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Heft 50: Die Klasse

Begriff und Gebrauch in der Gesellschaftskritik vor, bei und nach Marx

Von: Frank Engster

Heft 50: Die Klasse

Reihe "Philosophische Gespräche", Heft 50, 2018, 68 S.
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Autor:
Frank Engster,
Dr., wissenschaftlicher Mitarbeiter der "Hellen Panke" und bei Marx200, hat Das Geld als Maß, Mittel und Methode. Das Rechnen mit der Identität der Zeit veröffentlicht sowie weitere Texte, die um die Technik des Geldes und den Zusammenhang von Maß, Geld, Quantifizierung und Zeit kreisen.
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INHALT

Einführung

1. „Klasse“ vor Marx
1.1 Der Zerfall der ständischen Ordnung
1.2. Klassifizierung und „Making of Class“
1.3. „Building the Class“: das Kapital

2. „Klasse“ bei Marx
Die „Unschärferelation“ zwischen dem Ökonomischen und dem Politischen

3. „Klasse“ nach Marx
1. Sequenz: Klassischer Marxismus
2. Sequenz: Klasse im Westlichen und heterodoxen Marxismus
3. Sequenz: Die neuen Marx-Aneignungen der 1960er Jahre

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REZENSION

Rezension des Heftes von Tom Strohschneider bei oxi:

Frank Engster und Hans-Günter Thien untersuchen »die Klasse«. Was Linke davon lernen könnten? Manches, wo »neu« draufsteht, gibt es schon ziemlich lange. Anmerkungen zur Debatte um die »Klassenpolitik« und zu zwei Büchern, mit denen sich rote Fäden wieder aufnehmen ließen, ohne in alte Verhedderungen zurückzufallen. Mehr...

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LESEPROBE

Einführung

Der Text soll in einem kurzen Parforceritt durch die Geschichte einen groben Überblick geben über Begriff und Gebrauch der Klasse. Mit „der“ Klasse ist natürlich „die“ Klasse gemeint, also die Arbeiterklasse oder das Proletariat. Der Überblick wird weder zeigen, wie die Klasse sich selbst artikuliert und verstanden hat, noch wie sie sich empirisch und geschichtlich entwickelt und gewandelt hat. Es geht allein um die verschiedenen Bestimmungen und den Gebrauch, welche die Klasse im Zuge der Kritik der kapitalistischen Gesellschaft erfahren hat, und hier können für eine erste Orientierung wiederum lediglich die großen Entwicklungslinien und Umbrüche skizziert werden.

Dieser indirekte Zugang zur Klasse ist aber bereits vielsagend und nimmt vielleicht sogar das Fazit des Ganzen schon vorweg: Der Status der Klasse kann weder durch ihr Selbstverständnis noch durch empirische Beobachtungen und wissenschaftliche Untersuchungen vollständig erschlossen werden, weil die Klasse darin nicht aufgeht. Sie war immer mehr als ein empirischer Fakt und ein politischer und sozialer Faktor, sie war vielmehr immer auch Objekt wie Subjekt eines Begehrens, einer Hoffnung und einer Erwartung gewesen – und damit auch der Ernüchterung und der Enttäuschung.

Der Durchgang wird, statt zu einer immer klareren oder gar endgültigen Bestimmung der Klasse zu führen, eine ständige Verschiebung mit sich bringen. Durch die Verschiebungen hindurch wird die Bedeutung, welche die Klasse für die Kritik der kapitalistischen Gesellschaft hatte, einen großen Aufstieg und einen ebenso großen Niedergang erfahren. Was jedoch eigentlich verschoben wird, was aufsteigt und niedergeht und sich letztlich ebenso entzieht wie hervortritt, ist erneut weniger die Klasse selbst, sei es als empirischer Fakt oder politischer und sozialer Faktor, sondern wofür die Klasse steht, und so stellt sich am Ende vielleicht heraus, was durch alle Verschiebungen hindurch und unbeirrt von Aufstieg und Niedergang der Klassenpolitik insistiert und gleichsam auf sich beharrt. Die Aufgabe des Darstellungsgangs soll daher „nur“ sein, dass durch all die Verschiebungen hindurch erschließbar wird, wofür die Klasse in der Kapitalismuskritik eigentlich stand und was vielleicht das Zeitlose sein könnte.

Da der Begriff der Klasse seine Bestimmung zunächst vor allem durch Karl Marx erhalten hat und dann nach Marx durch die Geschichte des Marxismus geradezu beherrscht wurde, bietet es sich an, den Überblick in drei Abschnitte aufzuteilen, nämlich in die Anfänge des modernen Klassenbegriffs in der Zeit vor Marx, dann in die Entwicklung des Klassenbegriffs bei Marx selbst, und schließlich in den Klassenbegriff in der Gesellschaftskritik nach Marx. Kurz Klasse vor, bei und nach Marx.

Da das „nach Marx” wiederum die gesamte wechselvolle Geschichte des Marxismus umfasst, soll diese Geschichte der „Klasse nach Marx“ erneut durch drei Sequenzen unterteilt werden. Die Sequenzen sind weniger an jeweils neuen Bestimmungen oder Umbrüchen im Klassenbegriff selbst orientiert als an den Umbrüchen, die allgemein für die „Kritik nach Marx” gemeinhin konstatiert werden.[1] Gleichwohl bildet diese allgemeine Kritik den Kontext, in den der jeweilige Gebrauch der Klasse und ihre Bestimmung gestellt werden muss.

Jede der drei Sequenzen dauerte rund 50 Jahre. Die erste Sequenz sind die Generationen, die meist „klassischer“ oder „traditioneller Marxismus“ genannt werden. Sie beherrschten die Zeit von Marx’ Veröffentlichung des ersten Bandes des Kapital 1867 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs und zur Russischen Revolution 1917. Die zweite Sequenz werden dann der WWestliche uand heterodoxe Marxismus, die Strömungen des Linkssozialismus und Linkskommunismus und die Kritische Theorie sein. Und die dritte Sequenz sind dann die neuen Marx-Aneignungen, die in 1960er Jahren angefangen haben und die ein nahezu globales Phänomen waren. Sie werden schließlich zur aktuellen Situation führen, die durch zwei Entwicklungen gekennzeichnet ist, zum einen durch „Intersektionalität“ und zum anderen durch den so genannten Post-Marxismus.

[1] Vgl. etwa Anderson, Perry: Über den westlichen Marxismus. Frankfurt/M. 1978; Elbe, Ingo: Marx im Westen: Die neue Marx-Lektüre in der Bundesrepublik seit 1965. Berlin 2010, S. 12 ff. Solche historischen Einteilungen sind höchst umstritten, weil sie dort Einteilungen vornehmen, wo Überschneidungen, Überlagerungen und Ungleichzeitigkeiten vorherrschen. Eben darum sind solche gewaltsamen Einschnitte aber auch produktiv.

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