Von: Uwe Behrens
Reihe "Pankower Vorträge", Heft 229, 2020, 68 S.
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Der vorliegenden Publikation liegt der Vortrag des Autors in der Veranstaltungsreihe der „Hellen Panke“ im SENIORENKLUB im KARL-LIEBKNECHT-HAUS in Berlin am 4. Februar 2020 zugrunde. Im Vortrag zur neuen Seidenstraße wird nach einem kurzen Blick auf die Geschichte sowie den Umfang der Investitionen vor allem der Frage nachgegangen, warum China diese Initiative ins Leben gerufen hat.
Autor
Dr. Uwe Behrens
Transportökonom, lebte 27 Jahre in China und Indien;
bis 1989 leitender Mitarbeiter im Verkehrswesen der DDR;
1990 bis 2010 Managing Direktor in internationalen Logistikfirmen in China und Indien;
ab 2011 Rentner
INHALT
I. Kurzer Blick auf die Geschichte
Die erste Renaissance der „Seidenstraße“
Chinesischer propagandistischer Coup
Die kommunistischen Staatskapitalisten wollen die Welt beherrschen
II. Die Routen der One Belt One Road Initiative
Die traditionellen Eisenbahnverbindungen
Die Straßen/Highways als wirtschaftliche Korridore
Die Pipelines
Die maritime "Seidenstraße“
Kurzer Überblick über die Projekte an den Straßen- und Wirtschaftskorridoren
Ausgewählte Projekte in den Ländern der BRI Organisationen der BRI
Investitionen auf der „Neuen ´Seidenstraße`“
III. Wieso konnte China so erfolgreich sein?
Die Antwort hat nicht lange auf sich warten lassen
IV. Warum initiiert China die BRI und investiert solche enormen Mittel für dieses Projekt?
1. China hat im Laufe der Geschichte viele schwere Demütigungen
und negative Erfahrungen hinnehmen müssen
2. Wie jedes souveräne Land bemüht sich die VR China weder politisch noch ökonomisch erpressbar zu sein
3. Infrastruktur als Finanz- und Wachstumsmotor
4. VR China baut eine eigenständige, hoch entwickelte Wirtschaft auf – Modell der BFI?
5. Die VR China sucht neue unabhängige Absatzmärkte
6. Produktionsstätten nahe der Verbraucherzentren – niedrigere Lohnkosten
7. Überkapazitäten
8. Unabhängiges Finanzsystem
9. Die Schuldenfalle
10. Bildung/Digitalisierung
11. Nur ca. 20 % der Fläche erlaubt eine landwirtschaftliche Nutzung
12. Grünes China
V. Was hat Konfuzius mit der OBOR-Initiative zu tun?
VI. Die „Neue ´Seidenstraßen`-Initiative“ ist eine historische Notwendigkeit!
Quellen
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LESEPROBE
I. Kurzer Blick auf die Geschichte
Freiherr Ferdinand von Richthofen veröffentlichte 1877 einen fünfbändigen Reisebericht über seine mehrjährigen Forschungsreisen nach und durch China, wobei er erstmalig den Begriff „Seidenstraße“ nutzte. Er bezog sich bei der Namensgebung auf Wegstrecken, auf denen chinesische Seide vom Han-Reich (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.) nach Zentralasien transportiert wurde.
Obwohl er noch nicht einmal die gesamten Verkehrsverbindungen betrachtete, übernahmen andere Forscher und Wissenschaftler den Namen für ein Geflecht von Handelsrouten, für einen Mythos über sagenhaften Reichtum im Osten, über die Verbreitung von Religionen sowie von politischen und militärischen Allianzen.
Was wir im Allgemeinen unter dem Begriff „Seidenstraße“ verstehen, nämlich eine einzelne Straße, Verkehrsverbindung, existierte und existiert nicht. Aber es existierten bis heute eine Vielzahl von Transportrouten zwischen Asien, Zentralasien und Europa, auf denen Waren gehandelt wurden, sich Kulturen und Religionen ausbreiteten sowie geopolitische und geostrategische Allianzen geschlossen und gebrochen wurden. Erste historische Belege und archäologische Beweise über den Handel von chinesischer Seide zwischen China und dem heutigen Europa reichen zurück bis 1200 v. Chr., der Zeit der Shang-Dynastie (1766–1046 v. Chr.).
