuchskräften und Beschäftigten und die Chancen, Anforderungen und Grenzen öffentlich geförderter Beschäftigung in Berlin wollen wir im Rahmen der Konferenz mit Vertreterinnen und Vertretern von Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Gewerkschaften, Trägern, Projekten und Betroffenen diskutieren und aufzeigen.
Zeitplan und Ablauf der Konferenz:
10.00 Uhr
Begrüßung durch die Veranstalter, Dr. Hans Thie, Vorsitzender Helle Panke Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin und Elke Breitenbach, arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion Berlin
10.15 Uhr
Verfestigte Langzeiterwerbslosigkeit und zunehmender Fachkräftemangel die doppelte Herausforderung Berliner Arbeitsmarktpolitik aus wissenschaftlicher Sicht, Inputreferat Dr. Iris Pfeiffer, Prognos AG Berlin
11.00 Uhr
Welche Anforderungen für Qualifizierung ergeben sich aus der Diskussion um den Fachkräftebedarf?, Podiumsdiskussion und Debatte mit Mechthild Kopel, Geschäftsführende Gesellschafterin WERT.ARBEIT GmbH, Michael Lüdtke, Leitung KES-Verbund, Alp Otman, Lehrbeauftragter Alice Salomon-Hochschule Berlin und Birgit Langnitschke, Teamleiterin Beschäftigung Sozialwerk des dfb (Dachverband) e.V.
Moderation: Elke Breitenbach
12.30 Uhr
Mittagspause
13.15 Uhr
Chancen, Anforderungen und Grenzen öffentlich geförderter Beschäftigung Podiumsdiskussion und Debatte mit Michael Haberkorn, Geschäftsführer Berliner Verband für Arbeit und Ausbildung e.V. (bvaa), Karin Hirdina, stellv. Vorsitzende albatros gGmbH, Astrid Landero, Geschäftsführerin Paula Panke Frauenzentrum e.V. und Knut Mildner-Spindler, Bezirksstadtrat für Soziales, Beschäftigung und Bürgerdienste in Friedrichshain-Kreuzberg
Moderation: Katina Schubert
14.45 Uhr
Kaffeepause
15.15 Uhr
Verfestigte Langzeiterwerbslosigkeit und zunehmender Fachkräftemangel die doppelte Herausforderung Berliner Arbeitsmarktpolitik aus politischer Sicht, Podiumsdiskussion und Debatte mit Elke Breitenbach, arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion Berlin, Birgit Monteiro, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Berliner AGH, Oswald Menninger, Geschäftsführer Paritätischer Wohlfahrtsverband Landesverband Berlin e.V., Christian Hossbach, stellv. Vorsitzender DGB Bezirk Berlin-Brandenburg, Moderation: Heidi Knake-Werner, Vorsitzende Volkssolidarität Landesverband Berlin e.V.
Eine Veranstaltung der Hellen Panke in Kooperation mit der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus.
Die Konferenz wurde durch die Senatsverwaltung als Bildungsveranstaltung gemäß §11 Berliner Bildungsurlaubsgesetz anerkannt. Berechtigte haben zur Veranstaltungszeit Anspruch auf bezahlte Freistellung von der Arbeit/Ausbildung. Nähere Informationen erteilt die Helle Panke unter info@helle-panke.de[1] oder 030-47538724.
Leistungsempfänger, die einen Kostennachlass wünschen, melden sich bitte unter felix.lederle@die-linke-berlin.de[2].
Katina Schubert hat im Nachgang eine Konferenzbericht gechrieben:
Die doppelte Herausforderung! Perspektiven für Langzeitarbeitslose schaffen und Fachkräfte für Berlin sichern Katina Schubert
Berlin ist eine Stadt der Widersprüche. Die Wirtschaft wächst und klagt über einen Mangel an Fachkräften und Auszubildenden. Gleichzeitig hat sich die Langzeiterwerbslosigkeit verfestigt. Trotz insgesamt sinkender Arbeitslosenquoten sind es in Berlin immer noch rund 78.000 und die soziale Spaltung nimmt zu. Arbeitsmarktpolitik in Berlin muss sich deshalb einer doppelten Herausforderung stellen: Bekämpfung des Fachkräftemangels und der Langzeiterwerbslosigkeit!
