Von: Jörg Goldberg
Reihe "Pankower Vorträge", Heft 188, 2014, 60 S.
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Der vorliegende Text ist die erweiterte Fassung des Vortrags von
Dr. Jörg Goldberg am 25. Februar 2014 im Rahmen der Veranstaltungsreihe der „Hellen Panke“ Politik im Gespräch.
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Autor: Jörg Goldberg, Dr., Wirtschaftswissenschaftler, Redakteur der Zeitschrift Marxistische Erneuerung "Z" und Autor des Buches: "Überleben im Goldland. Afrika im globalen Kapitalismus"
Goldberg war bis 1989 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Marxistische Studien und Forschungen (IMSF) mit den Arbeitsgebieten Krisentheorie und Analyse der Wirtschaftsentwicklung. In Benin war er von 1993 bis 1996 wirtschafts- und sozialpolitischer Regierungsberater. Die gleiche Tätigkeit übte er von 2002 bis 2005 in Sambia aus.
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INHALT:
Vorbemerkung
1. Afrika im Aufschwung: Die Grundlagen des Wirtschaftsbooms
1.1 Ein Paradies für Investoren?
1.2 Afrika – mehr als ein geografischer Begriff
1.3 Merkmale und Triebkräfte des Aufschwungs
1.3.1 Die Wachstumsraten
1.3.2 Exkurs: Statistiken und andere Vermutungen
1.3.3 Internationale Direktinvestitionen
1.3.4 Der neue Mittelstand
1.3.5 Der Siegeszug des Mobiltelefons
1.3.6 Ist der afrikanische Aufschwung nachhaltig?
2. Der Kapitalismus in Afrika
2.1 Kapitalismus und Zauberei
2.2 Kapital und Lohnarbeit
2.2.1 Exkurs: Südafrika
2.2.2 Kapital und Investitionen
2.2.3 Die Bourgeoisie in Afrika
2.2.4 Informeller Sektor und freie Lohnarbeit
2.2.5 Kleinbäuerliche Landwirtschaft zwischen Subsistenz und Weltmarkt
3. Perspektiven eines afrikanischen Kapitalismus
Literaturverzeichnis
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LESEPROBE
Vorbemerkung
Der folgende Text enthält Vorarbeiten zu einem Buch, das im Frühjahr 2015 unter dem Arbeitstitel „Die Wirtschaftsmächte des Südens. Die Neuerfindung des Kapitalismus aus Tradition und Weltmarkteinbindung“ erscheinen wird.
„In Afrika floriert der Kapitalismus in seiner wahren Form und zieht Millionen in die Geschäfte“, schrieb die ehemalige Goldman Sachs Bankerin Dambisa Moyo aus Sambia in einem Beitrag für die Londoner Financial Times.(1) Mit dieser Einschätzung liegt sie im Mainstream der aktuellen Afrikaberichterstattung auch in Deutschland – jedenfalls wenn es um Wirtschaftsfragen geht. Ein manchmal erstaunlicher Optimismus dominiert die Wirtschaftspresse und verleitet sonst sogar eher kritische Beobachter dazu, Bücher mit an Mao-Tse-Tung erinnernde Titel wie „Afrika vor dem großen Sprung“(2) zu schreiben – im verständlichen Bemühen, ein Zeichen gegen die bis noch vor kurzem überwiegenden medialen Katastrophendarstellungen zu setzen. Die Einstufung Afrikas als 'Boomkontinent' ist relativ neu, eine Grundlage dazu wurde u.a. von der McKinsey-Studie „Lions on the Move“ (frei: Löwen auf der Pirsch) von 2010 gelegt.(3)
Wie holzschnittartig selbst die vermeintlich seriöse Wirtschaftspresse agiert, kann am Beispiel des renommierten Londoner „Economist“ gezeigt werden. Im Mai 2000 titelte das Magazin „The hopeless continent“; elf Jahre später, im Dezember 2011, lautete die Titelgeschichte: „Africa rising“. Was ist zwischen 2000 und 2011 in Afrika passiert, das einen solch radikalen Perspektivwechsel erklären könnte? Ist es nur der steile Anstieg der Rohstoffpreise?
