Von: Alexander Amberger
Reihe "hefte zur ddr-geschichte", Heft 154, 2021, 55 S.
Zum Autor:
Alexander Amberger
Dr. phil., Politikwissenschaftler, Promotion zu „Bahro – Harich – Havemann. Marxistische Systemkritik und politische Utopie in der DDR“ (Paderborn 2014); mit Thomas Möbius Herausgeber des Bandes „Auf Utopias Spuren. Utopie und Utopieforschung. Festschrift für Richard Saage zum 75. Geburtstag“ (Wiesbaden 2017), zahlreiche Aufsätze, Rezensionen und Artikel zur Utopiegeschichte, zur DDR-Philosophie und zur (Ideen-)Geschichte der Linken. Seit 2011 Mitarbeiter bei der „Hellen Panke“, seit 2017 Mitglied der Historischen Kommission beim Parteivorstand der Partei DIE LINKE. Alle Publikationen unter www.alexander-amberger.de.
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Inhalt
1. Einleitung
2. Gert Prokop – Leben und Werk
3. Science Fiction vs. Utopie? Begriffe und Abgrenzungen
4. Forschungsstand und einige Worte zur DDR-SF
4.1. DDR-Utopiegeschichte – Abriss
4.2. Warum führt die DDR-SF ein akademisches Nischendasein?
4.3. Der Forschungsstand zu Gert Prokop
5. Prokops dystopische Kriminalgeschichten als klassische Utopie gelesen
6. Prokops Geschichten als Kritik an SED und MfS?
7. Zur Rezeption
8. Schlussbemerkungen
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„Wenn unsere Vorfahren geahnt hätten, wie finster die Zukunft in den STAATEN werden würde“, kommentierte Timothy, „sie wären sicher nie über den großen Teich gekommen.“[1]
„Ohne Phantasie kann man kein Realist sein.“[2]
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LESEPROBE
1. Einleitung
Man stelle sich vor, dass Ende der 1970er Jahre eine Dystopie verfasst wurde, die in der DDR eine sechsstellige Gesamtauflage erfahren hat, als Kurzfassung in der alten Bundesrepublik in einem etablierten Science-Fiction-Verlag (Heyne) erschienen ist,[3] vor allen Dingen auch nach 1990 noch mehrere immer schnell vergriffene Neuauflagen erfahren hat, man stelle sich also vor, dass solch ein wichtiges Werk bisher in der politikwissenschaftlichen Utopieforschung übersehen wird. Es ist schlicht unbekannt oder auch völlig in Vergessenheit geraten. Am Inhaltlichen kann es kaum liegen, denn was der Autor Gert Prokop in seinen dystopischen Kriminalgeschichten rund um den Chicagoer Stardetektiv des ausgehenden 21. Jahrhunderts, um jenen Timothy Truckle, erdacht hat, ist sowohl innovativ, teils politisch-philosophisch tief reflektierend, am Zeitgeist orientiert und nicht mit dem Vorwurf wegwischbar, dystopisch verkleidete DDR-AgitProp-Literatur zu sein.
Die Krimis erschienen zunächst als Fortsetzungsgeschichten in der Presse, bis sie schließlich in den beiden Bänden „Wer stiehlt schon Unterschenkel?“ (1977) und „Der Samenbankraub“ (1983) zusammenhängend publiziert wurden. Vielleicht liegt die Ignoranz auch an den albern wirkenden Buchtiteln. Prokop selbst war das bewusst, wie eine Passage vom Anfang des zweiten Buches belegt: Truckle schickt dem Erzähler der Geschichten, seinem Kontaktmann außerhalb der isolierten „STAATEN“, einleitend ein „Communic“ in Form eines polymeren Fischauges (= ein Kristall mit Daten, vergleichbar mit einem heutigen Mini-Speicherchip), das Teil 2 seiner Memoiren enthält. Darin geht er selbstironisch auf die seltsamen Buchtitel ein: „Mit der Art, wie Sie die Storys bearbeitet haben, bin ich einverstanden, nur den Titel finde ich unangemessen, ich bitte Sie: ‚Wer stiehlt schon Unterschenkel?‘! Also wählen Sie dieses Mal bitte einen seriöseren Titel.“[4]
Selbstironie und Selbstreflexion waren Prokop nicht fremd, er spielt fortwährend mit ihnen. Wie noch zu sehen sein wird, war er damit nicht allein in der DDR-Literatur. Seine Bücher entstanden zu einer Zeit, als im Westen Weltuntergangsszenarien boomten. Im Kino liefen die „Mad Max“-Trilogie, „Blade Runner“ oder „Terminator“. Diskussionen um Wiederaufrüstung, die Gefahren der Atomenergie, die Warnungen des „Club of Rome“, SMOG oder das „Waldsterben“ sorgten für Zukunftsängste.
Auf der anderen Seite der Mauer griff Prokop dies auf. Sein Talent bestand darin, zwischen den Zeilen auch Missstände in der DDR zu benennen, diese aber so geschickt zu umschreiben, dass es dennoch gedruckt wurde. Doch dies greift schon vor.
Eine Entwarnung sei noch vorweggeschickt: Im Folgenden wird nicht der Inhalt der beiden Bände detailliert wiedergegeben. Das eigene Lesen der Geschichten kann und soll hier nicht übernommen werden. Die Kenntnis der Texte ist von Vorteil, aber nicht unabdingbar. Es wird auch so wenig wie möglich „gespoilert“, so dass dieses Heft vielleicht das Interesse an der Lektüre der Bücher wecken mag und nicht das Gegenteil erreicht.
2. Gert Prokop – Leben und Werk
Wer war Gert Prokop? Das ist tatsächlich keine einfache Frage. Über ihn ist verhältnismäßig wenig bekannt. Auch das allwissende Internet bietet kaum Informationen. Geboren wurde er am 11. Juni 1932 in Richtenberg, Vorpommern, von wo er 1950 nach Berlin (Ost) umzog. Nach zwei Semestern an der Kunsthochschule Weißensee wurde er 1952 Journalist bei der „Neuen Berliner Illustrierten“ und arbeitete ab 1967 an Dokumentarfilmen für das „Studio Heynowski und Scheumann“ mit. Zu dieser Zeit sammelte er erste Erfahrungen und Erfolge als Autor von Kriminalromanen. Anfang der 70er Jahre veränderte sich die Literaturlandschaft der DDR. Etliche Autoren, die zuvor klassische Genres bedient hatten, versuchten sich nun mit Ausflügen in den Bereich der Science Fiction (abgekürzt: SF). „Üblich war es – übrigens auch bei DNB, etwa im Falle Gert Prokops –, dass ein Autor, der zuvor im selben Verlag schon anderes veröffentlicht hatte, auch mit seiner SF beim bisherigen Lektor blieb.“[5]
Er erweiterte also sein Themenfeld ins Phantastische. Erik Simon, ab 1974 für Prokops Verlag Das Neue Berlin tätig, erinnert sich auf Grundlage von Berichten damaliger Kollegen und privater Unterlagen: „Um 1970 veranstaltete DNB einen Erzählungswettbewerb in zwei Kategorien, ,Krimi‘ und ,utopische Literatur‘. Ende Juni 1971 reichte Prokop dazu drei Timothy-Truckle-Geschichten ein und überließ es seiner Lektorin, sie einer der beiden Kategorien zuzuordnen, zumal ihm bewusst war, dass seine Beiträge eine Hauptbedingung der Utopie-Kategorie nicht erfüllten, nämlich die ‚sozialistische Zu-kunft‘ darzustellen. Es handelte sich dabei um ‚Wer stiehlt schon Unterschenkel?‘, ‚Der Tod der Unsterblichen‘ und ‚Der Stern der Verdammten‘ (letztere nicht im späteren Band). Er kündigte an, weitere Erzählungen dieser Art schreiben und einen eigenen Band daraus machen zu wollen, der Prolog zur Einbettung der Handlung in eine fast durchweg sozialistisch/kommunistisch gewordene Welt war schon vorgesehen (aber noch nicht geschrieben). Dennoch wurde […] als ideologisches Problem bemängelt: ‚Sterbender Staatsmonopolismus nur als Zersetzungprozeß gesehen. Seite der kämpfenden Arbeiterklasse fehlt. Undialektisch.“[6]
Erik Simon berichtet weiter, dass Prokop Anfang 1972 ein Konzept für das Buch vorgelegt hat, versehen noch mit dem Titel: „Timothy und Napoleon: Wer stiehlt schon Unterschenkel“. Darin war bereits eine Fortsetzung der Geschichte geplant. Um die ideologischen Defizite in Bezug auf die Geschichtsphilosophie des Marxismus-Leninismus durch Selbststudium entsprechender Literatur beseitigen zu können, wurde Prokop mit einem sog. Entwicklungsvertrag ausgestattet. Erst später bekam er ein festes Papier: „Zum Abschluss eines Verlagsvertrags wurden im März 1976 der Rahmen aus Prolog und PS sowie 8 Erzählungen vorgelegt. Von den zunächst nicht aufgenommenen Erzählungen finden sich manche im Samenbankraub wieder.“[7]
Prokop war jetzt freischaffender Schriftsteller und dabei in mehreren Genres erfolgreich.[8] Neben Krimis für Erwachsene, wie z.B.: „Der Tod des Reporters“ oder „Einer muss die Leiche sein“, umfasste sein Œuvre beliebte Kinderbücher, hier vor allem die Storys über den 12-jährigen „Detektiv Pinky“, die gewisse Parallelen zu den dystopischen Truckle-Geschichten aufweisen: Auch Pinky ermittelt als Privatdetektiv im Milieu der Reichen und deckt deren Machenschaften auf, wobei er sich auf originelle Weise entlohnen lässt.
Prokop gehörte nicht zu den Schriftstellern, die mit aller Macht ins Scheinwerferlicht, oder, mit Bezug auf die DDR, in kulturpolitische Ämter drängten. Dank seiner Beliebtheit gehörte er zu den wenigen Autoren aus der DDR, die auch nach 1990 vom Schreiben leben konnten. Der Beitritt zur Bundesrepublik 1990 bedeutete für ihn zwar einen Einschnitt, der mehrere Projekte abrupt stoppte, nicht jedoch das Ende seiner schriftstellerischen Laufbahn. Er arbeitete an neuen Geschichten und Hörspielen, hielt Lesungen ab, wurde aber gesundheitlich immer stärker beeinträchtigt. „Die Rückenschmerzen, nun ja, man müsse sich eben daran gewöhnen, immer auf harten, graden Flächen zu sitzen, einen in der Wohnung herumliegenden Gegenstand vom Fußboden nicht aufzuheben, bei Glatteis möglichst nicht im Tiergarten spazieren zu gehen“[9], berichtete er gegenüber Armin Stolper. Schließlich wurde es für Prokop so unerträglich, dass er seinem Leiden am 1. März 1994 selbst ein Ende setzte und durch eigene Hand aus dem Leben schied.
3. Science Fiction vs. Utopie? Begriffe und Abgrenzungen
Die Truckle-Krimis sind zweifelsfrei Dystopien. Doch wie definiert sich der Begriff? Wie grenzt er sich von Utopien ab, und was ist der Unterschied zu Science Fiction? Hier eröffnet sich ein kontroverses Feld, aufgefächert in wissenschaftliche Disziplinen, in Forschung und Fans und in endlose Debatten über Definitionen und Abgrenzungen. Es ist unmöglich, die Kontroversen an dieser Stelle nachzuzeichnen. Nur eines ist sicher: Es gibt für keinen der drei Begriffe auch nur ansatzweise eine gemeinsame interdisziplinäre Definition.