In Ägypten wurde eine in Seide eingewickelte 3.000 Jahre alte Mumie gefunden! Also vor 3.000 Jahren musste der Handelsweg von China nach Ägypten schon bestanden haben. Historiker datieren die Erfindung der Seidenproduktion auf 3.000 Jahre v. Chr., aber erst mit der Domestizierung des Kamels als Reittier und Lastenträger konnte sich der Handel von Seide über die jeweiligen Teilstrecken entwickeln. Mit den Persern und später den Turkvölkern traten Vermittler zwischen Ost und West in die Geschichte.
Konkrete und schriftliche Aufzeichnungen über den Verlauf der Routen liegen erst aus der Zeit der Han-Dynastie vom chinesischen Gesandten Zhang Qian (gest. 113 v. Chr.), der im Auftrage des Kaisers nach Zentralasien reiste, um mit im heutigen Gebiet Usbekistans und Afghanistan lebenden nomadischen Stämmen Allianzen gegen die “Hunnen” zu schließen, vor. Wie aus diesen Berichten bekannt ist, verlief der Handel nicht direkt, sondern über viele Handelsstationen, Oasen-Städte, kulturelle, religiöse und politische Zentren. Es ist anzunehmen, dass ein Ballen Seide mehrere Jahre unterwegs war, den Eigentümer mehrmals wechselte, bevor sich in Rom die aristokratischen Damen damit schmücken konnten.
Diese traditionelle “Han-Dynastie-Route” verlief von der damaligen imperialen chinesischen Hauptstadt Chang’an, heute Xi-an, über Wuwei, durch den Hexi-Korridor, über Dunhuang und Turpan in der Wüste Gobi, nach Urumqi in der heutigen Xinjiang Provinz und weiter durch das kasachische Grasland. In der Oasenstadt Dunhuang teilte sich die Route auf, in einen südlichen und nördlichen Arm, um die Wüste Taklamakan herum, durch die Oasen Turpan oder Kuche und dann weiter a) über Kaschgar, Samarkand, Buchara nach Mali, im heutigen Iran, weiter nach Teheran, Bagdadad bis nach Rom und später Venice.
Eine andere Route b) führte über Kaschgar südlich über das Karakoram nach Islamabad, im heutigem Pakistan.
Während der Han-Dynastie entwickelte sich der Handelsaustausch, als Mittel der chinesischen Außenpolitik, zwischen China und den Völkern Zentralasiens und weiter mit Europa sprunghaft. Der Austausch umfasste nicht nur Handelsgüter, wie Seide, Jade und Chinaware, sondern auch Waffen aus dem antike Europa und “Geschenke” zur Erhaltung der Allianzen, respektive der Freundschaften, die diplomatischen Interessen dienten – also schon damals spielten geostrategische Aspekte eine Rolle.
Auch war der Handel nicht nur, doch überwiegend, in Ost – West – Richtung, was zu einem Abfluss von Gold und Silber aus dem Römischen Reich führte, sondern auch in umgekehrter Richtung. So kamen über diese Routen die zentralasiatischen Pferde, zentralasiatische und europäische Früchte und Gemüsesorten, wie die Wassermelone (Xigua – Westmelone) oder die Tomate (Xihongshi – westrote Frucht) nach China.
Die Zeit der Han-Dynastie war die klassische Ära der antiken „Seidenstraße“, als am Mittelmeer, in Mesopotamien, in Persien, sowie in Zentralasien und China einige große Imperien regierten, die die Handelsrouten absicherten. Mit dem Erstarken oder Verschwinden der verschiedenen nomadischen Völker oder auch sesshaften Imperien war das Reisen auf der „Seidenstraße“ zeitweilig sehr unsicher, aber auch zeitweilig sehr geschützt. Um eine Vorstellung davon zu bekommen, sei nochmals die Reise des chinesischen Mönches Zhang Qian genannt, der im Jahre 147 BC im Auftrage des chinesischen Kaisers nach Zentralasien reiste. Die Reise dauerte 13 Jahre. Der Mönch verlor alle seine 98 Mitglieder der Begleitung und musste während der Reise sogar eine Häuptlingstochter heiraten.
