Klassiker linker Wachstumskritik
Für Carolyn Merchant liegt die historische Grundlage der kapitalistischen Entwicklung im dramatischen Wandel, der in der Frühen Neuzeit in Europa stattfand. In ihrem ersten Buch "Der Tod der Natur" von 1980 untersucht sie die Ablösung der organischen Vorstellung über die Natur und den Kosmos durch das mechanische Weltbild zwischen 1500 und 1700. In dieser Zeit tritt an die Stelle der Vorstellung der Natur als nährende Mutter Erde das Bild der aus austauschbaren Teilen zusammengesetzten Maschine. Die mechanistische Weltanschauung erlaubte es, die Natur zu kontrollieren und zu beherrschen und ihre Ressourcen beispielsweise im Bergbau und in den Kolonien hemmungslos auszubeuten.
Während dieser frühkapitalistischen Phase fand in Europa die systematische Verfolgung, Folterung und Ermordung von Frauen statt, die als Hexenverfolgung bekannt ist. Diese machtvollen Frauen, die über Kenntnisse der natürlichen Prozesse von Schwangerschaft und Geburten verfügten, mit Heilkräutern umzugehen wussten und als Hebammen gut ausgebildet und bezahlt wurden, galten als Bedrohung der neuen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Carolyn Merchant sieht in der gewaltvollen Aneignung von weiblichem Wissen und der mechanistischen Sicht auf die Natur, der ihre Geheimnisse wie unter Folter zu entreißen seien, eine Analogie, mit der die kapitalistische und patriarchale Herrschaft zum Durchbruch gelangte.
Referentin: Prof. Christine Bauhardt (Humboldt-Universität zu Berlin, Albrecht Daniel Thaer - Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften, Gender und Globalisierung, hat die Einführung für die Neuausgabe von "Der Tod der Natur"[1] aus dem Jahr 2020 verfasst)
Moderation: Dr. Alexander Amberger