1. Afrika im Aufschwung: Die Grundlagen des Wirtschaftsbooms
Die wichtige Rolle der Rohstoffe wird in diesen Berichten zwar nicht geleugnet, meist aber wird hinzugefügt, dass dies zur Erklärung nicht ausreiche. Afrika sei dabei, wirtschaftlich in die Fußstapfen Asiens zu treten, meinte z.B. der 'Economist' im oben erwähnten Bericht vom Dezember 2011. Viele afrikanische Länder gehörten heute zu den am schnellsten wachsenden Ökonomien der Welt, den asiatischen 'Tigern' würden schon bald die afrikanischen 'Löwen' folgen. Angesichts der raschen Industrialisierung in großen Teilen Asiens und der deutlich sinkenden extremen Armut erscheinen solche Vergleiche doch etwas überraschend. Ist das wirtschaftliche Wachstum in Afrika tatsächlich ähnlich breit abgestützt wie das in Asien?
1.1 Ein Paradies für Investoren?
Dass die meisten dieser Erfolgsmeldungen aus der Finanzindustrie stammen, kann dabei nicht überraschen – diese ist ständig auf der Suche nach attraktiven Anlagefeldern, die sie den in Geld schwimmenden und händeringend nach attraktiven Investitionsmöglichkeiten suchenden Investoren anbieten könnte. Liest man einige der entsprechenden Studien, dann ist genau das der Blickwinkel: „Afrikas wirtschaftliches Wachstum schafft wichtige neue Geschäftsmöglichkeiten, die von den globalen Unternehmen oft übersehen werden“, formulierte die McKinsey-Studie von 2010. Diese Botschaft hat unlängst auch 'Bob' Diamond, zuletzt Chef bei der britischen Großbank Barclays, wo er wegen Zinsmanipulationen zurücktreten musste, vernommen. Im Juli 2012 gründete er die Finanzfirma Atlas Mara, mit der er in den afrikanischen Markt investiert, wobei unter „investieren“ in diesem Fall der Aufkauf von afrikanischen Bankbeteiligungen verstanden wird, darunter der ABC-Bank in Botswana und der Entwicklungsbank von Ruanda (BRD). Beides sind mehr oder weniger öffentliche Banken, teilweise Eigentum von Regierungen und internationalen Entwicklungsagenturen wie der International Finance Corporation (IFC) der Weltbank bzw. der deutschen DEG, inzwischen eine Filiale der KfW. Wie das Wirtschaftsmagazin „Forbes“ mitteilte, plant Atlas Mara im Fall von BRD den Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung von 77 Prozent, faktisch geht es also um eine Privatisierung. Den Anlegern von Atlas Mara werden attraktive Renditen in Aussicht gestellt. „Die besten Afrika-Fonds schafften 2013 Zuwächse im hohen einstelligen oder kleinen zweistelligen Bereich, 2014 steht bisher meist ein kleines einstelliges Plus da“, dämpft die „Zeit“ (8.5.2014) überzogene Hoffnungen von Investoren.
Worauf stützen sich die Hoffnungen der Finanzanalysten und Investoren, was hat sich im vergangenen Jahrzehnt in Afrika so grundlegend geändert, dass der ehemalige Krisenkontinent heute als attraktive Anlagemöglichkeit gesehen wird? Wenn wir das einleitende Zitat von Dambisa Moyo zum Ausgangspunkt nehmen, so stellen sich zwei Fragen:
• Stimmt das Bild vom boomenden Kontinent, und, wenn ja, was sind die tragenden Kräfte dieses Booms, ist er nachhaltig?
• Handelt es sich in Afrika tatsächlich um „capitalism in its true form“, um „wahren“ Kapitalismus. Kann die in Afrika dominierende Produktionsweise als Kapitalismus beschrieben werden?
