Von: Rolf Badstübner, Günter Benser, Jörg Roesler, Dietrich Staritz
Reihe "hefte zur ddr-geschichte", Heft 117, 2009, 48 S., A5, 4 Euro plus Versand
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Reihe "hefte zur ddr-geschichte", Heft 117, 2009, 48 S., A5, 3 Euro plus Versand
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Der 60. Jahrestag der doppelten Staatsgründung von DDR und BRD und das Ende der sich als Alternative zu Faschismus und Kapitalismus in Deutschland verstehenden DDR prägen 2009 die geschichtspolitische und wohl auch aktuelle politische Diskussion. Anfang wie Ende dieses Weges sind mit Entscheidungen verknüpft, die die sozialistische Option beinhalteten. Dies in einer über das gesamte Jahr gehenden Veranstaltungsfolge näher zu beleuchten, ist Anliegen von Konferenzen und Podiumsdiskussionen, veranstaltet von Helle Panke e.V. und der RLS Brandenburg.
Beiträge des Kolloquiums vom 11. März 2009
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INHALT
Rolf Badstübner
Wie viel und was für ein Deutschland wollten die Sieger?
Konsens und Konflikte der Sieger und die Deutschen
Günter Benser
Die SED und ihr Staat? Auf dem Wege zur Staatsgründung
Jörg Roesler
Nie wieder Faschismus, nie wieder Kapitalismus? Der Streit um die wirtschaftspolitische Ausrichtung Deutschlands
Dietrich Staritz
Große Politik und kleine Leute
Erste Schritte der Demokratie in Ost und West Chancen und Versäumnisse
Im ND vom 2.10.2010 schrieb Stefan Bollinger über die Hefte Nr. 117-121
Die Lösch-Taste funktioniert nicht. 20 Jahre danach ist die DDR in der Öffentlichkeit präsent wie noch nie aber wie?!
Stefan Bollinger
Bevor über das Ende geredet wird, ist nach dem Anfang zu fragen. Also beispielsweise nach den Gründungsabsichten der beiden Staaten, ihrer Auseinandersetzung mit dem faschistischen Erbe und ihren unterschiedlichen Ansätzen, eine demokratische Gesellschaft zu errichten. Was heute als absolute Wahrheit über die beiden deutschen Staaten und Systeme, vor allem über die DDR, verkauft wird, steht in langer, unguter Tradition.
An der Frage, ob und wie die Grundlagen für Ausbeutung, Imperialismus, Reaktion, Nationalismus und Rassismus überwunden werden könnten, schieden sich die Geister. Kommunisten wie Sozialdemokraten waren 1945 von deren Notwendigkeit überzeugt.
Im Osten Deutschland suchte man die Revolutionen von 1848 und 1918 zu vollenden, wollte aber nicht nur eine bürgerlich-demokratische, sondern orientierte auf eine antiimperialistische, antikapitalistische, prosozialistische Perspektive. Bodenreform und Enteignung zunächst der Kriegsverbrecher und -gewinnler, alsbald der Masse der großen und mittleren Kapitaleigner gingen einher mit demokratischer Schulreform, der Erneuerung von Justiz und Verwaltung. Nazis wie all jene, die als reaktionär angesehen wurden, verloren ihre Posten. Unbelastete, kaum qualifizierte, aber für die Erneuerung begeisterte Arbeiter und Bauern besetzten die Stellen und suchten sie auszufüllen.
Im Westen gab es 1945 ähnliche Ausgangsbedingungen. Auch hier sorgten sich die Alliierten um die antifaschistische Ausrichtung. Das Land wurde demokratisiert, blieb aber auch rigoros antikommunistisch. Kommunisten waren verschuldet auch durch eher abschreckende Beispiele in der SBZ und frühen DDR die ersten Leidtragenden. Zwar hatten sie in den ersten Nachkriegswahlen teilweise über zehn Prozent der Wähler in den Westzonen hinter sich, aber angesichts des Drucks, beginnender Isolierung und staatlicher Verfolgung sowie der Verengung und Dogmatisierung kommunistischer Politik konnten sie sich nicht behaupten.