Die Geschichte der „Seidenstraße“ spiegelt sehr gut die These wider, dass dem Handel die Kulturen und Religionen folgen. Schon vor der Zeitenwende breiteten sich der griechische und persische Glauben nach Zentralasien aus – die Säulen errichtet vom indischen Koenig Ashoka stellen ein anschauliches Zeugnis dar. Auf im nordwestlichen Indien errichteten Säulen wurden Inschriften in Griechisch und Aramäisch gefunden. Vom Westen nach Osten kamen die griechischen Götter und die persischen Religionen und später auch der Buddhismus, das Christentum sowie der Islam. Umgekehrt erschien im Westen das Gedankengut der chinesischen Philosophen und das Wissen der alten Chinesen, wie die Herstellung von Papier und des Schießpulvers.
Schon der griechische Historiker Herodot (480–429 v.Chr.) erwähnt die Handelsverbindung. In chinesischen Museen kann man heute griechische Kunst bewundern, die auch in Gräbern der Wüstenoasen Turfan oder Dunhuang gefunden wurde. Der Handel auf der „Seidenstraße“ erfolgte über tausende Jahre mehr oder weniger stark und sicher, jeweils abhängig von den herrschenden Mächten. Eine nicht unbedeutende Rolle spielte dabei auch Alexander der Große, der 330 BC bis nach Afghanistan kam. Annähernd zur gleichen Zeit breitete sich der Buddhismus über die verschiedenen Wege der „Seidenstraße“ nach China aus.
Der Untergang der Han-Dynastie sowie auch der langsam einsetzende Untergang des Römischen Reiches brachten einen deutlichen Rückgang des Handels auf der „Seidenstraße“ mit sich. Es gab praktisch nur noch Grenzhandel – Bartertrade zwischen den Oasen und den nomadisierenden Stämmen des zentralasiatischen Graslandes. Erst während der Tang-Dynastie (618–907) konsolidierte sich die Macht Chinas wieder und der Druck des Handels nahm wieder zu.
Von außerordentlicher Bedeutung für die weitere kulturelle Entwicklung Chinas war die Reise des chinesischen Mönches Xuanzang nach Westen von 630 bis 643. Seine Reise entlang des chinesischen Teils der „Seidenstraße“, durch Afghanistan, Indien bis nach Sri Lanka und zurück über den Seeweg nach Südchina diente der Sammlung buddhistischer Schriften, die bis dahin in China noch nicht bekannt waren. Er brachte 657 buddhistische Texte mit, die er im Auftrage des Kaisers übersetzte. In der Folge verbreitete sich der Buddhismus rasant, der aber auch von der daoistischen chinesischen Führungsschicht akzeptiert wurde. Die buddhistischen Grotten in Kuche, Turpan oder Dunhan lassen uns noch heute die Aktivitäten auf der „Seidenstraße“ erahnen.
Im 9. Jahrhundert traten die Araber, der Islam, auf der Weltbühne auf, errichteten im westlichen Teil der „Seidenstraße“ verschiedene Kalifate, die sich zwar gegenseitig bekämpften, aber trotzdem den Warenaustausch förderten.
Die Ausbreitung des Islam’s nach Osten wurde nach einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen einer islamischen und einer chinesischen Armee 751 n. Chr. bei Talas, heutigen Kyrgyzstan, gestoppt. Die Reiche grenzten sich ab – der Handel erlahmte für Jahrhunderte!
Während des 10./11. Jahrhunderts war der westliche Teil der „Seidenstraße“ wieder so weit konsolidiert, dass ein gewisser Druck von Seiten der Diplomatie und des Handels für das Wiederbeleben der „Seidenstraße“ entstand, die allerdings sich wegen der mongolischen Eroberungen in Europa nicht durchgehend entwickeln konnte. Das änderte sich mit Herrschaft von Dschingis Khan (1162–1227), der durch die Festigung seines Reiches die „Seidenstraße“ wieder sicherer machte.
Die Mongolen restaurierten die alten Mauerbauten, die schon seit Jahrhunderten China gegen die westlichen Reitervölker schützten, belebten aber auch wieder die “Karawansereien”, in denen Händler sicheren Schutz fanden.
