Von: Steffen Lehndorff und Athanasios Karathanassis
Reihe "Pankower Vorträge", Heft 179, 2., überarbeitete Auflage 2015, 44 S., A5, 3 Euro plus Versand
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In Kooperation mit dem Institut für Sozialtheorie Bochum lud die Helle Panke am 5. Dezember 2012 zu einer Veranstaltung zum Thema Krise als Normalzustand?! Über Scheitern und Triumph des Neoliberalismus ein. Zum Thema referierten Dr. Athanasios Karathanassis und Dr. Steffen Lehndorff. Wir bedanken uns bei den Autoren für die Möglichkeit, die erweiterte Fassung ihrer Vorträge hiermit dem interessierten Leserkreis vorstellen zu können.
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Autoren:
Steffen Lehndorff
Dr., Volkswirt und Arbeitsmarktforscher, mehrere Jahre Abteilungsleiter Arbeitszeit und Arbeitsorganisation des Instituts Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen, Mitglied der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Mitautor und Herausgeber des Buchs Spaltende Integration. Der Triumph gescheiterter Ideen in Europa revisited. Zehn Länderstudien.
Athanasios Karathanassis
Dr., Politik- und Sozialwissenschaftler, Lehrbeauftragter am Institut für Soziologie an der Leibniz Universität Hannover sowie am sozialwissenschaftlichen Institut der Universität Hildesheim, Autor des Buchs Kapitalistische Naturverhältnisse. Ursachen von Naturzerstörungen Begründungen einer Postwachstumsökonomie.
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IINHALT
Vorbemerkung von Klaus Steinitz
Steffen Lehndorff
Verschärfung des Neoliberalismus mit neuer Begründung: Die deutsche Politik vertieft die Krise Europas
1. Fiskaldiktatur als Verwirklichung der marktkonformen Demokratie
2. Das deutsche Geschäftsmodell verursacht einen Reformstau
3. Herausforderungen
Athanasios Karathanassis
Krisen im Kapitalismus: Grundlagen, Zusammenhänge, Ursachen
Ein Problemaufriss
1. Was sind Krisen?
2. Entwicklungszusammenhänge ökonomischer und politischer Prozesse - Bedingungen von Krisen
3. Krisenkategorisierungen und strukturelle Lösungsansätze
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LESEPROBE
Steffen Lehndorff
Verschärfung des Neoliberalismus mit neuer Begründung: Die deutsche Politik vertieft die Krise Europas
Zwar steht im Wirtschaftsteil der Zeitungen, die akute Schuldenkrise sei entschärft und die Reformen zeigten erste Wirkungen. In der Eurokrise sei Licht am Ende des Tunnels sichtbar. Doch der Tunnel wird eher länger. Auch sog. Kern-Länder der Eurozone wie Finnland und die Niederlande befinden sich seit längerem in einer erneuten Rezession, und wo es in Peripherie-Ländern wieder Wachstum gibt, ist keines der Probleme, die diese Länder in die Krise geführt haben, angepackt oder gar gelöst worden. Griechenland befindet sich in einer tiefen wirtschaftlichen Depression, die durch die Auflagen des dritten Memorandums voraussichtlich eher noch verlängert wird. Die Politik fortgesetzter und einschneidender Ausgabenkürzungen blockiert dabei nicht alleine den Weg zu wirtschaftlicher Erholung. Was ebenso besorgniserregend ist: Sie versperrt die Sicht auf die schweren Fehler, die in den Jahren vor der Krise gemacht wurden. Diese Fehler müssen aber verstanden werden, wenn der dringend erforderliche Politikwechsel in Europa eingeleitet werden soll. Und dies gilt nicht allein für die sogenannten Krisenländer, sondern ebenso für die vermeintlich gesunden Volkswirtschaften allen voran Deutschland.
Im Folgenden charakterisiere ich zunächst das Austeritätsregime in der EU, das wesentlich auf Betreiben der deutschen Regierung errichtet worden ist. Daran anschließend analysiere ich das Geschäftsmodell des deutschen Kapitalismus, das hinter dieser Politik steht, und seine Symbiose mit dem der Schuldensünder. Abschließend skizziere ich, weshalb die Entwicklung einer Alternative zur gegenwärtigen Krisenpolitik eine äußerst komplexe Herausforderung ist, die weit über eine wirtschaftspolitische Kurskorrektur hinausgeht.
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Athanasios Karathanassis
Krisen im Kapitalismus: Grundlagen, Zusammenhänge, Ursachen
Ein Problemaufriss
Das Thema Krisen nimmt seit einigen Jahren in öffentlichen Diskursen und insbesondere in den Massenmedien einen festen Platz ein. (Zu) oft wird etwas als Krise bezeichnet, ohne das klar wird, was genau Krisen sind. Gleichzeitig werden in Bezug auf Krisen drastische Lösungsmaßnahmen von politischen und ökonomischen EntscheidungsträgerInnen eingefordert und z.T. auch umgesetzt. Die Folgen von Krisen sowie einige ihrer Lösungsversuche werden zwar immer offensichtlicher, ihre Hintergründe bzw. Ursachen bleiben aber oftmals unterbelichtet; und auch durch den inflationären und teils nebulösen Gebrauch des Krisenbegriffs wird ideologischen bzw. propagandistischen Missbräuchen ein fruchtbarer Nährboden geliefert.
So stellen sich nicht nur Fragen, nach unterschiedlichen Krisenverständnissen und in welchen Interessen Krisen gelöst werden (sollen); die Bestimmung des Verhältnisses von Krise und Normalität sowie die Analyse von Zusammenhängen und Hintergründen von Krisen (und Scheinkrisen) bedürfen wissenschaftlicher Gesellschaftskritik. Eine Klärung des Begriffs und vor allem der Ursachen von Krisen sind m.E. notwendige Voraussetzungen, um nachhaltig emanzipatorische Auswege zu erkennen.
Im Folgenden wird auf drei Stufen anhand einer politisch-ökonomisch begründeten Strukturanalyse kapitalistischer Gesellschaften sowie einiger signifikanter Beispiele von Krisen ein Ansatz zur Aufschlüsselung der Krisenproblematik versucht:[1]
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[1] Hier werden zwar verschiedene Krisenaspekte zusammengedacht sowie theoretisiert; der vorliegende Text ist aber weniger ein ausgearbeiteter krisentheoretischer Beitrag als eine Rahmung des Raumes, in dem der Krisenbegriff problematisiert wird und in dem gesellschaftliche Krisenzusammenhänge strukturell und historisch begründet werden.