Auch der SPD blieb der radikale soziale Umbau im westdeutschen Staat verwehrt. Sie war 1949 in die ersten bundesdeutschen Wahlen mit einem Programm gezogen, das als Ziel die Beseitigung des Kapitalismus erklärt hatte. Für die Konservativen mit Konrad Adenauer an der Spitze ging es um eine Schicksalsentscheidung keinerlei Sozialismus, egal ob demokratisch oder nicht. Der zweite deutsche Staat, der ein besserer sein wollte, die DDR, war für Bonn der zu bekämpfende Feind.
Seit Anbeginn waren beide deutsche Staaten in die weltweite Systemauseinandersetzung eingebunden, deren legitime Kinder sie waren, jeweils als Vorposten der einander feindlich gegenüberstehenden Supermächte USA und UdSSR. Die Konfrontation und wechselseitige Einflussnahme der »feindlichen Brüder« des Kalten Krieges bestimmten das Gegen-, Neben- und Miteinander der beiden deutschen Staaten. Deshalb kann deren Geschichte nur als Doppel-Biografie geschrieben werden.
Das Ende kam für den einen deutschen Staat rasant und für viele überraschend. Während jedoch DDR- Bürgerrechtler und SED-Reformer noch über »dritte Wege« stritten, weil sie die Mängel des Realsozialismus klar erkannten, aber auch die Schwachpunkte des westlichen Systems, gab Bonn die Antwort vor. Man hatte leichtes Spiel, denn durch die Reformunfähigkeit der SED-Führung war die Alternative zum anderen deutschen, kapitalistischen Staat handlungsunfähig.
Erinnerung ist trügerisch, sie schwankt von Person zu Person, von Ereignis zu Ereignis. Enthusiasmus, Anpassung und Widerstreit waren für die meisten DDR-Bürger typisch, auch wenn im Nachhinein nicht wenige der Beteiligt-Betroffenen sich eher des Widerstands rühmen mögen als auch ihrer Hoffnungen, Überzeugungen und ihres Engagements in und für die DDR. Der konservative »Zeitgeist« bestärkt diese schiefe, halbe Erinnerung und erklärt sie für denkmalsreif. Erinnerungen jenseits »Unrechtsstaat«, »Stasi« und »lebenslangem Knast« vermögen kaum gegen die mächtige mediale Meinungsmache anzukommen. Und doch verändert sich die Erinnerung an die DDR. Dominierte 1989/91 die schonungslose Kritik, so sind heute angesichts erlebtem Kapitalismus mit Krise und unvollendeter Einheit Wertungen weit differenzierter und für die DDR positiver.
Das voreilig deklarierte »Ende der Geschichte« ist jedenfalls nicht in Sicht, der als soziale Marktwirtschaft verklärte Kapitalismus nicht das letzte Wort. Das wissen sehr wohl jene, die eben darum auch die DDR verdammen und alle Diskussionen über »Dritte Wege« als illusorisch diffamieren.
Die Niederlage des Realsozialismus war daran kann nicht gerüttelt werden Ergebnis eigenen Versagens. Die Chancen von 1956 (Entstalinisierung) und der 1960er Jahre (Wirtschafts- und Gesellschaftsreformen) waren verspielt oder gar mit Panzern zermalmt worden. Sozialismus als Anspruch auf soziale Gerechtigkeit plus demokratischer Gestaltung war nicht praktiziert worden. Die unverzichtbare schonungslose Abrechnung mit dem stalinistisch geprägten Realsozialismus (Allmacht der Partei, Wahrheitsmonopol, überzogene Sicherheitspolitik, Überzentralisierung usw.) darf aber erlebte und erfahrene zivilisatorische Leistungen nicht zuschütten. Wie etwa die Befreiung aus nationaler Unterdrückung und Brechung der Bildungsprivilegien bis hin zur Gleichberechtigung der Frau, selbst wenn auch diese Fortschritte nicht frei von Verengung und Deformierung waren und eine neue Lebensqualität zuweilen mit repressiven Mitteln durchgesetzt worden ist.
Linke Politik, die ernsthaft den Kapitalismus überwinden will, wird die widersprüchlichen Erfahrungen, auch Antinomien, nicht ignorieren können. Im Umgang mit der DDR wird die Lösch-Taste heute ebenso wenig funktionieren wie einst das Schönfärben von Bilanzen.