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Heft 158: Philosophie und Sozialismus?

Konferenz zum 125. Geburtstag von Georg Lukács

Von: Stefan Bollinger, Rüdiger Dannemann, Manfred Lauermann, Dirk Lehmann, Hans-Christoph Rauh

Heft 158: Philosophie und Sozialismus?

Reihe "Pankower Vorträge", Heft 158, 2011, 58 S., A5 - 3 Euro plus Versand

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Konferenzbeiträge in 2 Heften (157 und 158)

Reihe "Pankower Vorträge", Heft 158, 2011, 58 S., A5, 3 Euro plus Versand

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Inhalt Heft 1 - (Heft 157) Geschichte und Politik. Ist der Sozialismus (Marxismus) noch zu retten?

Stefan Bollinger/Rüdiger Dannemann
Georg Lukács zwischen Geschichte und Gegenwart Ein Konferenzbericht

Frank Engster
Das Selbstbewusstsein der Ware Arbeitskraft – Lukács’ Idee einer kommunistischen Revolutionierung des Kapitalismus durch das identische Subjekt-Objekt der Geschichte

Christoph Jünke
"Hic Rhodos, hic salta!" – Georg Lukács und der Sprung ins Reich der Freiheit

Holger Politt
Georg Lukács über Rosa Luxemburg

Michael Wegner
Lukács’ "Blum-Thesen" (Ende 1928): Die Idee der Einheits- und Volksfrontpolitik wird geboren. Bleibendes Angebot für die Linken im 21. Jahrhundert?

Stefan Bollinger
Herausforderung Demokratie – für Ost wie West

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Inhalt Heft 2 - (Heft 158) Philosophie und Sozialismus?

Stefan Bollinger/Rüdiger Dannemann
Über die Aktualität eines linken Marxisten

Dirk Lehmann
Die unmögliche Naturbeherrschung. Lukács, Adorno und das Phänomen der Verdinglichung

Hans-Christoph Rauh
Ontologie als theoretischer Erneuerungsversuch des Marxismus?

Manfred Lauermann
"Der schlechteste Sozialismus ist besser als der beste Kapitalismus" Kommentar zu einer Lukács-Sentenz

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LESEPROBE

Stefan Bollinger/Rüdiger Dannemann

Über die Aktualität eines linken Marxisten

Es ist naheliegend, den 125. Geburtstag eines großen Philosophen, Literaturtheoretikers, Politikers, eines engagierten Linken, eines Marxisten zu begehen, der die Konflikte und Widersprüchlichkeit des 20. Jahrhunderts und seiner politischen wie geistigen Kämpfe verkörpert, der auch für die Zerrissenheit der Linken steht, die eine bessere, humanere Gesellschaft wollten, aber oft in der Härte der Kämpfe und in der Vereinfachung des Denkens zu Mitteln griffen, die der Sache schadeten, die inhuman, ja gelegentlich verbrecherisch waren.

Der marxistische Philosoph und Literaturtheoretiker, der kommunistische Funktionär und Dissident mit seinen ungarischen, jüdischen und deutschen Wurzeln und Bezügen verkörpert die Schwierigkeiten und die Einsichten jener Intellektuellen, die die Grenzen und tödlichen Risiken des Kapitalismus, später des Faschismus sahen, die handeln wollten und sich der sozialistischen, kommunistischen Sache verschrieben. Er verkörpert aber auch die Schwierigkeit des kritischen Intellektuellen trotz großer Anpassungsbereitschaft sich in den inneren Konflikten und Säuberungen der Linken zu behaupten und an einem Ziel festzuhalten – einem Sozialismus, der den Sturz der alten Ordnung mit einer umfassenden Demokratisierung verbindet.

An den Knotenpunkten des "Jahrhunderts der Extreme" ist Lukács zu finden, immer engagiert, nicht immer erfolgreich, oft im Irrtum und im Verriss, ja in existentieller Bedrohung – aber der Sache des Sozialismus treu und an ihren marxistischen Begründungen unbeirrt arbeitend. Er nimmt am 1. Weltkrieg teil, bricht mit seinem bürgerlichen Milieu, wird Kommunist, arbeitet im Rat der Volkskommissare der Ungarischen Räterepublik, ist im Untergrund, im Exil, sucht neue Wege der Volksfront, kämpft für einen sozialistischen Realismus und gegen die Zerstörung der Vernunft durch den Faschismus, engagiert sich für den sozialistischen Aufbau und ist in der antistalinistischen Bewegung 1956 politisch aktiv und hat wieder einen Ministerposten, wird aus der Partei gestoßen und totgeschwiegen, ist aufmerksamer Beobachter der westlichen Studentenbewegung und der osteuropäischen Reformversuche der späten 1960er Jahre. Nicht zuletzt ist er ein Bindeglied zwischen östlichem und westlichem Marxismus, wenn denn die unterschiedlichen Verortungen der Theoretiker und politischen Akteure so gedeutet werden können.

Sein Leben und sein Werk bleiben – trotzdem es lange dem Vergessen im antikommunistischen und antimarxistischen Zeitgeist preisgegeben schien – unverzichtbar für eine linke Renaissance. Seine Schrift Sozialismus und Demokratisierung ist nicht nur sein Vermächtnis, sondern die Flaschenpost für jeden neuen demokratisch-sozialistischen Weg.

Die von Helle Panke und der Internationalen Georg-Lukács-Gesellschaft gemeinsam organisierte wissenschaftliche Konferenz Ist der Sozialismus (Marxismus) noch zu retten? Über die Aktualität eines linken Marxisten – Georg Lukács zum 125. Geburtstag machte den Versuch, das Vermächtnis und die Gegenwärtigkeit des umfangreichen Werks unter einigen relevanten Perspektiven zur Diskussion zu stellen.[1]

[1] Die Internationale Georg Lukacs-Gesellschaft wird die Konferenzbeiträge von Frieder O. Wolf, Stefan Bollinger, Frank Engster, Volker Caysa, Christoph Henning, Konstantinos Kavoulakos, Hans-Christoph Rauhund Dieter Schiller in ihr aktuelles Jahrbuch aufnehmen: Jahrbuch der Internationalen Georg-Lukács-Gesellschaft. Bd. 11 (2010/11). Bielefeld 2011 (im Erscheinen). Das als Festschrift zum 125. Geburtstag von Georg Lukács konzipierte neue Jahrbuch (Hgg. Frank Benseler und Rüdiger Dannemann) enthält zudem den Briefwechsel zwischen Georg Lukács und David Kettler sowie Beiträge von Lee Congdon, Gábór Gángó, Erich Hahn, Ágnes Heller, Axel Honneth, Denis Maier, Jürgen Meier, Guido Oldrini, Tom Rockmore, Michael Thompson. Der Text von Dieter Schiller: Alternative zum bürgerlichen Literaturbetrieb? Rückblicke auf die proletarisch-revolutionäre Literatur der 20er/30er Jahre in Deutschland, erschien bereits (Pankower Vorträge. H. 147. Berlin 2010).

 

Stefan Bollinger hat im ND vom 24./25.4.2010, S. 21, zur Konferenz geschrieben:

Bloß nicht weiter so. Georg Lukács zum 125. Geburtstag.

Stefan Bollinger

Wenige Monate vor seinem Tode wurde Georg Lukács, inzwischen als Parteimitglied rehabilitiert, ins ZK gebeten, um seine Positionen zur Politik der Ungarischen Sozialistischen Arpeiterpartei (USAP) darzulegen. Er diktierte im Januar 1971 ein Tonbandprotokoll, worin sich Erfahrungen und Einsichten eines unverbesserlichen Kommunisten offenbarten. Das Gespräch entstand nach der Niederschlagung des Prager Frühlings, für den er als sozialistischen Reformversuch Sympathie hegt und dessen Niederschlagung er ablehnte. Und es entstand unmittelbar unter dem Eindruck der blutigen Krise in Polen.

Zwar kokettierte er damit, nicht »in Tagesfragen ... hineinreden« zu wollen, weil er sich »nicht für einen Politiker« halte. Aber das widersprach seiner Biografie, die ihn zweimal in aussichtslosen Situationen in die Regierung eines revolutionären Umbruchs führte, 1919 wahrend der Räterepublik, 1956 in die antistalinistische Regierung des Imre Nagy. Nicht zuletzt stand er in Zeiten tiefer Illegalität in der Führungsriege seiner Partei und suchte Antworten auch dort auf neue Fragen: wie die Massen zu gewinnen, wie Bündnisse zu schmieden seien. Er sah sich als Intellektueller, der seine Profession als Literaturtheoretiker und Philosoph als Aufgabenfelder der ideologischen Absicherung der unverzichtbaren sozialistischen Umwälzung verstand.

In den letzten 15 Lebensjahren hatte er, nach der Befreiung durch den XX. Parteitag der KPdSU, der sowohl das Ende des offenen Stalinismus einläutete wie die Einsicht durchsetzte, dass das internationale Kräfteverhältnis die Möglichkeit einer friedlichen Koexistenz und Konkurrenz der Systeme ermögliche, eine Doppelstrategie seiner Auseinandersetzung mit dem Stalinismus in seinen politisch-repressiven wie dogmatischen und undialektischen Ausformungen eingeleitet. Sein kritischer Ansatz betraf einerseits die konzentrierte Arbeit an einer Erneuerung marxistischen Denkens in Gestalt seiner »Ontologie des gesellschaftlichen Seins«. Andererseits ließ er aber keine Gelegenheit aus, um in politischen Schriften und Gesprächen Kritik an stalinistischer Politik, Strukturen und Theorie-Verfälschungen zu üben. Über die Verwurzelung dieser Texte in der marxistischen Methodik kann kein Zweifel aufkommen. Lukács ging es um die sozialökonomischen Grundlagen von Machtausübung, auch in ihrer irrigen Art und Weise, ihm ging es um die Totalität und Dialektik der Rahmenbedingungen und der Handlungsspielräume der Akteure.