Wie das funktionieren kann, diesen Fragen gingen wir mit Expertinnen und Experten auf einer arbeitsmarktpolitischen Konferenz der Linksfraktion und Hellen Panke nach.
Iris Pfeiffer vom Forschungsinstitut Prognos stellte anhand empirischer Untersuchungen und der gemeinsamen Fachkräftestudie von Berlin und Brandenburg den gespaltenen Arbeitsmarkt in Berlin dar. Danach ist zwar die Langzeiterwerbslosenzahl seit 2008 um 20.000 auf 78.000 gesunken, aber nicht in dem Maße, wie die Erwerbsbeteiligung gestiegen ist. Seit dieser Zeit sind rund 50.000 Menschen mehr in Berlin beschäftigt, und zwar sozialversicherungspflichtig. Viele kommen von außen - junge Leute, die in Zukunftsbranchen arbeiten wie Spieleprogrammierung und vieles ähnliche mehr. Junge gut ausgebildete Menschen sind es denn auch, die in erster Linie am Berliner Aufschwung teilhaben. Ältere dagegen werden zunehmend ausgegrenzt, wenn auch noch weniger als im Bundesdurchschnitt.
Pfeiffer führte aus, dass es in einzelnen Branchen schon 2015 zu einem erheblichen Mangel an Fachkräften kommen kann. Dazu zählen der Forschungsbereich, die Gesundheits- und insgesamt helfenden Berufe und der gesamte Bereich öffentlicher und privater Dienstleistungen.
Ab 2030 wird sich der Fachkräftemangel massiver auswirken, wenn von Seiten der Unternehmen, der Politik und dem gesamten Bildungssektor nicht gegengesteuert wird.
Im ersten Podium gingen denn auch Mechthild Kopel, Geschäftsführende Gesellschafterin von WERT.ARBEIT GmbH, Michael Lüdtke, Leitung des KES-Verbunds, Alp Otman, Lehrbeauftragter an der Alice Salomon-Hochschule Berlin und Birgit Langnitschke, Teamleiterin Beschäftigung beim Sozialwerk des dfb (Dachverband) e.V. der Frage nach Welche Anforderungen für Qualifizierung ergeben sich aus der Diskussion um den Fachkräftebedarf?
Mechthild Kopel betonte, der Masterplan Qualifizierung[3], der noch von der LINKEN im Senat angeschoben wurde, sei beispielhaft dafür, wie durch ein abgestimmtes und konzertiertes Handeln der Sozialpartner und des Bildungsbereichs Ausbildung und Weiterqualifizierung organisiert werden kann. Das muss man immer wieder betonen, sagte sie.
Lüdtke wies darauf hin, dass das deutsche Ausbildungssystem mit zu den durchlässigsten in Europa gehört. Aber es gibt nach wie vor viele Bremsfaktoren, die vor allem mit negativen Zuschreibungen und Stigmatisierungen zu tun haben. Junge Menschen mit Migrationshintergrund beispielsweise werden oftmals a priori als nicht fähig angesehen. Das bewirkt Ausgrenzung im formal durchlässigen Bildungssystem. Oft sind es auch fehlende Informationen über Möglichkeiten der Bildung, Ausbildung, Weiterbildung, die es einzelnen überhaupt den Zugang zu mehr Qualifikation und damit Zugang zum Arbeitsmarkt öffnen.
Von der Politik erwarten alle DiskutantInnen mehr Informationsarbeit. Wir haben einen erheblichen Fachkräftebedarf, aber in vielen Bereichen Akteure wie in den 70 er Jahren, sagte Kopel. Hier müsse sich Politik besser einbringen. Alp Otmans plädierte für eine Reform auch der Berufs- und Qualifizierungsgänge. Wenn Fachkräfte z.B. in Assistenzberufen gesucht werden, dann dürfe der Weg nach oben nicht versperrt werden. Multikulturelle und multifunktionale Kompetenzen müssten ganz anders als bisher Anerkennung finden. Mechthild Kopel forderte zudem, es bedürfe mehr BrückenbauerInnen und Lotsen in der Arbeitsmarktpolitik, die Zugänge auch für diejenigen öffne, die derzeit ausgegrenzt und chancenlos sind.
