Von: Jörg Goldberg, Ulrich Schachtschneider, Klaus Steinitz
Reihe "Pankower Vorträge", Heft 168, 2012, 60 S., A5, 3 Euro zzgl. Versand
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Inhalt
Vorbemerkung
Ulrich Schachtschneider
Nachhaltige Entwicklung = grüner Kapitalismus? Die Linke im Post-Rio-Diskurs
Jörg Goldberg
Umbau im globalen Süden und die Verantwortung des Nordens
Klaus Steinitz
Umweltkrise, Globalisierung und Probleme der Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert Dokumentation Von Rio 1992 bis Rio 2012
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Im Januar 2012 fand eine Veranstaltung der "Hellen Panke" zum Thema: "Umbau im globalen Süden – ökologisch und sozial" statt. Das vorliegende Heft enthält Beiträge zu dieser Thematik und die Dokumentation Von Rio 1992 bis Rio 2012. Wir bedanken uns bei den Autoren für die Möglichkeit zur Veröffentlichung und bei dem Projektleiter Prof. Dr. Klaus Steinitz für die Mitwirkung an der Vorbereitung des Heftes.
LESEPROBE
VorbemerkungI
m Januar 2012 fand eine Abendveranstaltung der "Hellen Panke" zum Thema: "Umbau im globalen Süden – ökologisch und sozial" statt. Im vorliegenden Heft sind Beiträge zu dieser Problematik enthalten, insbesondere zu den globalen Aspekten des für die langfristige Sicherung eines menschenwürdigen Lebens notwendigen sozial-ökologischen Umbaus in den Ländern des "Südens", zu der besonderen Verantwortung, die die Industrieländer hierfür tragen, zu den Widersprüchen und Interessenkonflikten, die bei der Lösung der Umwelt- und Klimakrise auftreten, sowie zu den mit der Umweltproblematik verbundenen neuen Fragen sozialer Gerechtigkeit auf nationaler und auf international-globaler Ebene. Darüber hinaus werden verschiedene Konzepte zur nachhaltigen Lösung der komplexen und widersprüchlichen Umweltprobleme, insbesondere die Vorstellungen eines "Green New Deal" und eines "grünen Kapitalismus", kritisch analysiert und Vorstellungen für linke Konzepte auf diesem Gebiet entwickelt.
Die Publikation erfolgt in engem Zusammenhang mit den Diskussionen und Auseinandersetzungen bei der Vorbereitung der UN-Konferenz für nachhaltige Entwicklung in Rio de Janeiro im Juni 2012, 20 Jahre nach der ersten UN-Nachhaltig-keitskonferenz am selben Ort. Über einige Aspekte von Fortschritten, aber vor allem von Defiziten und Schwächen globaler Anstrengungen auf dem Gebiet von Umwelt und Klima informiert die in das Heft aufgenommene Dokumentation "Rio 1992 bis Rio 2012".
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Ulrich Schachtschneider
Nachhaltige Entwicklung = grüner Kapitalismus?
Die Linke im Post-Rio-Diskurs
Nachhaltige Entwicklung: Ein Leitbild betritt die Weltbühne
Mit der Konferenz der Vereinten Nationen in Rio 1992 erklomm ein neues Leitbild die große Bühne der Weltgeschichte: "Nachhaltige Entwicklung". In der weltpolitischen Debatte tauchte "Sustainable Development" bzw. "nachhaltige Entwicklung" allerdings schon etwas früher, erstmals in der 1980 veröffentlichen World Conservation Strategy (WCS) der IUCN[(1), auf, die globale Umweltzerstörungen einerseits und grundlegende Entwicklungsprobleme andererseits thematisiert. Vorher hatte schon 1972 die UN Conference on Human Environment erstmals auf internationaler Ebene Umwelt- und Entwicklungsfragen gemeinsam gestellt, angeregt nicht zuletzt durch den Bericht des Club of Rome "Die Grenzen des Wachstums", der erstmals eine breitere Weltöffentlichkeit vor der Unmöglichkeit eines "Weiter So" des Umweltverbrauchs warnte. Ein weiterer Vorläufer war das Konzept des "Ecodevelopment" der UNEP[(2) 1973, welches Entwicklung als "Nutzung aller regionalspezifischen Potentiale bei Erhaltung der ökologischen Systeme und Befriedigung der Grundbedürfnisse aller Menschen" verstand. Auf einer Tagung von UNEP und UNCTAD[(3) in Cocoyok 1974 kam der umweltschädigende Konsum im Norden mit ins Visier: In der Schlusserklärung werden neben dem "Fehlzustand" der Unterentwicklung auch "zu sehr auf Konsum ausgerichtete Arten von Entwicklung" angesprochen, die die äußeren Grenzen der Natur schädigten. Das Forschungsprogramm der Dag-Hammerskjöld-Stiftung Mitte der 1970er Jahre vertiefte diesen Aspekt und stellte die Frage nach der Kompatibilität von der Erfüllung der Grundbedürfnisse der Menschen und der Tragfähigkeit der Ökosysteme. Der 1975 von der Stiftung vorgelegte Bericht mit dem Titel "What now – Another Development?" hob insbesondere die sozialen Ungleichgewichte als Ursache von Umweltzerstörungen hervor.
