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Samir Amins Projekt eines langen Weges zum globalen Sozialismus (Ausgabe 13)

Vielfalt sozialistischen Denkens

Von: Joachim Wilke

Samir Amins Projekt eines langen Weges zum globalen Sozialismus (Ausgabe 13)

 

Preis pro Heft: 4 Euro plus Versand

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INHALT

1. Begegnungen

2. Biographisches

3. Ansichten

4. Aussichten

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LESEPROBE

Samir Amin blickt als Ökonom auf das Weltganze, auf dessen historische Herkunft wie auf seine möglichen Zukünfte. Im Süden der Welt beheimatet wie die allermeisten Bewohner unseres Planeten, wirbt der unorthodoxe Marxist Amin für die Globalisierung der Widerstände und Kämpfe in Nord und Süd, Ost und West gegen den heutigen Raubtierkapitalismus, den er als senil und daher um so gefährlicher einschätzt. In diesem Sinn begründete und leitet er das „Weltforum für Alternativen“, einen Kern der jetzt verbreiteten Bewegung der Sozialforen.

So ist er oft schwer zu erreichen. Oft frage ich mich: Wo in aller Welt agiert er gerade? Und: Werden deutsche Progressisten bald eher Amin studieren als den Slang der dominanten Ideologie? Es könnte Sackgassen ersparen.

Das ist mein Urteil. Es macht mich seit den ersten 1990er Jahren hier etwas zum Außenseiter. Ehrlich gesagt: Wer wie ich 76 Jahre gelebt und geirrt hat, als 16jähriger Kanonier noch Schrumpfdeutschland an der Oderfront verteidigte und danach den Anlauf zu einem anderen, sauberen Deutschland schon in einer „entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ angelangt sah, der mag auf baldige Erlösung aus jetzigen Übeln hoffen. Ich nicht mehr. Amin lehrte mich, auf die lange Frist zu setzen, doch auch gewärtig zu sein, dass Linken wieder ein ruiniertes Gebiet zufällt, zum Sanieren. Werden sie dann die globalen Solidaritätspotentiale nutzen? Oder sieht die andere Seite hämisch zu, wie sie scheitern, weil sie zu befangen agieren? In dieser Zwiefalt halte ich mich um so enger an Samir Amin, der orientalische Geduld mit wachem Sinn für reale Chancen aktuellen Intervenierens verknüpft. Daher meine Achtung für den um drei Jahre Jüngeren. Ihnen, liebe Gäste, möchte ich diesen Respekt in Abschnitten vermitteln, soweit das gelingen mag. Mein Vortrag behandelt daher 1. Begegnungen, 2. Biographisches, 3. Ansichten, 4. Aussichten, die sich durch unser Zutun oder eben nicht öffnen werden.

1. Begegnungen

Am Anfang stand ein Missverständnis. Gegen Ende 1991 feierte die Forschungsgruppe von Georges Labica, damals erster Vizepräsident der Universität Paris X-Nanterre, der mich abgewickelten DDR-Philosophen als „assoziierten Forscher“ am Nationalzentrum CNRS aufgenommen hatte, ein erfolgreiches Kolloquium an der Sorbonne. Im Quartier Latin speisten und tranken wir gut im Restaurant „La Godasse“, zu deutsch: Der alte Latschen. Mir entfuhr eine bissige Bemerkung über ein Mitglied der Gruppierung Socialisme ou barbarie, das von Sowjetpanzern im Rhônetal phantasiert hatte. Mein Gegenüber fragte sofort energisch: „Was haben Sie gegen ‚Sozialismus oder Barbarei’?“

Rosa Luxemburgs Losung! Amin, der Ägypter, verteidigte sie. Mit ihr schloss das Buch, das er mir übergab, samt dem Text seines Kolloquiumsvortrags. Wir einigten uns: Jener Phantast segelte unter falscher Flagge. Buch und Vortrag erschienen dann 1992 bei VSA in Hamburg: „Das Reich des Chaos“, mit dem Anhang „Dreißig Jahre Kritik des Sowjetismus“. Meine Übersetzung unterbrach ein Schweigen der deutschen Editionen über Amin – außer seinen Schriften zur „Ungleichen Entwicklung“, 1975 deutsch in Hamburg, und zur „Dynamik der globalen Krise“, 1982 in Opladen erschienen, war nichts mehr von ihm in der BRD herausgekommen, in der DDR sowieso nichts. Wie denn auch! Beim Übersetzen hatte ich zu schlucken. Es war bitter zu erfahren, dass wir bei allen eigenen Mühen nicht zur „entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ gelangt waren, sondern – Führern wie Günter Mittag und Günter Schabowski vertrauend – in einen „Kapitalismus ohne Kapitalisten“. Noch bitterer wurde es zu erleben, wie die „Nomenklatura“ der ex-UdSSR und ihres Lagers im Nu zum „Kapitalismus mit Kapitalisten“ schwenkte und das Volkseigentum plünderte. Von ihr siegen lernen konnten höchstens die Speckjäger aller Länder, die sich dann unter dem Schirm des Weißen Hauses vereinigten. Nachdrücklich wie nie stellt sich seither die Alternative: Wirklicher Sozialismus – oder unerhörte Barbarei!

Barbarei an der Wende zum dritten Jahrtausend – was das heißt, zeichnete sich schon vor dem 11. September 2001 ab. Das Zerfleischen Jugoslawiens als des – laut USA-Kongress – „letzten Bollwerks des blutbefleckten Kommunismus“ ab 1990, der intrigant provozierte Irak-Krieg 1991, das Kesseltreiben gegen Kuba waren ebenso Schritte in die neue Barbarei wie die forcierte Sozialdemontage in Nord und Süd. Amin hat das alles kritisch analysiert; der Versuch, seine Mahnungen hier publik zu machen, brachte uns näher und näher; dafür wirkte er mit an dem Sammelband der internationalen Forschergruppe zu den „Wegen der Vernunft“ im 20. Jahrhundert im frankophonen Raum, die ich am CNRS leitete, und verschaffte uns eine Pariser Verlagsverbindung. Selber überbrachte ich ihm die Einladung Lothar Biskys zu einer Strategiekonferenz der PDS, der er gern folgte. Da ging es um die Alternative, den Weg zum Sozialismus. Zum Sozialismus in aller Welt, wohlverstanden. Anders kann es ihn, nach Amin, auf die Dauer nicht geben.

Seitdem begegnen wir uns öfter. Er besucht Berlin, als Partner der Rosa-Luxemburg-Stiftung, und uns zuhause in Zeuthen. Er wirkt als Beirat mit an der Schriftenreihe über „Globalisierte Vernunft“, die ich in Paris lanciert habe, und beherbergt mich dort in der ehemaligen Wohnung seiner Mutter. Seit einigen Wochen „beherbergt“ mein Computer dafür sein jüngstes Werk – die von ihm edierte und kommentierte Sammlung internationaler Expertisen zum Stand der Arbeiter- und Bauernbewegungen in der heutigen Welt. Wie nun das hier herausgeben, frage ich mich zum x-ten Mal.

  • Preis: 4.00 €