In diese Zeit fällt es, dass die Händler wie Marco Polo oder Francesco Pegolotti, auch Missionare wie Johannes Plano di Carpine oder Wilhelm von Rubruck die Route bereisten und so wundervolle Berichte mit nach Europa brachten, die insbesondere den Mythos der sagenhaften “Straße in den Orient”, mit Palmen umstandenen Oasen, mit goldenen Tempeln, schönen Haremsdamen und Moscheen festigten.
Wahrend der Yuan Dynastie (1279 bis 1368) lebten viele “Nicht-Asiaten”, Europäer, im mongolisch beherrschten China. Die Gesellschaft war hierarchisch in vier Klassen eingeteilt: 1. Menschen mit farbigen Augen, 2. Mongolen, 3. Nordchinesen und 4. Südchinesen. Die Stellung Marco Polos am chinesischem Hofe war keine außergewöhnliche Besonderheit!
Mehrfach reisten franziskanische und dominikanische Missionare über die Routen der „Seidenstraße“ und brachten viele Berichte, die uns heute den Aufschluss über die rege Handelstätigkeit mit Seide und Gewürzen geben, denn wo Missionare hinreisen konnten, da waren die Händler bereits da. Im 14. Jahrhundert (1368) brach die Yuan-Dynastie, das Mongolen-Reich, zusammen, die traditionelle „Seidenstraße“ kam fast komplett zum Erliegen, doch die Pest fand noch den Weg über Indien nach Europa.
Die Ming-Dynastie, die der Mongolen-Herrschaft folgte, wandte sich mehr dem seeseitigen Handels- und Diplomatieaustausch zu. Vermutlich war das Handeln auf der klassischen „Seidenstraße“ wegen der kriegerischen Reiterheere nach Dschinghis Khan unter Timur, aus dem heutigem Usbekistan, zu gefährlich, sodass die Ming-Kaiser den Seeweg als eine Alternative suchten.
Unter dem zweiten Ming Kaiser, Zhu Di (1402–1424), waren die legendären Dschunken-Flotten des Admirals He bis nach Afrika, dem heutigen Somalia, unterwegs. Sie knüpften diplomatische Kontakte und organisierten Handelsverbindungen auf der gesamten Route, im heutigen Sri Lanka, Bangladesh, Indien, Pakistan und dem Iran. Auf sieben Reisen führte er zwischen 1405 und 1433 große Flottenverbände. Auf der ersten Reise sollen es 62 Schiffe mit 28.000 Mann Besatzung gewesen sein. Das Ziel der Reisen war der Handel, aber auch die Eintreibung von Tribut- Forderungen und diplomatischer Unterwerfung. Aufgrund der hohen Kosten und der daraus folgenden Unruhen in China, der zunehmenden Steuerbelastung, stellten die Ming-Kaiser diese Expeditionen ein und begannen damit die Politik der Abschottung gegenüber dem Rest der Welt.
Knapp hundert Jahre später, 1516, basierend auf dem wissenschaftlich/techni-schen und wirtschaftlichen Fortschritt der Renaissance, erreichten die Portugiesen das Reich der Ming-Kaiser um das Kap der Guten Hoffnung. Die Ming-Kaiser hatten sich in der Zwischenzeit vollkommen zurückgezogen und die Flotten abgewrackt. Die Große Mauer, der heute als Große Mauer bekannte und besuchte Teil der chinesischen Mauer, wurde auf- und ausgebaut.
Ein interessantes geschichtliches Randereignis, aber mit in die Zukunft weisender Bedeutung, ist, dass der Portugiese Heinrich der Seefahrer zum Administrator des Ordens der Christusritter, die das Erbe der Templer erhielten, ernannt wurde und somit ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung hatte, um mit Unterstützung des Papstes eine Flotte zur Suche des legendären christlichen Priesterkönigs Johannes ausrüsten zu können. Heinrich der Seefahrer war sicherlich mehr an der Erkundung des Seeweges zu den Quellen des Gewürzhandels Indiens interessiert, als einen imaginären Priesterkönig zu finden.
Basierend auf den Entdeckungen Heinrich’s des Seefahrers eröffneten die Europäer die maritime „Seidenstraße“ um die Südspitze Afrika’s nach Südchina und ganz Asien, kolonialisierten Länder, führten Kriege, missionierten und brachten den Menschen im Namen ihrer christlichen Mission Leid statt Wohlstand.
