Mittwoch, 26. Januar 2011, 18:00 bis 21:00, Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, Am Neuen Markt 8, 14467 Potsdam

Das Amt und die Vergangenheit

Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und der Bundesrepublik

Seit der Veröffentlichung Ende Oktober 2010 schlägt der Abschlussbericht der Historikerkommission zur Beteiligung des Auswärtigen Amts an der nationalsozialistischen Gewalt- und Vernichtungspolitik beachtliche Wellen. Einen der vier Autoren und Herausgeber, Prof. Moshe Zimmermann, konnte die RLS für eine Lesung am 26. Januar 2011 in Potsdam gewinnen.

Die Studie zum Auswärtigen Amt räumt endgültig mit dem Mythos des AA als Hort des Widerstands auf und belegt die Beteiligung deutscher Diplomaten an den Verbrechen des NS-Regimes. Die Fortsetzung politischer Karrieren in der Bundesrepublik verdeutlicht die personelle Kontinuität zwischen NS-System und früher Bundesrepublik, die von den Autoren der Studie herausgearbeitet wird.

Referent: Prof. Dr. Moshe ZimmermannModeration: Dr. Gerd Wiegel

Gemeinsame Veranstaltung mit der RLS und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg e.V.

In den Potsdamer Neueste Nachrichten vom 26. Januar 2011, S. 22, führte Dirk Becker ein Gespräch mit Moishe Zimmermann über die Kritik an seinem Buch unter dem Titel "Das ist eine Art Kreuzzug".

Arnold Schölzel schrieb in der Jungen Welt, 28.01.2011, S. 12:

Endlösungsplaner. Eine Veranstaltung in Potsdam mit Moshe Zimmermann, dem Koautor des Buches »Das Amt«

Arnold Schölzel

So ganz einig sind sich die Kritiker nicht: Die Ende Oktober 2010 vorgelegte Studie über die Mitwirkung des Auswärtigen Amtes an den Verbrechen des Naziregimes (Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes, Moshe Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik. Blessing Verlag) enthalte nichts Neues, monieren sie, empören sich über das angeblich so Alte aber maßlos. Für ihren Furor stehen ihnen die Seiten der großen überregionalen deutschen Zeitungen zur Verfügung. Neu am Buch seien offenbar nur die darin zweifellos enthaltenen Fehler, spottete Moshe Zimmermann, Historiker an der Hebräischen Universität Tel Aviv, am Mittwoch auf einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftungen Berlin (»Helle Panke«) und Brandenburg in Potsdam. Die Mehrheit der etwa 130 Zuhörer im vollbesetzten Saal des Hauses der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte hatte er zu diesem Zeitpunkt bereits auf seiner Seite, nicht zuletzt durch seine gelassen-ironische Haltung (»Das Buch gehört nicht zu den Tabus, nur wirken zwei der Autoren wie rote Tücher. Ich selbst bin aber ein Tabu.«)

Der Historiker hatte sich in seinem Referat auf eine zentrale Frage an die Autoren des Bandes konzentriert: Ist die Mitwirkung der Diplomaten des »Dritten Reiches« an der Judenvernichtung belegbar? Zimmermann hatte einen konkreten Anlaß: Kurz nach Präsentation der Arbeit erhielten die Autoren einen Brief von Rudolf von Ribbentrop, Sohn des in Nürnberg gehenkten Nazi-Außenministers Joachim von Ribbentrop. In dem Schreiben wurde aus »Das Amt« zitiert: »Das Schicksal der deutschen Juden wurde am 17. September 1941 besiegelt: An diesem Tag fand ein Treffen Hitlers mit Ribbentrop statt. Dem Treffen unmittelbar voraus ging Hitlers Anordnung, die soeben durch den Judenstern gekennzeichneten deutschen Juden in den Osten zu deportieren.« Der Briefschreiber verlangte: Da über das Gespräch zwischen Reichskanzler und Minister kein Protokoll existiere, enthalte die Passage eine Deutung, die zu streichen sei. Denn: »Damit schieben Sie (also die Mitglieder der Kommission) die Verantwortung für den Holocaust Hitler und Ribbentrop persönlich zu.« Zimmermann wies in Potsdam darauf hin, daß dies eine allgemeine Tendenz in der Debatte zum Buch sei. Seine Antwort: Natürlich müsse der Historiker »konstruieren«. Im September 1941 war es nach Zimmermanns Worten »noch nicht soweit«, d.h. für eine Entscheidung über das, was als »Endlösung der Judenfrage« heute im allgemeinen Bewußtsein ist. Es habe noch die Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942 gegeben. Die Vokabel »Endlösung« finde sich aber bereits 1935, als die Nürnberger Gesetze verabschiedet wurden.

Sie tauche im Umfeld des Progroms vom 9. November 1938 auf, in Schriftwechseln zwischen Nazigrößen -erst am Ende habe das Wort systematische Vernichtung bedeutet. An diesem Prozeß, so Zimmermann, »war das Auswärtige Amt im Sinne von Planung stets beteiligt«: z.B. 1937 mit einer Studie zur deutschen Haltung gegenüber den britischen Plänen, in Palästina einen jüdischen und einen arabischen Staat zu errichten, oder nach dem November 1938 mit verstärkten Überlegungen, Juden aus Deutschland generell zu entfernen.

Stets habe das Außenamt über »die nächste Stufe« der »Endlösung«nachgedacht. Im September 1941 sei ratifiziert worden, was vorgedacht war. Nach dem Beginn der systematischen Judenvernichtung in Osteuropa habe das Außenamt, genauer Botschafter Ernst von Weizsäcker, sich u.a. darum gekümmert, daß die Beziehungen etwa zum Vatikan nicht durch den Abtransport der für die »Liquidierung« bestimmten Juden Roms litten. Von Weizsäcker vermerkte, durch das Schweigen von Pius XII. sei so»eine unangenehme Frage liquidiert« worden. Noch im April 1944 befaßte sich eine Tagung des Amtes im Riesengebirge mit weltweiten Aspekten der »Judenfrage«. Nich zu bezweifeln sei: »Das Auswärtige Amt war von Anfang bis Ende beteiligt.« Gleiches gelte für die faschistische Sklaven- und Zwangsarbeit oder für den Kunstraub aus besetzten Ländern.

Warum - angesichts der »bekannten« Tatsachen - die abwiegelnde Aufregung im bundesdeutschen Establishment noch 2011? Zimmermann: »Es herrschte nicht einfach Ignoranz, es war gezielte Arbeit.« Die Arbeit des US-Historikers Christopher Browning »Endlösung und Auswärtiges Amt« von 1978 sei nie ins Deutsche übersetzt worden. Warum wohl?

Wilfried Neiße schrieb[1] im ND vom 29.01.2011 ebenfalls einen Artikel zur Veranstaltung:

Als der »Unrechtsstaat« einmal Recht hatte. Buchpräsentation von »Das Amt« bestätigt die DDR-Positionen posthum.

Wilfried Neiße

Es habe nach 1945 mehr ehemalige NSDAP-Mitglieder im Auswärtigen Amt gegeben als davor; da waren weniger NSDAP-Mitglieder im Auswärtigen Amt beschäftigt, berichtete Moshe Zimmermann. Der Professor von der Hebräischen Universität Jerusalem gehört zu den vier Autoren von »Das Amt«. Er präsentierte das Buch jetzt bei einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg in Potsdam.

»Das Amt« behandelt das Verhalten deutscher Diplomaten im Dritten Reich und ihre Nachkriegskarrieren in der BRD, wo sie hohe Ehrungen und nicht selten auch das Bundesverdienstkreuz bekamen. Rund 130 Besucher kamen zu der Veranstaltung in das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte. Nun sind die Grundthesen, dass sich der Staat Adenauers überreichlich beim Nazi-Führungspersonal bediente und dieses Personal sich zuvor ruchlosester Verbrechen schuldig gemacht hatte, nicht neu. Das ist in dem maßlos angefeindeten »Braunbuch« hinreichend belegt, das 1965 vom Nationalrat der Nationalen Front der DDR herausgegeben wurde.

Zimmermann war mehr der Legendenbildung von heute auf der Spur, in der das Auswärtige Amt Hitlers als »Hort des passiven Widerstands« erstrahlt. Und dessen Mitarbeiter – wenn überhaupt – »Mitläufer, besser aber Widerständler« genannt werden sollten, wie er ironisch anmerkte.

Sprachlos nahm Zimmermanns Publikum seinen Nachweis zur Kenntnis, wie die Vertreter der großbürgerlichen und adligen Elite den Völkermord schon in den Blick nahmen und diesbezügliche Vorbereitungen anmahnten und auch trafen, als nicht einmal die Naziführung ihn beschlossen hatte.

Es bestätigt sich keineswegs die heute oft gehörte Meinung vieler Politiker und Publizisten, es habe einen Abstand zwischen Deutschlands traditioneller Machtelite und der Nazibewegung gegeben. Den gab es nicht. Es gab Regionen, in denen waren die Deutschnationalen als die konservativen Kräfte von damals bei den Juden gefürchteter als die Nazis, erklärte Zimmermann. Die monarchistisch-militaristisch gestimmte politische Rechte habe in Hitler jemanden gesehen, der ihnen die »Drecksarbeit« abnahm.

Paradebeispiel ist hier das Auswärtige Amt, das »von Anfang bis Ende an allen Untaten beteiligt war«, wie Zimmermann sagte. Ihm und den anderen Autoren gehe es nicht darum, im Publikum Schamgefühle zu erzeugen, unterstrich er. Und bei der Frage nach der Schuld sei auch einzubeziehen, dass die Westmächte die Entnazifizierung allenfalls inkonsequent betrieben.

Bezeichnend sind die Reaktionen auf das Buch. Neben Zustimmung sei eine völlig undifferenzierte, große Abwehrhaltung wahrzunehmen. Es gab sogar den Vorwurf, es handle sich bei »Das Amt« um eine Täuschung, das Buch sei »fehlerhaft und tendenziös«.

Dass sich die heutigen Forschungsergebnisse der Autoren von »Das Amt« mit den Erkenntnissen des »Braunbuchs« aus dem Jahre 1965 decken, verleiht den aktuellen Angriffen einen besonderen Schwung. Zimmermann bemerkte dazu schmunzelnd: »Wir sind Geisel der DDR.«

Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg e.V.

Links:

  1. http://www.neues-deutschland.de/artikel/189632.als-der-unrechtsstaat-einmal-recht-hatte.html
Kosten: 1,50 Euro

Wo?

Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte
Am Neuen Markt 8
14467 Potsdam