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Heft 180: Der Kampf gegen den Hunger

Eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Agrarpolitische Aspekte

Von: Erika Czwing

Heft 180: Der Kampf gegen den Hunger

Reihe "Pankower Vorträge", Heft 180, 2013, 40 S., A5, 3 Euro zzgl. Versand

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Die vorliegende Broschüre enthält den ergänzten und überarbeiteten Text eines Vortrages der Autorin am 16. April 2013 im Verein „Helle Panke“ e.V. – Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin.

Autorin: Erika Czwing, Prof. Dr. sc., Agrarökonomin - Mitglied des Sprecherrats der AG Agrarpolitik und ländlicher Raum bei der Partei DIE LINKE. Die Autorin war bis 1990 als Abteilungsleiterin im Institut für Agrarökonomie der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften tätig.

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INHALT

Hunger – eine Welttragödie ohne Ende?

Reichen unsere Ressourcen?

Immer mehr Menschen immer besser ernähren Wachstum ja, aber anders!

Kampf gegen den Hunger kostet Geld

Kann „Bio“ die Welt ernähren?

Gentechnik – weder Wunderwaffe, noch Teufelszeug

Verschwendung – Die Kehrseite des Hungers

Fair Trade statt Free Trade!

Ernährungssouveränität einfordern!

Landgrabbing – eine neue Geißel der armen Länder

Agrotreibstoffboom verstärkt den Hunger

Hunger und Agrarpreise – eine sehr komplexe Beziehung

Fazit

Literatur

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LESEPROBE

Hunger – eine Welttragödie ohne Ende? Das Menschenrecht auf Nahrung ist bereits in der Erklärung der Menschenrechte von 1948 verankert und wurde mit dem Internationalen Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte international verbindlich. Definiert wird es als „das Recht des regelmäßigen und permanenten Zugangs entweder direkt oder dank monetärer Mittel, individuell oder kollektiv zu einer qualitativ und quantitativ zufriedenstellenden, angemessenen Nahrung, die den kulturellen Traditionen des Menschen entspricht und ein Leben in Würde und ohne Angst sicherstellt“.[1] Das Menschenrecht auf Nahrung ist bis heute eines der am meisten verletzten Menschenrechte, obwohl es immer wieder Versuche im globalen Rahmen gab, diesem Recht zur Wirkung zu verhelfen. Bereits Ende 1945 gründeten die Vereinten Nationen angesichts der angespannten Ernährungssituation nach dem Zweiten Weltkrieg eine Sonderorganisation, aus der die heutige Food and Agriculture Organisation (FAO) hervorging. Gegenwärtig gehören dieser Organisation 191 Staaten sowie die Europäische Union an. Ihre Zielstellungen waren und sind: · Anhebung des Ernährungszustands der Völker, · Verbesserung der Erzeugung und Verteilung der Nahrungsmittel, · Verbesserung der Lebensbedingungen der ländlichen Bevölkerung, · Beitrag zur Entwicklung der Weltwirtschaft und Befreiung vom Hunger. Die FAO fungiert als Wissensnetzwerk. Sie erstellt Berichte und elektronisches Datenmaterial, berät Mitgliedsländer bei der Ernährungs- und Entwicklungspolitik, bietet ein Forum für den Austausch zwischen den Staaten und betreut Projekte. Für die operative Hilfe bei Hungersituationen, z. B. nach Naturkatastrophen, Dürren und gewalttätigen Konflikten, wurde 1963 ergänzend das „Welternährungsprogramm“ (WFP) gegründet. Es ist die größte humanitäre Organisation der Welt. Sie beschäftigt etwa 10.000 Menschen meistens vor Ort. Jährlich erreicht ihre Nahrungshilfe ca. 90 Millionen Menschen. Im Jahr 2010 wurden für 1,5 Mrd. $ Nahrungsmittel überwiegend von ortsansässigen Bauern aufgekauft und verteilt. Ziel ist es, vor Ort von etwa 400.000 Kleinbauern Nahrungsmittel zu kaufen, um damit Schulkinder und Hungernde zu versorgen. Mit den Schulspeisungsprogrammen werden etwa 25 Millionen Kinder in 60 Ländern erreicht. Ein weiteres Erfolgsmodell ist „Food for Work“. Hierbei werden Nahrungsmittel für die Mitarbeit bei nachhaltigen Projekten, wie z. B. Brunnenbau verteilt. Leider fehlt es auch hier an finanziellen Mitteln. Während das Normalbudget sich auf etwa 6 Mrd. $ belief, ist es im Krisenjahr 2009 mangels Spenden der Geberländer auf 3,2 Mrd. $ gesunken. Die FAO hat Hunger wie folgt definiert: „Hunger tritt ein, wenn die tägliche Energiezufuhr für einen längeren Zeitraum unter dem Bedarf liegt, der für einen gesunden Körper und ein aktives Leben benötigt wird.