In den folgenden Jahrhunderten spielte die traditionelle „Seidenstraße“ nur noch eine lokale Rolle – nicht bedeutend für den “interkontinentalen” Austausch. Der interkontinentale Austausch verlagerte sich ausschließlich auf die Seeroute, die anfänglich nur durch Portugal, später auch von Holland, England und anderen seefahrenden Nationen betrieben wurde. Auf der traditionellen „Seidenstraße“ konnte man allenfalls Geographen und Historiker, auch Kunst- und Grabräuber finden.
Die von den chinesischen Kaisern gewollte Abschottung war vollkommen und wurde deutlich mit dem berühmten Antwortschreiben des Kaisers Quianlong von 1793 an den englischen König Georg III.: „Wie Euer Botschafter selbst sehen kann, besitzen wir bereits alles. Ich messe fremden oder ausgefallenen Dingen keinerlei Wert bei und habe keinen Bedarf an den Erzeugnissen Eures Landes.“
Von den Religionen, die über die „Seidenstraße“ kamen, hatte in China lediglich der Buddhismus, als eine nicht monotheistische Religion, bei den chinesischen Völkern nachhaltigen Einfluss, da dieser sich mit den chinesischen Lehren des Konfuzianismus, Daoismus sowie den Traditionen der asiatischen Produktionsweise vermischen ließ.
Während der kulturellen Renaissance in der Ming Dynastie (1368–1644) entstand der “chinesische” Buddhismus, gelehrt vom Philosophen Zhou Dunyi. Der chinesische Buddhismus und die Lehren des Ying und Yang, der Balance zwischen Himmel und Erde, der Harmonie wurden staatstragend.
Noch heute lebt dieses Gedankengut im Volk, drückt sich aus in den Entscheidungen der Politiker und ist gegenwärtig in der Strategie der “Neuen `Seidenstraße`”!
Die erste Renaissance der „Seidenstraße“
Bereits in den 80/90er Jahren letzten Jahrhunderts kam es mit der Einführung des Containerverkehrs zu einer Neubelebung der landseitigen Verkehrs- und Handelsverbindungen über die Transsibirische Eisenbahn.
Wieder folgend einer bahnbrechenden wissenschaftlich/technischen Entwicklung, des Entstehens der Elektronik-Industrie in Japan einerseits und der verkehrstechnischen Entwicklung des standardisierten ISO-Containers mit vereinfachten kommerziellen und technologischen Prozessen, konnte der Landtransport über die “Transsibirische Eisenbahn” (TSR) sich zu einer neuen Variante der “Transsibirischen `Seidenstraße`” entwickeln.
Die lange Seestrecke von Japan oder auch China nach z.B. Hamburg durch den Suezkanal von über 20.000 km konnte um ca. 12.000 km verkürzt und die Transitzeit um ca.15 Tage reduziert werden. Diese Transportroute nahm kontinuierlich an Umfang zu und konkurrenzierte den sich ebenfalls schnell entwickelnden Container über See.
Ich persönlich hatte die Gelegenheit als Mitarbeiter einer europäischen Eisenbahngesellschaft verantwortlich am europäischen Vor- bzw. Nachlauf des transsibirischen Eisenbahnverkehrs mitzuarbeiten. 1986 promovierte ich zum Thema “Container-Landbrücken” am Beispiel der TSR. Das Ergebnis meiner Untersuchung war für diese “transsibirische `Seidenstraße`” niederschmetternd: Auf Grund der Unterschiede der Transportkosten Eisenbahn und Seeschifffahrt sowie der Containerlogistik ist die TSR nicht wirtschaftlich. Das bewahrheitete sich auch in der Praxis: die Transporte über die TSR kamen in den 90er Jahren bis auf wenige Projektladungen zum Erliegen. Trotzdem übernahm ich Anfang 1990 das Management einer deutschen Logistikfirma in China, deren Hauptgeschäftsfeld die interkontinentalen Eisenbahntransporte Asien – Europa waren.
Wie ich vorher theoretisch analysierte, konnten wir nicht erfolgreich sein. Als aber im August 1990 der 2. Golfkrieg ausbrach, der Suezkanal gesperrt wurde, die Seefrachtraten auf Grund längerer Reisezeiten stiegen und folglich auch die Schiffskapazitäten knapp wurden, war die “transsibirische `Seidenstraße`” wieder attraktiv! Leider nur für kurze Zeit.