So muss es nicht wundern, wenn er in seinem Gespräch im ZK unmittelbar auf die damals angelaufenen Reformen des »Neuen Ökonomischen Modells« Bezug nimmt und auf den wunden Punkt dieser Reformen wie der bisherigen realsozialistischen Gesellschaften zu sprechen kommt, »die panische Angst davor, dass es zu einer spontanen Organisierung der Massen kommt. Organisierung ist hierzulande nur auf staatlicher und offizieller Ebene möglich. Wenn es doch zu einer direkten Organisierung kommt, wird das sofort als Fraktionsbildung angesehen und die Menschen geraten in den Verdacht, konterrevolutionär zu sein. Es ist meine Überzeugung, dass die Demokratisierung des Alltagslebens nur so vor sich gehen kann, dass wir mit den aus der Rákosi-Zeit stammenden Vorurteilen brechen und dem Durchschnittsmenschen erlauben, sich zur Durchführung bestimmter lebenswichtiger Dinge zu organisieren.«

Seine Warnungen zur Politik der von ihm durchaus als taktisch geschickt angesehenen ungarischen Kommunisten an der Wende zu den 1970er Jahren waren klar und unmissverständlich: »Der tägliche legale selbstverständliche Kontakt, der zwischen Partei, Regierung und Arbeiterklasse möglich ist, stirbt ab. Und dieses Absterben lässt sich durch keinerlei Ersatzmittel wieder rückgängig machen. Das Absterben vollzieht sich momentan auf zweifache Weise. Einmal so – unter normalen Bedingungen –, dass die Arbeiter mürrisch die ihnen aufgezwungenen Befehle ausführen, zum anderen so, dass die Entwicklung in Richtung wilder Streiks verläuft. Und ich behaupte – nicht als wenn das eine Wunschvorstellung von mir wäre, aber eine mögliche Perspektive –, dass es keine Volksdemokratie gibt, in der solche Ereignisse wie die Danziger nicht jeden Tag passieren könnten.«

Sozialistische Demokratie muss für ihn die Entscheidungsmöglichkeiten über unterschiedliche Kandidaten ebenso beinhalten wie die Möglichkeit, in die unmittelbaren Arbeits- und Lebensprozesse gestaltend eingreifen zu können. Nur dann würde eine solche angemahnte Verbindung mit der politischen Führungsebene wohl funktionieren. Der Räteidee, die in »Demokratisierung und Sozialismus« eine größere Rolle spielt im Sinne einer basisdemokratischen, unmittelbaren Gestaltbarkeit gesellschaftlicher Verhältnisse wie des Alltagslebens, bestimmt sein Herangehen.

Es ist aber eben das Herangehen eines politisch erfahrenen Mannes, der um die Chancen wie Risiken einer solchen Demokratie weiß und über die Rolle der Partei und der Führung nicht nur nachdenkt, sondern sie für notwendig hält: »Das Problem besteht ... darin, dass die Arbeiter nur dann wirklich geführt werden können, wenn wir sie richtig führen. Darunter ist zu verstehen, dass wir die Bedürfnisse kennen, die bei den Arbeitern auftreten. Diese Bedürfnisse sind entweder richtig, dann müssen wir sie befriedigen, oder sie sind falsch, dann haben wir mit den Arbeitern zu diskutieren und zu versuchen, sie für den richtigen Standpunkt zu gewinnen – aber auf keinen Fall ist das gut, was wir jetzt tun.«

Diese internen Anmerkungen des am 13. April 1885 geborenen Lukács griffen als Warnung das zentrale Problem des stalinistisch verzerrten Sozialismus an – die Demokratiefrage. Die erhoffte Renaissance des Marxismus in der Zuwendung westlicher Intellektueller zu Marx und in den Reformen der 1960er Jahre blieb damals aus und bleibt eine offene Herausforderung für heute.

Helle Panke e.V. und Internationale Georg-Lukács-Gesellschaft veranstalten aus Anlass des 125. Geburtstages von Georg Lukács die Konferenz »Ist der Sozialismus (Marxismus) noch zu retten?«; 24.4., 10 bis 18 Uhr, Kopenhagener Straße 9, 10437 Berlin.

  • Preis: 4.00 €
  • Erscheinungsjahr: 2011