Junge Panke
In den 1990er Jahren erlangte Jugoslawien eine neuartige Bekanntheit. Der kriegerische Zerfall des einst sozialistischen Landes wurde medial begleitet und öffentlich verhandelt. Plötzlich war die Rede vom "Pulverfass Balkan", einem multiethnischen Land, das früher oder später ohnehin zum Scheitern verurteilt gewesen wäre. Doch worum handelte es sich bei diesem Staatsgebilde, das für viele Linke ein Land verkörperte, das Utopien ermöglichen könne?
Nach dem Zweiten Weltkrieg gründete sich das sozialistische Jugoslawien. Es legitimierte sich durch seinen erfolgreichen Partisanenwiderstand gegen die Faschisten. Der Leitspruch der multiethnischen Volksbefreiungsarmee "Bratstvo i jedinstvo" (Brüderlichkeit und Einheit) symbolisierte von nun an die Gleichstellung der verschiedenen Nationen innerhalb Jugoslawiens.
Titos Bruch mit Stalin, der sich bereits 1948 vollzog, ermöglichte einen eigenen Weg zum Sozialismus. Dieser Bruch wurde von Tito vor allem durch die selbständige Befreiung des Landes begründet. Infolgedessen entwickelten jugoslawische Philosophen Ideen zu einem "humanistischen Marxismus", in Abgrenzung zur Sowjetunion. Die Leitgedanken der Philosophen sahen unter anderem die Vergesellschaftung von Betrieben sowie die Auflösung des Staates vor. Darüber hinaus entstand die Politik des "Dritten Wegs", der eine Alternative zwischen dem Warschauer Pakt und der Nato bildete. Inbegriff dieser Politik war die Vorstellung, dass der Bevölkerung Jugoslawiens der Wohlstand des Kapitalismus zur Verfügung stehe und gleichzeitig ein gerechter Staat nach sozialistischem Vorbild geschaffen wird. Inwiefern diese Ziele tatsächlich umgesetzt wurden ist diskutabel. Allerdings genoss die jugoslawische Bevölkerung Freiheiten, die es in anderen sozialistischen Ländern nicht gab, wie etwa eine völlige Reisefreiheit.
Dennoch hielt dieses Staatsgebilde keine fünf Jahrzehnte. Jugoslawien konnte seine Stellung zwischen Ost und West mit dem Fall der Mauer und der Auflösung des Ostblocks nicht mehr aufrecht erhalten. In kriegerischen Auseinandersetzungen während der 1990er Jahre zerfiel das Land stückweise in seine Einzelteile. Aus der sozialistischen Föderation Jugoslawiens sind sieben neue Staaten entstanden. Diese haben nun mit Transformationsprozessen zu kämpfen, woraus sich wiederum neue soziale Bewegungen entwickeln. Gleichzeitig haben die verschiedenen neu entstanden Länder unterschiedliche Stellungen bezüglich der EU: Während beispielsweise Kroatien volles EU-Mitglied ist, verhandelt Serbien konkret über eine Mitgliedschaft. Bosnien hingegen hat bisher lediglich einen Anwärter-Status.
Die Vergangenheit und Gegenwart Jugoslawiens ist damit sehr facettenreich. Das Seminar soll dazu dienen, einen Einblick in die Geschichte Jugoslawiens von der Gegenwart bis zum Zerfall zu bekommen.
Das Seminar dient der Vorbereitung einer Jugendbildungsfahrt der Hellen Panke im April durch den postjugoslawischen Raum von Zagreb über Sarajevo nach Belgrad. Es ist offen für alle Menschen bis 35, die sich für die Geschichte und Gegenwart dieser Region interessieren.
Eine Teilnahme am Seminar ist nicht an eine Teilnahme an der Bildungsreise gebunden, für Teilnehmende an der Reise ist ein Besuch des Seminars allerdings verbindlich.
Zur Vorbereitung auf das Seminar bitten wir darum, den vorab versendeten Reader zu lesen.
Das Seminar und die Bildungsreise finden in Kooperation mit der Initiative SolidarnOST[1] statt.
Seminar mit: Mara Puskarević, Fabian Kunow und Birgit Ziener