Vielfalt sozialistischen Denkens
Hans-Jürgen Krahl war ein faszinierender Revolutionär: Um 1968 gab es nur wenige, die den Versuch einer »historisch angemessenen Vermittlung von Theorie und Praxis« derart intensiv betrieben haben wie er. Als Vorstandsmitglied des SDS stellte er sich nicht nur entschieden gegen eine autoritäre Wende der Studierendenbewegung, sondern setzte ihr auch ein Modell anti-autoritärer Emanzipation entgegen. Der Lieblingsschüler Adornos debattierte mit den Intellektuellen der so genannten Frankfurter Schule auf Augenhöhe und arbeitete an einer eigenständigen Weiterentwicklung der Kritischen Theorie. Trotzdem – oder deswegen? – richteten sich nach Krahls frühem Tod mit 27 Jahren die verschiedensten Vorwürfe gegen ihn: eines repressiven Leninismus ebenso wie eines antiautoritären Spontaneismus; einer unredlichen Hinwendung der Kritischen Theorie zur Praxis ebenso wie eines praxisfernen Hegelianismus. Diese komplementären Vorwürfe könnte erklären, warum sein Werk heute weitgehend ungelesen ist, obwohl es, so die These der Referent:innen, für die Linke heute wichtig und fruchtbar ist.
Der Vortrag wird die politische Biographie und die Theorie Krahls vorstellen und stützt sich dafür auf den von den Referent:innen 2022 herausgegebenen Sammelband Für Hans-Jürgen Krahl. Beiträge zu seinem antiautoritären Marxismus (Mandelbaum Verlag) sowie ihre fortlaufende Forschungs- und Editionstätigkeit zu Krahl.
Referent:innen
Meike Gerber arbeitet an einer Promotion zur Suizidassistenz. Sie beschäftigt sich mit kritischer Theorie, antiautoritärem Marxismus und Medizinethik.
Julian Volz kuratiert Ausstellungen und schreibt Texte. Er interessiert sich für Kritische Theorie, queere und dekoloniale Theorien sowie deren Schnittmengen.
Emanuel Kapfinger ist Philosoph und politischer Autor. Er arbeitet zu Hegel, Marx, Nietzsche, Kritischer Theorie, Guattari, Kultur- und Ideologiekritik, Faschismustheorie, 1968 und materialistischer Dialektik.
Moderation: Frank Engster