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Heft 30: Kritik nach Kant

Foucaults und Adornos "gute Endlichkeit"

Von: Matthias Rothe

Heft 30: Kritik nach Kant

Reihe "Philosophische Gespräche", Heft 30, 2013, 40 S.

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INHALT

Vier Vorbemerkungen

1 Das Denken der Beschränkung und die Möglichkeit von Kritik

2 Das Projekt gute Endlichkeit

3 Das Historische Apriori [Foucault]

3.1 Vorrang der Struktur

3.2 Historisierung des Transzendentalen: das Schema

3.3 Denken des Außen: das Ding an sich als Kommendes

3.4 Politik: die Grenze und die Freiheit als Überschreitung

4 Selbstnegation des endlichen Geistes (Adorno)

4.1 Vorrang des Objektes

4.2 Pragmatisierung des Transzendentalen: Deduktion

4.3 Das Denken des Innen: Das Intelligible als Erscheinung

4.4 Politik: Bestimmte Negation und Freiheit als Spur

5 Kritik diesseits von Kant

Bibliographie



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LESEPROBE

Vier Vorbemerkungen

Erste Vorbemerkung: „Wer zwischen zwei entschlossenen Denkern vermit-teln will (...)“, so zitiert Adorno Nietzsche, „hat das Auge nicht dafür das Einmalige zu sehen: (...) die Gleichmacherei ist das Merkmal schwacher Au-gen.“ (Adorno 2012, S. 83) Dieses Essay nimmt die damit beschworene Ge-fahr ernst. Es sucht nicht, Adorno und Foucault einander gleichzumachen, sondern vor allem ihre Differenzen aufzuzeigen. Dies aber kann nur gelingen in Bezug auf ein gemeinsames Projekt, das ich als „gute Endlichkeit“ identi-fiziere. Gegen Hegels Verdikt, dass, wer vom Endlichen aus denkt, alles auf das Maß dieses Endlichen reduziert, versuchen, so meine These, Foucault und Adorno, ein Anderes, eine Alternative zum Bestehenden denkbar zu machen, die nicht nur Wiederkehr des Gleichen in anderer Form ist. Dazu orientieren sie sich wesentlich an Kant, den beide als einen Denker verstehen, der sich beispielhaft am Problem der Endlichkeit abgearbeitet hat und mit Konzepten wie dem Transzendentalen, Intelligiblen usw. Instrumente vorschlägt, dieses zur Voraussetzung von Erkenntnis und Praxis zu machen. Kant steht für ein Denken aus der Beschränkung heraus, die Endlichkeit notwendig auferlegt. Foucault und Adorno machen im Rückgriff auf Kant diese Beschränkungen selbst wiederum zu „Momenten einer Dynamik“ (Adorno 1992, S. 379), ge-nauer, als veränderliche denkbar. Wie genau dies geschieht, rekonstruiert das hier vorliegende Essay. Adorno und Foucault bemühen sich damit zugleich darum, die kantschen Beschränkungen zu erhalten, nicht zuletzt, weil daran, so lautet meine Eingangsthese, die Möglichkeit von Kritik selbst hängt. Vom Projekt einer „guter Endlichkeit“ her zeichnen sich Foucault und Adorno als Extrempunkte im Feld einer Kritik von Gesellschaft ab; dieses Feld selbst wird damit in Ansätzen vermessen.

Zweite Vorbemerkung: Als Feld identifizierbar mache ich es jedoch zuvor-derst mit Hilfe einer philosophische Position, die zunehmend an Attraktivität gewinnt und es als Ganzes infrage stellt, indem sie eben jene es definierenden Beschränkungen, allem voran die Kategorie des Transzendentalen, verwirft. Meine Skepsis gegenüber einer solchen Position, für die solche philosophische Bewegungen wie der New Vitalism oder der Speculative Realism stehen, gibt Rahmen und Anlass für das vorliegende Essay ab.

Dritte Vorbemerkung: Wurden Adorno und Foucault in Bezug gesetzt – dies ist bereits vielfach geschehen – ging es zumeist darum, zu entscheiden, wer der Bessere von beiden ist. Genau dies geschieht im vorliegenden Essay nicht, denn das bedeutete eben, den Einen auf das Maß des Anderen zu redu-zieren bzw. den Einen dem Anderen gleichzumachen. Das soll keineswegs bedeuten, dass eine Positionierung hinfällig wird, dieses Essay will einer sol-chen zuarbeiten, nicht aber sie bereits voraussetzen. Nicht zufällig beziehe ich mich daher auf neuere und neueste Lektüren von Adorno und/oder Foucault – etwa auf Andrea Hemmingers Foucaultbuch und Owen Hulats noch unveröf-fentlichte Doktorarbeit zu Adorno, die demnächst bei Cambridge University Press erscheinen soll. Diese Autoren, so scheint es mir, sind nicht mehr von Umständen geprägt, die eine Parteinahme zum unabdingbaren Ausgangspunkt jeder Analyse machen.

Vierte Vorbemerkung: Was dieses Essay darüber hinaus oder man müsste sagen, nebenher zu leisten versucht, ist eine Bewertung des Stellenwerts von Foucaults Einleitung zu Kants Anthropologie innerhalb des foucaultschen Oeuvre. Ursprünglich als thèse complémentaire eingereicht, ist sie im Jahre 2008 erstmalig veröffentlich und bisher kaum diskutiert worden. Eine Aus-nahme bildet Andrea Hemmingers Studie. Die hier vorgeschlagene Perspek-tive darauf ist jedoch – ohne Andrea Hemmingers Leistung in Zweifel ziehen zu wollen – eine ganz und gar andere. Es geht mir nicht darum, zu ermitteln, ob Foucault die Erbschaft Kants antritt und damit verbunden, um eine Rekon-struktion der foucaultschen Intentionen in Bezug auf Kant. Ich versuche, die Funktionen zu identifizieren, die die kantschen Konzepte – jene der Anthro-pologie, aber auch alle anderen im Essays diskutierten – in Bezug auf spezifi-sche Problemstellungen haben. Von diesen aus gesehen, ist ihr Gebrauch eher Effekt und beinahe erlitten, als dass er sich dem Bekenntnis zu einer Denktra-dition verdankt.

  • Preis: 4.00 €