Von: Dieter Schiller
Reihe "Pankower Vorträge", Heft 193, 2014, 40 S.
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Das vorliegende Heft enthält die überarbeitete und erweiterte Fassung eines Vortrags des Autors in der Veranstaltungsreihe der Hellen Panke e.V. Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin im Seniorenklub am 4. Juni 2013.
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Autor: Prof. Dr. Dieter Schiller Literaturwissenschaftler, lebt in Berlin
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INHALT
Münzenbergs Platz in der kommunistischen Bewegung
Internationale Arbeiterhilfe an der "Kulturfront"
Münzenbergs Medienkonzern und die Intellektuellen
Münzenberg und seine Mitarbeiter
Der Neue Deutsche Verlag
Blockierte Verständigung
Friedenskongress in Amsterdam
Letzte Aktionen
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LESEPROBE
Münzenbergs Platz in der kommunistischen Bewegung
Arthur Koestler bekennt in seinen Memoiren, er sei dem Kommunistenführer Willi Münzenberg bis zu dessen Tod(1) sehr zugetan gewesen. Ein "feuriger, demagogischer und unwiderstehlicher Redner und ein geborener Menschenführer" war er in seinen Augen, "nicht Politiker, sondern Propagandist, nicht Theoretiker, sondern 'Aktivist'".[2] Ganz präzise ist das nicht gesagt, denn als Mitbegründer der Kommunistischen Jugendinternationale (KJI), Funktionsträger der Kommunistischen Internationale (Komintern), Mitglied des Zentralkomitees der KPD und kommunistischer Reichstagsabgeordneter (MdR) war Münzenberg natürlich ein gestandener Politiker. Er vertrat den Kurs der Komintern lange Jahre diszipliniert, freilich auf seine eigene Art und Weise. Seine speziellen Aufgaben lagen im Vorfeld der Partei, sie waren darauf gerichtet, die proletarischen Massen mit Hilfe parteiloser Sympathisanten im Zeichen der internationalen Solidarität zu mobilisieren und sie organisatorisch zusammenzufassen. Nicht Wohltätigkeit zu üben, war das Ziel, sondern Klassensolidarität zu entwickeln. Es ging darum, die Bereitschaft der Arbeiter verschiedener Länder zu stärken, nicht nur eigene Interessen zu verfechten, sondern im Interesse anderer, auch fremdländischer proletarischer Schichten und werktätiger Massen zu handeln.[3] Münzenbergs wie Arthur Koestler schreibt "ungewöhnliche Position" in der kommunistischen Hierarchie ergab sich daraus, dass er Lenins Auftrag, die Hungerhilfe für Sowjetrussland zu organisieren,[4] begeistert aufgriff und wie er in einem Brief an Lenin schreibt aus der "großen Aktion für die Hungernden in Rußland" für sich ein "Stück Lebensaufgabe" machte.[5] Er verstand es, in wenigen Monaten und Jahren aus dem Auslandskomitee zur Organisierung der Hungerhilfe und den Hilfskomitees von Künstlern, Intellektuellen und Arbeitern eine weltweit wirkende internationale Organisation zu formieren, die "Internationale Arbeiterhilfe" (IAH, Meschrabpom).[6] Diese wiederum machte er schrittweise zum Träger selbständiger und ihrem Status nach überparteilicher Medien-Unternehmen für die Agitation und Propaganda im Umfeld der Kommunistischen Partei. Aus einem breit angelegten Geflecht von Medien wurde schrittweise der schon damals so bezeichnete "Münzenberg-Konzern",[7] der unter seiner Leitung stand. Das verschaffte Münzenberg einen organisatorischen und finanziellen Spielraum gegenüber den deutschen Partei-Instanzen und ihrem Funktionärsapparat. Denn verantwortlich war er mit seinen Unternehmungen dem Moskauer Exekutiv-Komitee der Komintern (EKKI), das in allen wichtigen politischen, organisatorischen und finanziellen Fragen das letzte Wort hatte. Über Münzenbergs Gründungen und deren Finanzen wurde am Ende dort entschieden. Doch betonte er noch im Jahr 1937, er habe bisher immer eine gewisse Selbständigkeit und Unabhängigkeit gehabt und könne nun einmal nicht erfolgreich arbeiten, wenn er bei jeder Frage auf eine Entscheidung von außen warten müsse.[8]
Dass Münzenberg es verstand, mit seiner demonstrativ undoktrinären Haltung große Teile der intellektuellen Linken der Weimarer Republik anzusprechen, ist vielfach bezeugt. Selbst den streitfreudigen Kurt Hiller, der im Lauf der Jahre manchen Strauß mit ihm ausfocht, beeindruckte der "Verlagsmann und Reichstagsabgeordnete Willi Münzenberg" als "ein hinreißender Rhetor". Unter deutschen Arbeiterführern meint Hiller sei er "wohl seit Bebel der stärkste" Redner.[9] Er sprach auf den Kongressen und Massenkundgebungen seiner Organisationen und Komitees, auf Parteiveranstaltungen und im Reichstag, wusste aber auch bei kulturpolitischen Zusammenkünften die richtigen Worte zu finden.[10] In Hillers Erinnerungen heißt es rückblickend, Münzenberg sei ein "Kopf" gewesen, der "über Entscheidendes unschablonenhaft, selbständig, manchmal mit genialer Hellsicht" dachte. Ins Gespräch gekommen seien sie beide Anfang 1927 über die Idee, eine "repräsentative Monatsschrift der Linken" unter Hillers Redaktion herauszugeben. Letzten Endes sei der gemeinsame Plan am Einspruch aus Moskau gescheitert.[11] Freilich lässt ein ernstlicher Blick auf die Münzenberg-Presse jener Jahre vermuten, dass die Vorstellungen der Gesprächspartner ohnehin nicht so kompatibel waren, wie Hiller sie darstellt. Die Chancen, eine solche Zeitschrift zustande zu bringen, waren deshalb wohl von vornherein sehr gering. Doch nicht darum geht es mir hier, sondern um die Art des Umgangs miteinander, um den Eindruck, den die Begegnungen mit Münzenberg bei Hiller und Leuten mit einer ähnlichen Haltung hinterließen.
[8] SAPMO-Barch NY 36/515,90 ff. Betr. Münzenberg. Bericht über eine Besprechung mit M.
[11] Kurt Hiller, Rote Ritter, S. 13 ff.
In der Jungen Welt vom 9. Februar 2015 ist von Felix Clay eine Besprechung des Heft erschienen.