Philosophische Gespräche
Die Einsicht, nach der die Perspektive einer wahrhaft verändernden Praxis bis auf weiteres verstellt sei, ist nicht nur schwer erträglich, sondern hat den Handlungsspielraum Kritischer Theorie auch grundsätzlich eingeschränkt. Was ihr in Ermangelung einer sozial-revolutionären Perspektive bleibt, ist die unnachgiebige Kritik der Verhältnisse und die Weitergabe der Denkform, die derartige Kritik ermöglicht, als Beitrag zu einer Erziehung zur Mündigkeit. In diesem Sinn gehört die (universitäre) Lehre zu den wenigen Formen der Praxis, zu denen sich Kritische Theorie stets bekannt hat und bekennen darf. Dass sie es dort, wo sie es mit ihrem Gegenstand – der Überwindung der Klassengesellschaft und also auch ihrer Universitäten – ernst meint, mit Widerständen zu tun bekommt, ist wenig überraschend. Dieser Widerstand allerdings ist kein statisches Phänomen, sondern seinerseits Veränderungen unterworfen, die symptomatischen Charakter haben und über die es sich zu diskutieren lohnt. Zu fragen wäre etwa, wie es unter der verallgemeinerten Bedingung einer postmodernen Erosion der traditionellen Theorie einerseits und der verwaltungstechnologischen Zersprengung der klassischen ‚Bildungswege‘ in ‚Modul-Cluster‘ ‚Komplementäre‘ etc. um die Lehre im Geiste der Emanzipation bestellt ist. Oder was von einem (angeleiteten) Erkenntnisprozess übrigbleibt, wenn der erstmal zum ‚Wissenstransfer‘ geworden ist, und wie sich aufklärerische Enttäuschungsarbeit mit Subjekten betreiben lässt, deren Widerstand gegen den ‚Konservatismus‘ der Kritischen Theorie sich zunehmend aus den Quellen der Moral und nicht der Rationalität speist.
Dr. Christian Voller hat über die Anfänge der Kritischen Theorie promoviert und arbeitet am Institut für die Kultur und Ästhetik digitaler Medien (ICAM) der Leuphana-Universität Lüneburg. Er studierte Kulturwissenschaften und Kulturgeschichte in Frankfurt (Oder) und Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind Kritische Theorie, Technikphilosophie und Reactionary Modernism.