1.2 Afrika – mehr als ein geografischer Begriff
Wenn im Folgenden von Afrika gesprochen wird, so sind immer – wenn nicht ausdrücklich erwähnt – die 48 bzw. 49 (4) Länder Afrikas Südlich der Sahara (ASS) gemeint; die fünf nordafrikanischen Länder werden ausgeklammert.(5) Dies ist insofern gerechtfertigt, als diese sowohl historisch als auch aktuell eher zum Mittelmeerraum und zum Nahen Osten gehören, wobei die vielfältigen und engen historischen Beziehungen einiger dieser Länder – insbesondere Ägyptens – mit dem übrigen Afrika nicht geleugnet werden sollen. Zudem wird Afrika Südlich der Sahara hier mehr oder weniger als einheitlicher Block behandelt, obwohl bewusst ist, dass gerade die ökonomische, politische und kulturelle Vielfalt eine Besonderheit des Kontinents ist. Eine besondere Rolle spielt die Südafrikanische Republik (RSA), die ein entwickeltes kapitalistisches Land ist, allerdings mit besonderen Merkmalen.
Trotz der großen Vielfalt hat Afrika Südlich der Sahara einige gemeinsame Merkmale, die eine einheitliche Behandlung rechtfertigen:
• Ausgehend von der historisch dünnen Besiedlung und der ökologischen Bedingung relativ unfruchtbarer Böden hat sich in Afrika eine vorwiegend extensive Landwirtschaft entwickelt, auf deren Grundlage sich überall ähnliche gesellschaftliche Institutionen herausgebildet haben. Diese waren durch die Abwesenheit privaten Eigentums an Grund und Boden (dem wichtigsten Produktionsmittel), durch wenig mit der Produktion verbundene und schwache (nur teilweise zentralistische) Herrschaftsstrukturen, eine weitgehend fehlende Schriftkultur und eine schwache Ausprägung von Klassenverhältnissen gekennzeichnet.
• In Europa wird Afrika noch heute als Einheit angesehen, was sich bis in die sprachlichen Gewohnheiten hinein nachweisen lässt.(6) Dieser Außensicht entspricht aber auch eine bestimmte Selbstwahrnehmung: Die große Mehrheit der Bürger afrikanischer Länder fühlt sich – wie z.B. eine Umfrage der BBC von 2004 deutlich machte – ebenso als Afrikaner wie als Bürger eines bestimmten afrikanischen Landes. Afrikaner im nicht-afrikanischen Ausland fühlen sich in viel höherem Maße miteinander verbunden als es z.B. Europäer in Afrika oder anderswo tun.
• Schließlich ist darauf zu verweisen, dass sich der Kontakt zu Europa in der Neuzeit (Transatlantischer Sklavenhandel, Kolonialismus, Neokolonialismus und Strukturanpassung) auf die Regionen bzw. Länder Afrikas vereinheitlichend ausgewirkt hat. Die ökonomischen und politischen Folgen der Kolonialregime und der nachkolonialen Ausbeutungsbeziehungen mit ihrem entwicklungsfeindlichen Fokus auf Nutzung afrikanischer Arbeitskräfte und afrikanischen Landes zum Zwecke der Rohstoffbeschaffung sorgen bis heute für relativ einheitliche Strukturprobleme des Kontinents, auch wenn die Fähigkeit der einzelnen Länder, mit diesen umzugehen, durchaus unterschiedlich waren und sind. (Goldberg 2008, S. 21 ff.; Bierschenk/Spies 2010, S. 9/10)
[1] FT v. 6.2.2012; die englischen und französischen Originalzitate werden im Folgenden vom Autor übersetzt.
[2] Dominic Johnson, Afrika vor dem großen Sprung, Berlin 2011. Kritisch dazu: Jörg Goldberg, Weltwirtschaft & Entwicklung, Mai 2011.
[3] McKinsey Global Institute, Lions on the move: The progress and potential of African economies, London, June 2010.
[4] Der Süd-Sudan als 49. subsaharisches Land wurde erst 2011 unabhängig.
[5] Diese Unterscheidung wird in den Medien oft nicht gemacht, was dann nicht selten zu Missverständnissen führt.
[6] Im Februar 2014 verkündete die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen: „Ich fliege jetzt nach Afrika um mir vor Ort ein Bild zu machen.“