Dieses kurze Zwischenspiel im Handel Asien bzw. Fernost mit Europa veranschaulicht sehr deutlich, wie anfällig die Seetransport-Routen sind. Auf der Seestrecke von Japan/China nach Europa existieren verschiedene neuralgische Punkte, die den gesamten Güterstrom nachhaltig beeinflussen können: Ost- und Südchinesisches Meer, Straße von Malakka, Horn von Afrika/Somalia, Suezkanal. Aus welchem Grund auch immer der Verkehrsweg unterbrochen werden könnte, der Handel würde gravierende Hindernisse erleiden. Die von diesem Handel abhängigen Wirtschaften würden mindestens in Schwierigkeiten kommen.
Das ist als eine der Ursachen zu sehen, warum trotz verkehrsökonomischer Nachteile die transsibirische Eisenbahnverbindungen in den 90er und 2000er Jahren weiter ausgebaut wurden. Die Grenzstationen zwischen China und Russland, Manchouli/Zabaikalsk, China und Mongolei, Zaninuud/Erenhot und China und Kasachstan Alashankou/ Dostyk wurden modernisiert und erweitert. Doch die Transporte über Eisenbahnverbindungen beschränkten sich lediglich auf den bilateralen Warenaustausch China/Russland, China/Mongolei und China/Kasachstan/ Usbekistan/ Turkmenistan/Afghanistan.
Chinesischer propagandistischer Coup
Heute wird der Begriff „Seidenstraße“ durch die chinesische Politik und die erstarkende Wirtschaftskraft für die Landverbindung wiederbelebt. China knüpft an seine Geschichte und an europäische Propaganda und Mythen an, macht sie sich wirtschaftspolitisch und propagandistisch nutzbar. Die Handelsströme kehren sich heute allerdings um: Der Antrieb geht jetzt wieder von Osten nach Westen, auf dem Landweg wie zur See, folgt bei letzterem mit der Gründung von Häfen und Stützpunkten weitgehend dem portugiesischen Modell.
Der Landweg verknüpft die traditionellen Handelsplätze mit einem neuen, modernen Schienen- und Straßennetz in China, in Russland, in der Mongolei, in Kasachstan, in Tadschikistan, Kyrgyzstan, Usbekistan, Turkmenistan, Pakistan und dem Iran. Überraschend für sogenannte Experten und die “gesamte” Welt verkündete der chinesische Staatspräsident Xi Jinping im Oktober 2013 an der Nazarbayev University in Kasachstan die “One Belt One Road Initiative” (kurz: OBOR oder BRI) oder auch die “Neue `Seidenstraße`” genannt.
Für Insider war es nicht überraschend! Ein toller propagandistischer Coup, Europa denkt an Marco Polo und abenteuerliche Reisen! China und Zentralasien erinnern sich: “diese `Seidenstraße` gibt es ja schon immer”.
Seit Xi Jinping’s Ankündigung gewinnt das von China geplante Projekt einer „Neuen `Seidenstraße`“ in der Presse zusehends an Bedeutung und in der Sache an Fahrt. Besonders nach dem fast dreiviertelstündigen Vortrag Xi Jinping’s auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos im Juli 2018 haben die Politiker und Wirtschaftsführer es zur Kenntnis genommen. Die von Präsident Xi Jinping ausgehende Initiative begeistert und erschreckt die Weltöffentlichkeit gleichermaßen. Begeistert sind die Länder, die sich von der Vorherrschaft des US- und westeuropäischen Kapitals unabhängig machen wollen und erschreckt ist natürlich das weltweit herrschende Kapital. Entsprechend sind die Kommentare der Politiker als auch die der Massenmedien. Diese reichen von Warnungen, dass von der Initiative ohnehin nur chinesische, staatliche Unternehmen profitieren bis hin zu Schreckensrufen über die “aggressive, imperialistische Politik” der chinesischen Kommunisten oder auch genannt “Staatskapitalisten”.
Die kommunistischen Staatskapitalisten wollen die Welt beherrschen! ???
Wie der englische Name „One Belt One Road“ bereits andeutet, handelt es sich bei dieser „Neuen `Seidenstraße`“ eigentlich um Wirtschaftsgürtel kombiniert mit Transportstrukturen auf den traditionellen Handelsrouten: