Gerade nach dem Zweiten Weltkrieg hatte man die Erfahrung eines antifaschistischen Widerstands und den Bezug auf Marx als Ausgangspunkt der Reflexion auch auf theoretische Gehalte aufgenommen. Gramsci hatte darauf schon zu einem früheren Zeitpunkt reflektiert. Es ist also, setzt man hier an, zu fragen, welche marxistische Diskussion und welche Theorie hier aufgenommen wurde, welche Perspektive der Theorie und Politik damit eröffnet wird und vor allem, mit welchem Marx da operiert wird. In der Perspektive gesellschaftlicher Emanzipation ist hier Aufklärung angesagt.
Diesem Anliegen widmen sich Dr. D. Behrens und Kornelia Hafner in einer wissenschaftlichen Arbeit und wenden sich mit Publikationen und Vorträgen an eine interessierte Öffentlichkeit. So auch mit diesem Vortrag und der daraus hervorgegangenen Publikation, der in Kooperation mit dem Institut für Sozialtheorie Bochum e.V. im April 2018 im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Philosophische Gespräche“ der "Hellen Panke" e.V. – Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin stattgefunden hat.
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AutorInnen:
Dr. Diethard Behrens, Kornelia Hafner
gehören zu den Mit-InitiatorInnen der 1992 ins Leben gerufenen Marx-Gesellschaft (Hamburg), die sich um die kritische Rekonstruktion der Marx`schen Theorie und der dieser zugrunde liegenden Texte bemühte. Von ihnen erschien zuletzt das Buch: Westlicher Marxismus. Eine Einführung, Stuttgart 2017.
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INHALT
Diethard Behrens, Kornelia Hafner
Marxismus – Emanzipation und Politik
Gramsci und Sartre oder zu einigen Elementen aus der Publikation
„Westlicher Marxismus. Eine Einführung“
I. Das Problem oder der Westliche Marxismus
II. Historisches – oder Vorgeschichte
III. Italien und Gramsci
IV. Sartre und der Existentialismus als Politik und Philosophie
A. Ausgangspunkt Kojève
B. Sartres Werdegänge
C. Philosophischer Individualismus
D. Hegel-Diskussion
E. Sartre und Heidegger
F. Auf dem Weg zu Sozialwissenschaft und Politik
V. Facit
VI. Ein Nachtrag
Kornelia Hafner
Thesen zum Anarchismus
LESEPROBE
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Marxismus – Emanzipation und Politik
Gramsci und Sartre oder zu einigen Elementen aus der Publikation
„Westlicher Marxismus. Eine Einführung“
I. Das Problem oder der Westliche Marxismus
Westlicher Marxismus ist vor allem
linke Oppositionsbewegung.
Der „Westliche Marxismus“ scheint Herausforderung zu sein. Die Frage, was dieser denn sei und wie man auf ihn reagieren solle, hat Perry Anderson zu einem Versuch einer Auseinandersetzung gebracht. Er versteht den Westlichen Marxismus als eine „übergreifende intellektuelle Tradition“, der er die „richtige revolutionäre Theorie” entgegenstellt, die nur im Zusammenhang mit der Praxis, der Massenbewegung, Geltung beanspruchen könne. Diese Einheit von Theorie und Praxis sei in den Figuren genialer politischer Führer, dem großen politischen Taktiker Lenin und auch Trotzki, gegeben. Anderson versucht gleichwohl den „westlichen Marxismus“ in Differenz zu diesen einzuordnen. Das geschieht in drei Punkten, die um einen vierten zu ergänzen sind.
Anderson versucht gleichwohl den „Westlichen Marxismus“ in Differenz zu diesen politischen Führern einzuordnen. Das geschieht in drei Punkten, die um einen vierten zu ergänzen sind.
- Er operiert mit geographischen Bestimmungen, um den westlichen in Differenz zu „dem“ Marxismus auszuweisen.
- Der „Westliche Marxismus“ wird als eben nicht dieser Theorie-Praxis-Einheit zuordenbar begriffen und es wird postuliert, dass in jenem diese Einheit zerbrochen sei.
- Er wird erachtet als kulturistisch-philosophische und pessimistische Reaktion, als Regressionsform angesichts der Niederlage der Arbeiterbewegung gegen den Faschismus. Gleichwohl will Anderson von ihm einige brauchbare Elemente in „den“ Marxismus aufnehmen.
- Und, so ist hier zu ergänzen: Der westliche Marxismus lässt sich als Alternative in Konkurrenz zum traditionalen Marxismus präsentieren, sei dieser minderheitlich virulent im marxistischen Flügel der Sozialdemokratie nach 1918, sei dieser präsent als stalinistischer Kommunismus wie er spätestens ab 1924 sichtbar wurde.
Dass das Schema geographischer Zuordnung problematisch ist, wird an Lukács, Grossmann und Rubin klar, bei denen es zweifelhaft bleibt, wozu sie gerechnet werden sollen.
Auch die Kriterien, die auf die politischen Führer der Arbeiterbewegung zugeschnitten werden, treffen zugleich auf Otto Bauer (Minister), Georg Lukács (Volkskommissar) und als Parteiführer auch auf Antonio Gramsci zu.
Westlicher Marxismus als Regressionsform scheint hingegen den Skeptizismus der Kritischen Theorie zu treffen, auch wenn betont werden muss, dass dieser Skeptizismus seit den 30er Jahren ein antistalinistischer ist. Aber auch diese Zuordnung ist Zeugnis eines restringierenden Blicks: Er unterschlägt, dass es mit der Gründung des „Instituts für Gesellschaftswissenschaften“ durch Felix Weil, Leitung Carl Grünberg, eine Kooperation mit Berlin und Moskau in Bezug auf die Publikation der MEGA1 gegeben hat. Der Skeptizismus, der vor allem die Kritische Theorie der 40er Jahre kennzeichnet und der in den 50er Jahren sich wieder abgeschwächt hat, galt nicht nur der Durchsetzung des NS, sondern auch dem Umstand, dass Alternativen durch den Stalinismus, spätestens seit den Schauprozessen der 30er Jahre, verstellt schienen. Und was den angeblichen Kulturalismus betrifft, so kann man die Betonung der Bedeutung der Kultur für die Arbeiterbewegung schon vor 1914 finden: Bei Franz Mehring, Antonio Labriola, (der prämarxistische) Georg Lukács sowie Antonio Gramsci.
Schließlich ist auf den Versuch zu verweisen, Alternativen zur sowjetischen Politik zu formulieren. Das beginnt schon früh in der deutschen Diskussion sowie bei Vertretern eines polnischen resp. litauischen Marxismus, in Italien schon vor Mussolinis Machtergreifung, bei Amadeo Bordiga später ausformuliert, zeitweilig bei Trotzki und dem Versuch eines großen Bündnisses in der zweiten Hälfte der 20er Jahre und ist mit dem Versuch der POUM im spanischen Bürgerkrieg noch nicht zu Ende.
Was also, wenn diese Zuordnungen sich als problematisch erweisen, ist dann Westlicher Marxismus? Bevor zu diesem übergegangen werden kann, ist erst einmal auf die kritische Auseinandersetzung innerhalb der alten Sozialdemokratie zu verweisen, bevor diese 1914 ein gewolltes Ende findet.
Wenn es etwas Gemeinsames beim Westlichen Marxismus gibt, so ist das auf eine oppositionelle gemeinsame Position zu beziehen. Diese gilt in den Frühformen, in der Vorgeschichte bei der von uns vorgenommenen Zentrierung, der Theorie und Praxis sozialdemokratischer und sozialistischer Parteien, später gilt sie dann gegenüber dem Stalinismus, zu dem einige Vertreter ein zeitbedingtes taktisches Verhältnis an den Tag legen, während andere in ihrer Kritik weitergehen und das, was sich sukzessiv als Leninismus zu etablieren beginnt, einbegreifen. Die Vorstellung dieser Positionen ist hier in der vorliegenden Broschüre exemplarisch auf zwei beschränkt: Gramsci und Sartre. Sie vollzieht indes methodisch eine Doppelbewegung: Kritik des Leninismus oder des Stalinismus in der Perspektive des Westlichen Marxismus und Aufweis der Grenzen und Schranken dieser Kritiken.