Mittwoch, 12. Mai 2010, 19:00, KulturGut Marzahn, Alt Marzahn 23 (Haus 1), 12685 Berlin

Zwischen Gesellschaftskritik, Trenddiagnose und utopischer Konstruktion: das Sozialismuskonzept des Naturwissenschaftlers Robert Havemann

Marzahner Gesellschaftspolitisches Forum

Referent: Prof. Dr. Hubert Laitko
Moderation: Dr. Wolfgang Girnus

"Die heutige Überprüfung seiner Parteiangelegenheit ergab, dass Genosse Robert Havemann zum damaligen Zeitpunkt politisch richtige Einschätzungen und Wertungen der Politik der Partei vorgenommen hat. Er wird posthum rehabilitiert." Mit diesem Beschluss korrigierte die SED am 28. November 1989 nicht einfach nur irgendeine Fehlentscheidung. Er war das späte Eingeständnis der Unterdrückung Andersdenkender, wenn deren Gedanken nicht ins Schema des eigenen ideologischen Dogmas passten.

Aus Anlass des 100. Geburtstages des Physikochemikers und Philosophen Robert Havemann (11. März 1910 - 9. April 1982) referiert im Gesellschaftspolitischen Forum Marzahn der Wissenschaftshistoriker Prof. Dr. Hubert Laitko über das Sozialismuskonzept von Robert Havemann. Er schließt damit an den im März von Dr. Alfred Neubauer gehaltenen Vortrag "Forschen unterm Fallbeil - Der Überlebenskampf des in der NS-Zeit zum Tode verurteilten Physikochemikers Robert Havemann" an.

Nach der Befreiung aus dem Zuchthaus Brandenburg-Görden und dem Ende des Krieges wurde Havemann zunächst die Leitung des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physikalische Chemie und Elektrochemie in Berlin-Dahlem, dann die Leitung einer Forschungsabteilung dort übertragen. Als er sich jedoch am 5. Februar 1950 im "Neuen Deutschland" unter dem Titel "Trumans großer Theaterdonner" gegen die Wasserstoffbombe der USA wandte, entließ ihn der Westberliner Senat fristlos. Noch im selben Jahr wurde er zum Direktor des Instituts für physikalische Chemie an der Humboldt-Universität berufen. Er gehört zu den Mitbegründern des Kulturbundes, für den er auch von 1950 bis 1963 Mitglied der Volkskammer war. Havemann war Antifaschist, Todeskandidat, "Aktivist der ersten Stunde", Stalinist - und wandelte sich nach 1956 zum Rebell und Dissidenten gegen die stalinistisch-ideologische Verknöcherung des Gesellschaftssystems der DDR, in der er schließlich zum "Staatsfeind" erklärt wurde. Als Havemann im September 1962 auf einer Leipziger Konferenz erklärte: "Mit der materialistischen Dialektik wird das Knechtschaftsverhältnis zwischen Wissenschaft und Philosophie aufgehoben. Weder hat die Wissenschaft die Aufgabe, die Sätze der Philosophie zu bestätigen, noch ist die Philosophie der geistige und ideologische Wächter über die Irrungen und Wirrungen der Wissenschaft", war das für die SED-Oberen ein Angriff auf ihre ideologischen Grundfesten: den Marxismus-Leninismus als theoretische Grundlage der Partei und ihres Führungsanspruchs. Es folgten Ausschluss aus der SED, Entzug des Lehrauftrags, Diffamierung, Ausgrenzung, Isolierung, Hausarrest. Robert Havemann blieb bei alledem er selbst: Naturwissenschaftler und Sozialismustheoretiker, Kommunist und demokratischer Sozialist - und das war für ihn eine Einheit. Die vollständige Trennung von jeder Möglichkeit, seinen Beruf als Physikochemiker in Forschung und Lehre auszuüben, veranlasste Havemann ab 1965/66, seine intellektuelle Energie zum großen Teil auf die kritische Analyse der ihn umgebenden gesellschaftlichen Realität der DDR und den Entwurf einer Alternative zu der heute als "Realsozialismus" bezeichneten Gesellschaftsform zu konzentrieren. In den 1970er Jahren wurden seine Überlegungen nachdrücklich von den globalökologischen Fragestellungen des unter dem Titel "Die Grenzen des Wachstums" publizierten ersten Berichtes an den Club of Rome beeinflusst. Auch nach seiner vollständigen Ausgrenzung aus dem öffentlichen Leben der DDR kam für Havemann nur eine sozialistische Alternative in Frage; die Zukunftsfähigkeit des Kapitalismus bestritt er aus ähnlich prinzipiellen Gründen wie die des "Realsozialismus". Eine relativ dichte positive Darstellung seines Konzepts findet man in seiner späten Schrift "Morgen. Die Industriegesellschaft am Scheideweg" (1980). Sie hat aber nirgends in seinen Texten eine in sich geschlossene, theorieartige Ausgestaltung erfahren; der Gesamtzusammenhang seines Gedankengebäudes muss aus den in zahlreichen Texten verstreuten einschlägigen Bemerkungen rekonstruiert werden.