“ Die Weltgesundheitsorganisation WHO hält 2.200 kcal. pro Tag für das durchschnittliche Existenzminimum. Dieses ist im Einzelfall natürlich unterschiedlich, z. B. zwischen Kindern und schwer arbeitenden männlichen Erwachsenen. Hunger führt zu körperlicher und geistiger Zerstörung. Kinder bis 5 Jahre, die hungern, bleiben Krüppel. Der Fluch des Hungers reproduziert sich biologisch, weil hungernde Mütter vorgeschädigte Kinder zur Welt bringen und diese nicht ernähren können. Trotz großer Bemühungen der Vereinten Nationen und ihrer Organisationen, vieler nationaler Regierungen und internationaler Hilfsorganisationen ist es nicht gelungen, den Welthunger maßgeblich zu reduzieren. So verringerte sich die Zahl der Hungernden in den letzten zwei Jahrzehnten um lediglich etwa 130 Millionen auf 870 Millionen und hatte zeitweilig bereits wieder die Milliardengrenze erreicht. Da die Weltbevölkerung im gleichen Zeitraum anwuchs, ist wenigstens ein relatives Sinken von 18,6 Prozent Hungernder an der Gesamtbevölkerung auf nunmehr 12,5 Prozent zu verzeichnen. Neben dem absoluten Defizit an Nahrungsenergie ist auch der „versteckte Hunger“ ein großes Problem. Dabei handelt es sich um Mangelernährung aufgrund des Fehlens von Mikronährstoffen und Vitaminen. Gegenwärtig sind davon etwa zwei Milliarden Menschen betroffen und damit in ihrer Gesundheit und Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Das Milleniumsziel, die Zahl der Hungernden bis zum Jahr 2015 zu halbieren, wird weit verfehlt. Unverständlich ist die Einschätzung des Deutschen Bauernverbandes, das Milleniumsziel sei in greifbare Nähe gerückt. Im Auftrag der Vereinten Nationen hat das International Food Policy Research Institut (IFPRI) einen Welthungerindex (WHI) entwickelt, um Tendenzen und regionale Schwerpunkte genauer zu erfassen. In einem jährlichen Bericht wird die Situation auf globaler, regionaler und nationaler Ebene beschrieben. Der Welthungerindex beruht auf Informationen über den Anteil der Hungernden an der Gesamtbevölkerung, der Kinder unter 5 Jahren mit Untergewicht und der Kindersterblichkeit. Die Hungersituation wird in einer Skala von 0 bis 100 gemessen. Länder mit einem WHI von dauerhaft weniger als 5 gelten als nicht mehr betroffen. Ein WHI von 5–10 gilt als gemäßigt, 10–20 charakterisiert eine ernste, 20–30 eine sehr ernste Situation und ein WHI von mehr als 30 gilt als „gravierend“. Der Bericht von 2012 beruht auf Daten von 2010: Für die Welt insgesamt wird ein WHI von 14,7 ausgewiesen, also eine „ernste“ Lage! Nach Regionen ergibt sich folgendes Bild Südasien 22,5 Subsahara – Afrika 20,7 Ostasien 7,9 Nordafrika Naher Osten 5,3 Lateinamerika 4,9 Für die einzelnen Länder differenziert sich der WHI weiter. Die Staaten, die über oder nahe bei 30 liegen, also gravierende Hungerprobleme haben, sind Kongo, Burundi, Eritrea, Tschad, Äthiopien. Die meisten afrikanischen Länder südlich der Sahara weisen einen WHI von 20–30, also eine sehr ernste Situation, aus. In einigen Fällen ist sogar eine Verschlechterung im Vergleich zu 1990 festzustellen. Der hohe WHI von Ländern wie Indien mit 24,1 und Bangladesh mit 24,2 ist deshalb besorgniserregend, weil es sich um Länder mit hoher und schnell wachsender Bevölkerung handelt. Erfreulich ist die Entwicklung in China, wo der WHI auf 6 gesenkt werden konnte, in den ehemaligen Sowjetrepubliken und in Lateinamerika. Auch in Afrika gibt es Beispiele für positive Langzeitentwicklung, z. B. Ghana, Malawi, Mozambik. Wer sind die Hungernden dieser Welt?Die meisten sind diejenigen, die gleichzeitig unmittelbar Nahrung erzeugen, vor allem Berufsgruppen, deren Existenz von der Nutzung natürlicher Ressourcen abhängig ist. Etwa die Hälfte aller Hungernden lebt in kleinbäuerlichen Familienbetrieben. Deren Parzellen sind so klein und die Wirtschaftsweise so unproduktiv, dass die wachsenden Familien nicht ausreichend ernährt werden können. Weitere 22 Prozent sind Landarbeiter, die überhaupt kein Land besitzen, 8 Prozent sind Nomaden, Fischer und Sammler. Nur 20 Prozent der Hungernden leben in Städten. Die bereits jetzt besonders vom Hunger geplagten Kleinbauern, Hirten und Fischer werden voraussichtlich zuerst von künftigen Verschlechterungen der Produktionsgrundlagen durch den Klimawandel betroffen sein. Entgegen landläufigen Meinungen ist Hunger aber keineswegs auf die Entwicklungs- und Schwellenländer begrenzt. Nach einem UNICEF-Bericht vom Mai 2012 sind z. B. als Folge der Sparpolitik der Regierung in Spanien 2,2 Millionen Kinder permanent unterernährt. Alle Zahlen und Beispiele zeigen immer wieder: Hauptursache von Hunger ist Armut. Armut hinsichtlich des Zugangs zu landwirtschaftlichen Ressourcen, die eine Eigenversorgung ermöglichen würden, aber auch Armut hinsichtlich alternativer Erwerbsmöglichkeiten als Basis für den Kauf von Lebensmitteln. Alle Länder mit einem hohen Welthungerindex sind gleichzeitig Länder mit extrem niedrigem Bruttosozialprodukt je Einwohner und gleichzeitig sehr hohem Anteil der Landwirtschaft an der Bruttowertschöpfung. Hunger zu bekämpfen heißt deshalb auch, die gesamte wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in den betroffenen Ländern voranzubringen. Dieser Vortrag konzentriert sich dabei auf die agrarpolitischen Aspekte.

[1] Vgl. auch Jean Ziegler, Wir lassen sie verhungern, S. 25.

  • Preis: 4.00 €
  • Erscheinungsjahr: 2013