Während diese Ansätze eher im Schatten der Weltpolitik verblieben, fand der sogenannte Brundtland-Bericht(4) (1987) der "Weltkommission für Umwelt und Entwicklung" (WCED) größere Beachtung. In ihm heißt es: "Nachhaltige Entwicklung ist Entwicklung, die den Bedürfnissen heutiger Generationen Rechnung trägt, ohne die Möglichkeiten zukünftiger Generationen, ihren eigenen Bedürfnissen Rechnung zu tragen, zu behindern." Nachhaltige Entwicklung zielte dort auf die Integration von Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft ab. Sie sei ein "Prozess ständigen Wandels, dessen Ziel darin besteht, die Ausbeutung der Ressourcen, den Investitionsfluss, die Ausrichtung der technologischen Entwicklung und die institutionellen Veränderungen mit künftigen und gegenwärtigen Bedürfnissen in Einklang zu bringen."
Was in sozialen Bewegungen, kritischer Wissenschaft und Politik schon länger diskutiert und gefordert wurde, nämlich die integrative Betrachtung von globalen Umweltproblemen, Armut, Entwicklung und Konsummustern, wurde mit der Konferenz über Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen (UNCED) im Jahre 1992 in Rio endgültig welt-offiziell. "Nachhaltige Entwicklung" bzw. "Nachhaltigkeit" wurde zum allgemein anerkannten Ziel, dem sich 150 Regierungen in der Abschlusserklärung der Agenda 21 verpflichteten.
Danach explodierte die Debatte darüber, wie Nachhaltigkeit nun zu definieren, abzuleiten, zu konkretisieren, umzusetzen sei. Anerkannter Ausgangspunkt war lediglich das formale Ziel inter- und intragenerativer Gerechtigkeit. Um dieses Ziel überhaupt erreichen zu können, wurden folgende Grundregeln der Naturnutzung übereinstimmend für notwendig gehalten:
· Die Rate der Schadstoffemissionen darf die Kapazität der Schadstoffabsorption der Umwelt nicht übersteigen.
· Die Nutzungsrate erschöpflicher Ressourcen darf die Rate des Aufbaus sich regenerierender Ressourcen nicht überschreiten.
· Die Nutzungsrate sich erneuernder Ressourcen darf deren Regenerationsrate nicht übersteigen.
· Das Zeitmaß anthropogener Eingriffe muss in ausgewogenem Verhältnis zu der Zeit stehen, die die Umwelt zur selbst stabilisierenden Reaktion benötigt.
Dies sind allgemeine Kriterien der Naturbehandlung, die eine dauerhafte Naturnutzung auf einem zivilisatorisch anspruchsvollen Niveau und damit intergenerative Gerechtigkeit überhaupt möglich werden lassen. Über die Ausformung des intergenerativen, vor allem aber des intragenerativen Gerechtigkeitsanspruchs, des "gesellschaftlich Wünschbaren", ist damit noch nichts gesagt. Innerhalb dieser basalen Naturnutzungsregeln sind verschiedenste Formen des gesellschaftlichen Naturverhältnisses möglich. Entsprechend haben sich unterschiedliche Konzepte für gesellschaftliche Wege aus der ökologischen Krise im Diskurs nach Rio herausgebildet.
Dass es auf einer derartig unbestimmten Basis keine konsensuale Operatio-nalisierung des Konzepts geben konnte, sollte sich eigentlich von selbst verstehen, obwohl es immer wieder beklagt und eingefordert wurde. Allenfalls der Vorrang absoluter Armutsbekämpfung war im Anschluss an Rio konsensfähig. Damit war die Gemeinsamkeit der gesellschaftsstrukturellen Vorstellungen über nachhaltige Entwicklung erschöpft, auch wenn sich natürlich eine hegemoniale Interpretation von Nachhaltigkeit in unserer seit 1989 kapitalistisch dominierten Welt herausgebildet hat.
[1] IUCN = International Union for the Conservation of Nature.
[2] UNEP = United Nations Environmental Program.
[3] UNCTAD = United Nations Conference on Trade and Development.
[4] Die von der UN eingesetzte "Weltkommission für Umwelt und Entwicklung" legte 1987 unter Federführung der norwegischen Ministerpräsidentin Brundtland den Report "Our common future" vor, der in der Folge als Brundtland-Bericht bezeichnet wurde.