Zur vorbereitenden Lektüre empfohlen - bei "Helle Panke" erschienen:
Peter Morris-Keitel
: Die ökologische Katastrophe abwenden! Zwei Beiträge: - Klimakatastrophe in der Gegenwartsliteratur und Havemanns Konzept eines Ökosozialismus, Heft 68, Pankower Vorträge
Marko Ferst: Die Ideen für einen "Berliner Frühling" in der DDR. Die sozialen und ökologischen Reformkonzeptionen von Robert Havemann und Rudolf Bahro. (hefte zur ddr-geschichte 91). Helle Panke: Berlin 2005.

Prof. Dr. sc. Hubert Laitko, Jg. 1935, Philosoph und Wissenschaftshistoriker. Bekannt durch Publikationen zu philosophischen Fragen der Naturwissenschaften und Institutionalgeschichte der Wissenschaft im 19. und 20. Jh. Er ist Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin (1994) und Lehrbeauftragter für Geschichte der Naturwissenschaft an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus.

Publikationen von Prof. Laitko zum Thema:
Robert Havemann: Warum ich Stalinist war und Anti-Stalinist wurde. Texte eines Unbequemen. Hrsg. von Dieter Hoffmann und Hubert Laitko. Berlin 1990.
Robert Havemann - Stalinismuskritik und Sozialismusbild. Berlin 1992, 49 Seiten. (= controvers. Diskussionsangebot der PDS)
Robert Havemann. Ein nichtkonformer Marxist in Deutschland. (gemeinsam mit Dieter Hoffmann) In: Ketzer im Kommunismus - Alternativen zum Stalinismus. Hrsg. v. Th. Bergmann u. M. Keßler. Mainz: 1993. S. 320-338.
Robert Havemann: Der Weg in die Dissidenz (1961 - 1965). In: Berlinische Monatsschrift 10 (2001) 6, S. 56-66.
Robert Havemann: Die Zeit der Isolation (1965 - 1982). In: Berlinische Monatsschrift 10 (2001) 7, S. 55-67.

Lutz Schuchert schrieb in jot w.d. 8/2010, S. 12, einen Beitrag unter dem Titel"Er wollte den "richtigen" Sozialismus. Vortrag im gesellschaftspolitischen Forum Marzahn zum Gedenken an Robert Havemann. Anlässlich des 100. Geburtstages des Physikochemikers und Philosophen Robert Havemann referierte im Gesellschaftspolitischen Forum Marzahn der Wissenschaftshistoriker Prof. Hubert Laitko über den streitbaren Kommunisten."

Kosten: 1,50 Euro

Wo?

KulturGut Marzahn
Alt Marzahn 23 (Haus 1)
12685 Berlin