Von: Lutz Brangsch, Christian Brütt, Christoph Butterwegge, Ralf Krämer, Uwe Witt, Stefan Wolf
Reihe "Pankower Vorträge", Heft 163, 2011, 72 S., A5, 3 Euro plus Versand
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Zum Thema Sozialstaat im 21. Jahrhundert – Neue Herausforderungen und Gefahren fand am 3. September 2011 eine Konferenz der Hellen Panke e.V. – Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin gemeinsam mit WISSENTransfer in Berlin statt. Dort gehaltene Beiträge werden – von den Referenten für den Druck bearbeitet und z.T. erweitert – hiermit publiziert.
Die Leitung der Diskussion lag in den Händen von Richard Detje und Prof. Dr. Klaus Steinitz, der auch die einleitenden Worte zu dieser Publikation schrieb.
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Inhalt
Vorbemerkung
Klaus Steinitz
Christoph Butterwegge
Die Zukunft des Sozialstaates – Niedergang oder Neugestaltung?
Lutz Brangsch
Wie mächtig ist der Neoliberalismus in und nach der Großen Krise?
Uwe Witt
Ökologische Grenzen unserer Produktions- und Lebensweise
Ralf Krämer
Finanzierung des Sozialstaats
Grundbedingungen, Herausforderungen, Alternativen
Stefan Wolf
Sozialversicherungen und Bedingungsloses Grundeinkommen?
Wege für eine stabile, zukunftsfeste und sozial gerechte Finanzierung des Sozialstaates
Christian Brütt
Neue Prioritäten bei der Weiterentwicklung der sozialen Sicherheit?
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LESEPROBE
Vorbemerkung
Der Sozialstaat ist einer der wichtigsten Errungenschaften der europäischen Industrieländer der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, vor allem der ersten Jahrzehnte nach dem II. Weltkrieg. Seine zunehmende Aushöhlung seit der neoliberalen Wende in den 1970er Jahren gehört seit einigen Jahrzehnten zu den negativen Trends, die die soziale Sicherheit und ein menschenwürdiges Leben in Frage stellen. Die hiermit verbundenen Gefahren sind mit der jüngsten umfassenden Finanzmarkt- und Systemkrise des Kapitalismus weiter angestiegen. Im Ergebnis neoliberaler Privatisierungspolitik wurden die Regulierung des Kapitalismus immer weiter zurückgenommen und die Arbeits- und Lebensverhältnisse zunehmend der Profit- und Marktsteuerung unterworfen. Armut verbreitet sich über alle Lebensphasen hinweg. Die soziale Reproduktion der Gesellschaft wird massiv in Frage gestellt, wenn nicht bereits ausgehebelt.
In diesem Zusammenhang wird auch die Frage erörtert, inwieweit die große Krise des Finanzmarktkapitalismus zu einer neuen Stufe in der Verschärfung dieser Tendenzen führt. Einerseits haben sich politische Interventionen und soziale Transfers als wirksame Stabilisatoren gegen den weiteren ökonomischen Absturz erwiesen. Andererseits wird unter dem Diktat der "Schuldenbremse" und der Euro-Krisenpolitik ein verschärftes Austeritätsregime durchgeführt. Die Stabilisierung der öffentlichen Haushalte soll vor allem über drastische Einschränkungen der Sozialtransfers vorgenommen werden.
Mit der Zuspitzung der Umweltkrise und dem notwendigen Übergang zu einem neuen Entwicklungstyp, der weitgehend auf weiteres quantitatives Wachstum verzichtet, entstehen neue Herausforderungen und Probleme für die Weiterentwicklung des Sozialstaats und seiner Finanzierung. Dazu gehören auch Auseinandersetzungen um veränderte Prioritäten bei der Gestaltung eines Sozialstaats im 21. Jahrhundert, um den Inhalt zukunftsfähiger Beziehungen zwischen Erwerbsarbeit und sozialer Sicherheit sowie um Alternativen der Gestaltung einer sozialen Grundsicherung.
Die Perspektive des Sozialstaats betrifft insgesamt äußerst komplexe und zugleich sehr widersprüchliche Prozesse und Zusammenhänge. Es gibt heute wohl kaum eine Frage des Zusammenlebens der Menschen, ihrer Sorgen, ihrer Zukunftsvorstellungen. ihrer Ängste und ihrer zunehmenden Unsicherheit sowie ihres Verhältnisses zu ihrer natürlichen Umwelt, die nicht mit dem Zustand und der Zukunft des Sozialstaats verbunden ist. All diese Fragen betreffen daher auch Grundfragen alternativer linker Politik unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts.
In den Beiträgen von Christoph Butterwegge und Lutz Brangsch stehen die grundlegenden Veränderungen des Sozialstaats, die unter dem Einfluss des Neoliberalismus, der Deregulierung und Privatisierung sowie einer verschärften globalen Standortkonkurrenz vor sich gehen, die damit verbundenen Auswirkungen auf den Charakter und die Rolle des bürgerlichen Staates sowie davon abgeleitete Anforderungen an linke Politik im Vordergrund.
Uwe Witt untersucht in seinem Beitrag die neuen Herausforderungen der Umwelt- und Klimakrise sowie der Ressourcenknappheit an die drastische Verringerung der CO2-Belastungen und des Verbrauchs nicht nachwachsender Energieträger und Rohstoffe sowie deren Konsequenzen für eine neue Art der Wirtschaftsentwicklung. Damit im Zusammenhang werden die engeren gegenseitigen Abhängigkeiten von Umwelt- und Sozialpolitik, die sich in der Forderung der Linken nach einem sozial-ökologischen Umbau niederschlagen, charakterisiert.
In den Beiträgen von Ralf Krämer und Stefan Wolf stehen Fragen einer zukunftsfesten und menschenwürdigen Gestaltung der sozialen Sicherungssysteme, insbesondere der sozialen Grundsicherung, im Vordergrund. Stefan Wolf geht in seinem Beitrag auf die Vorteile eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) ein und stellt Vorschläge zur Finanzierung eines solchen Sicherungssystems vor. Ralf Krämer analysiert die Tendenzen der Prekarisierung der Arbeit, der Stagnation und des Rückgangs der Reallöhne sowie der Sozialleistungen. Er argumentiert in seinem Beitrag gegen die Finanzierbarkeit des BGE.
Christian Brütt analysiert die jüngste Entwicklung des Sozialstaats und die dabei sichtbaren veränderten Bedingungen und macht davon ausgehend auf veränderte Prioritäten seiner weiteren Gestaltung aufmerksam.
Klaus Steinitz