Birgit Langnitschke fürchtet denn auch, dass in der ganzen Debatte um den Fachkräftemangel die Langzeiterwerbslosen mit Vermittlungsproblemen hinten runter zu fallen. Das sehe man auch an der Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik auf Bundes- und Landesebene.
Die fand auch auf dem folgenden Podium zu Chancen, Anforderungen und Grenzen öffentlich geförderter Beschäftigung einhellige Ablehnung. Seit 1.4.2012, dem Inkrafttreten der Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente stehen für Langzeitarbeitslose nur noch zwei Regelinstrumente zur Verfügung, die sogenannten Ein-Euro-Jobs und die sogenannte FAV Förderung von Arbeitsverhältnissen. Als Modellversuch läuft überdies noch die Bürgerarbeit. Die erfolgreichen Arbeitsgelegenheiten in der Entgeltvariante abzuschaffen, ist widersinnig und dumm, kritisierte Michael Haberkorn, Geschäftsführer des Berliner Verbands für Arbeit und Ausbildung die Bundesregierung. Es gebe kaum mehr Möglichkeiten, Langzeiterwerbslose zu qualifizieren und damit fit für den ersten Arbeitsmarkt zu machen. Knut Mildner-Spindler (LINKE), Stadtrat aus Friedrichshain-Kreuzberg, sekundierte: Die Bundesregierung hat nicht nur wirksame Instrumente zerschlagen, sie hat auch die Mittel so drastisch gekürzt, dass die Ausgrenzung der Langzeiterwerbslosen zementiert wird. Und von Seiten der Landesregierung sei auch nichts besseres zu erwarten. Das angekündigte BerlinArbeit-Programm bleibe im Unkonkreten. Was der Senat tatsächlich erreichen will außer groß angekündigter Job-Wunder bleibt offen. Entweder es gibt keinen Plan oder der Plan ist ganz geheim, vermutete er.
Astrid Landero vom Frauenzentrum Paula Panke kritisierte den rot-schwarzen Senat, dass er den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor (ÖBS) als eine seiner ersten Maßnahmen zerschlagen hat. Wir gehörten 2006 mit unserer Kinderbetreuung außerhalb der Kita-Öffnungszeiten zu den Pionierprojekten im ÖBS und wir gehören auch zu den ersten, die ihr Projekt am 31. Januar 2012 zumachen mussten, sagte sie. Und sie verwies noch einmal darauf, wie wichtig das Projekt nicht nur für die dort beschäftigten Frauen war, sondern auch für die Eltern, die es Anspruch nehmen konnten. Denn auch sie konnten damit ihre Arbeitsplätze sichern. Ein solches Projekt kann nur mit Mitteln der öffentlichen Hand laufen, und es muss solche Projekte geben, wenn wir Ausgrenzung und Altersarmut vermeiden wollen, sagte Astrid Landero. Aber wir müssen weg von den arbeitsmarktpolitischen Instrumente, die ständig wechseln, ohne Sinn und Verstand wir brauchen eine stetige Finanzierung gesellschaftlich notwendiger Arbeit im dritten Sektor zwischen Markt und Staat, zeigte sie aus ihrer praktischen Erfahrung heraus eine Perspektive zur Weiterentwicklung der ÖBS-Idee auf.
Karin Hirdina von albatros, einem gemeinnützigen Träger, der viele wichtige ÖBS-Projekte betrieben hat wie die IntegrationslotsInnen in Reinickendorf und mobidat, die Datenbank für barrierefreie Einrichtungen in Berlin, zog ebenfalls Schlussfolgerungen aus den Erfahrungen mit dem ÖBS: Künftig müssen wir solche Ansätze immer mit der Anschlussperspektive denken und immer mit Qualifikation im Job verbinden.
Und sie versucht mit ihren Projekten zu retten, was zu retten ist. Die IntegrationslotsInnen beispielsweise waren so überzeugt von ihrer Arbeit, dass sie auch bereit sind, für deutlich weniger als die 1300 Euro Lohn im ÖBS zu arbeiten. Hauptsache, sie können weitermachen. Wir müssen uns arrangieren, sagt sie. Weder die Projekte noch die Beschäftigten wehren sich richtig dagegen, dass ihnen mit dem ÖBS eine sinnvolle Perspektive genommen wurde.
Das ist allerdings nicht Paula Pankes Weg. Wir werden uns nicht mehr arrangieren, donnert Astrid Landero. Ich selbst habe 15 Arbeitsmarktinstrumente überlebt, das ist der falsche Weg und konstatierte , dass bereits jetzt etliche kleine Träger sterben werden, weil sie sich unter diesen Bedingungen nicht halten können. Damit verliert Berlin nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch wertvolle soziokulturelle Infrastruktur.
Das Abschlusspodium hatte die schwierige Aufgabe, beide Fragestellungen, die Zukunft der öffentlich geförderten Beschäftigungsförderung und die Bewältigung des Fachkräftemangels zusammenzubinden.
Oswald Menniger vom Paritätischen Wohlfahrtsverband plädierte dafür, Hürden zu senken, damit mehr Leute zu Qualifizierungen kommen. Er sprach sich für mehr Nachqualifizierung und berufsbegleitende Qualifizierungen aus und forderte modulare Angebote, die an den Erfahrungen und Potentialen von Beschäftigten und Arbeitssuchenden ansetzen.
Elke Breitenbach wies darauf hin, dass die Lücke zwischen dem Fachkräftemangel auf der einen und der verfestigten Langzeitarbeitslosigeit auf der anderen Seite erstmal bleiben wird. Die Qualifizierung nehme eine zentrale Funktion ein, die Durchlässigkeit des Bildungs- und Qualifizierungswesens sei wichtig, auch die Modularisierung,
aber dennoch wird es Menschen geben, die trotz Fort- und Weiterbildungen auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance haben. Der ÖBS habe gezeigt, wie viele Erfahrungen und Potentiale, die gut für Gesellschaft sind, bei vielen Erwerbslosen schlummerten. Sie können unserer Gesellschaft ganz viel geben und das zu fairen Bedingungen, nämlich zu einem Tarif-, mindestens aber Mindestlohn, sagte sie. Deshalb brauchen wir beide Wege, die Qualifizierung für den ersten Arbeitsmarkt und den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor.
Birgit Monteiro, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, dass viel mehr Menschen bei entsprechender Qualifikation im ersten Arbeitsmarkt bestehen könnten. So gebe es Projekte, die gezielt Menschen z.B. mit Behinderung qualifizieren. "Wir leben im Kapitalismus. Da wird es immer Arbeitslosigkeit geben, sagte sie und fragte sich, ob die Arbeitsförderung die richtige Antwort sei. Wenn wir richtige und wichtige Arbeit wollen, dann lieber nicht über Arbeitsmarkt-Mittel, sondern über Vergabe und Zuwendungen, so Monteiro. Eine Forderung, mit der sie offene Türen einrennt, mit der sie in der SPD aber alleine sein dürfte.
Christian Hoßbach, stellvertretender Vorsitzender des DGB in Berlin-Brandenburg, forderte über öffentliche Aufgaben zu reden und nicht zu kurz denken. "Der ÖBS in allen Ehren, sagte er. Als Modell war er eine gute Sache, aber brauchen einen vernünftigen Weg für alle, die erwerbslos sind"
Elke Breitenbach erwiderte, diese Forderungen stünden nicht gegeneinander. Der ÖBS sei mit der Zerschlagung durch rot-schwarz vergossene Milch, wenngleich wir aus den Erfahrungen weitere Schlussfolgerungen ziehen müssen. Doch aktuell komme es darauf an, dass die Jobcenter gezielt Potentiale und Qualifikationen abfragen, damit die Leute tatsächlich ihren Wünschen und Erfahrungen entsprechende vernünftige Qualifikationen bekommen, "sonst bleibt alles heiße Luft."
In der Tageszeitung Neues Deutschland erschien dieser Bericht von der Konferenz:
Konservative für den ÖBS gewinnen Auf einer Konferenz der Hellen Panke wurden die Herausforderungen für den Arbeitsmarkt diskutiert Nicolas Sustr»Der Fachkräftemangel kann das Problem der Arbeitslosigkeit nicht lösen, er kann das Problem sogar verschlimmern«, sagt Christian Hoßbach, stellvertretender DGB-Bezirksvorsitzender Berlin Brandenburg. Er ist Teilnehmer der Podiumsdiskussion auf einer vom linksparteinahen Verein Helle Panke in Zusammenarbeit mit der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus veranstalteten Konferenz. »Verfestigte Langzeiterwerbslosigkeit und zunehmender Fachkräftemangel - die doppelte Herausforderung Berliner Arbeitsmarktpolitik aus politischer Sicht« lautet der Titel der Runde, die sich Ende vergangener Woche versammelte.
Neben dem Gewerkschafter sitzen auch Birgit Monteiro, die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, ihr Pendant bei der Linksfraktion, Elke Breitenbach, sowie der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands (DPWV), Landesverband Berlin, Oswald Menninger auf dem Podium.
Elke Breitenbach von der LINKEN hält die Qualifizierung, auch von Erwerbslosen in kleinen Betrieben für »zentral«. Der Stellenzuwachs in der Stadt habe den Berliner Arbeitslosen nichts genützt, »es kamen stattdessen hochqualifizierte Kräfte von außen, um die Stellen zu besetzen«, so Breitenbach. Vor allem fehle es an Informationen zu bereits existierenden Qualifikationsmöglichkeiten.
Oswald Menninger vom DPWV sieht es als problematisch an, dass beispielsweise in den Sozialberufen die Anforderungen immer höher geschraubt wurden. »Wir sollten darüber nachdenken, wie wir die Anforderungen so absenken können, dass auch wieder mehr Menschen diese Hürden meistern können«, sagt er. Damit meine er ausdrücklich keine »Dequalifizierung« von Sozialberufen, jedoch sollte überlegt werden wie arbeitsteilig gearbeitet werden könne, um Langzeitarbeitslosen zunächst einen Einstieg zu ermöglichen. Berufsbegleitende Qualifizierungen seien seiner Erfahrung nach »in der Praxis häufig besser« als theoretische.
Zwar könnten nicht alle Erwerbslosen auf dem ersten Arbeitsmarkt untergebracht werden, sagt Birgit Monteiro von der SPD, »allerdings gibt es Projekte, in denen Behinderte für das Auffüllen von Supermarktregalen oder die Arbeit in Archiven vermittelt werden«. Schwierig sei für viele Betroffene, dass sie nach dem Auslaufen eines Projekts in ein Loch fallen würden, gerade wenn sie schon zwei oder drei Maßnahmen absolviert hätten.
»Wir brauchen öffentliche Arbeitsmaßnahmen, weil diese Menschen das Recht auf einen Erwerb haben und sie der Gesellschaft viel bringen«, sagt Elke Breitenbach. Der von der Berliner LINKEN initiierte und von der aktuellen Rathauskoalition nicht mehr weiter verfolgte Öffentliche Beschäftigungssektor (ÖBS) sei bei weitem nicht perfekt und ausreichend gewesen, wies aber ihrer Meinung nach in die richtige Richtung.
»Wir brauchen weiter einen ÖBS, das ist doch unstrittig«, meint Menninger. Es müsse bundespolitisch gefordert werden, einen sozialpolitisch begründeten Sektor aufzubauen. Schließlich dürften die hohen Kosten der Arbeitslosigkeit in den Rechnungen nicht vergessen werden. Nach Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung lagen diese 2011 bei 56 Milliarden Euro. »Insofern haben sinnvolle Maßnahmen durch Steuereinnahmen und gesparte Sozialausgaben eine hohe Refinanzierungsquote«, so Menninger. Gerade in den neuen Bundesländern mit hoher struktureller Arbeitslosigkeit könnte man »sogar Konservative« für einen bundespolitischen Konsens gewinnen.
Am Ende der Diskussion macht die Moderatorin, die ehemalige Sozialsenatorin und jetzige Vorsitzende der Berliner Volkssolidarität, Heidi Knake-Werner (LINKE) ihrem Ärger noch einmal Luft. »Die Realitätsferne der Politik ist unerträglich«, sagt sie.
Autor: Nicolas Sustr
in: neues deutschland vom 21. Juni 2012, S. 11[4]