Kurz gesagt, befasst sich die Utopieforschung mit der Geschichte politischer und sozialer Utopien. Diese reicht bis ins alte Griechenland zurück, Aristophanes’ „Wolkenkuckucksheim“ oder Platons „Politeia“ seien als bekannte Beispiele genannt. Im Zuge der Renaissance erlebte die Gattung eine wahre Wiedergeburt mit Thomas Morus’ „Utopia“ (1517). Es folgen fünf Jahrhunderte voller utopischer Entwürfe.[10] In der heutigen Forschung werden diese Texte vor allem in der Literaturwissenschaft und in der Politikwissenschaft als Gegenstand behandelt. Während erstere sich auch mit dem literarischen Stil und mit ästhetischen Fragen auseinandersetzt, wird seitens der Politologen der Fokus auf die Ordnung der entworfenen Alternativgesellschaften sowie auf die damit verbundene Kritik der Gegenwartsgesellschaft gelegt.[11] Eines ist dabei klar: Politische Utopien gehen von der Gegenwartsgesellschaft der Autorin oder des Autors aus. Entsprechend enthalten sie Kritik am Bestehenden und zeigen eine Alternative auf. Diese kann positiv sein, also eine bessere Welt beschreiben. Die Idealform ist hier die Eutopie, eine Gesellschaft ohne Widersprüche und voller Harmonie.
Für die Dystopie bedeutet ein solches Modell hingegen, dass es keinen Platz für Andersdenkende gibt. Hier geht es entsprechend um solche Furchtbilder. Es werden erdrückende Gesellschaften beschrieben, meist als großer Zwangskollektivismus mit einer kleinen Machtelite, dem jeweils die Protagonisten entgegenstehen. „Das Ideal der harmonischen Gesellschaft schlägt um in ein totalitäres Zwangssystem, das entweder auf genetischer Manipulation oder technisch perfektioniertem physischen Terror beruht. Wissenschaft und Technik […] haben jetzt nur noch einen Zweck: in ihrer Versklavungskapazität die Menschen um den Rest ihrer Würde zu bringen.“[12] Doch geht es vielen Dystopien nicht um den Selbstzweck, nicht um das Streben nach dem Superlativ im Ringen um die menschenfeindlichste Diktatur. Dystopien sind mehr als reine Schreckensszenarien, sondern folgen häufig einer utopischen Intention: Durch das Aufzeigen von Gefahren und drohendem Unheil durch bereits in der Gegenwart angelegte Tendenzen und Möglichkeiten soll deren Realisierung verhindert werden. „Beide, Utopie und Dystopie, wollen normativ wirken, setzen auf den handelnden Menschen, dem die Chance zugesprochen wird, die Zukunft zu gestalten – positiv, episch in der Utopie, die katastrophale Zukunft verhindernd in der Dystopie. Die Weichen, so die Botschaft von Morus bis hin zu den Dystopisten, werden immer noch in der Gegenwart gestellt.“[13]
Der konkrete Zeitbezug ist eines der wichtigsten Kriterien für utopische bzw. dystopische Entwürfe. Ohne Anspielungen und Bezüge auf gegenwärtige Defizite, Gefahren und mögliche Fehlentwicklungen (bei Dystopien), bzw. ohne Aufgreifen von emanzipatorischen Chancen, technischen und ökonomischen realen Potentialen (vornehmlich bei Utopien) verlieren Zukunftsentwürfe meist ihren politisch-ökonomischen Gehalt und werden zu Märchen, Träumen oder Phantastereien.
Gibt es zu Utopie und Dystopie zumindest einigermaßen brauchbare, wenngleich nicht unumstrittene Definitionen, so verhält es sich beim Begriff der Science Fiction noch schwieriger. Abschätzig könnte man sagen, dass alles, was vom jeweiligen Verlag (aus verkaufstaktischen Gründen) so bezeichnet wird, darunter zu verstehen ist. Das würde jedoch in die Irre führen, da man sich 1.) auf Literatur in Form von Romanen oder Kurzgeschichten beschränken müsste, 2.) wichtige Filme, Graphic Novels, Computerspiele u.a.m. auf diese Weise ausschließen würde und 3.) spätestens im Grenzbereich zwischen Utopie und SF scheitern dürfte, da nicht überall SF draufsteht, wo Utopie lauert und umgekehrt.
Ein Grund, die SF von der Utopie abzugrenzen, dürfte die Entgrenzung ihres Begriffs sein. Zwar streitet man innerhalb der Utopieforschung auch über die beste Definition von Utopie. Allerdings geht es hier eher um Feinheiten, Abgrenzungen und Fragen des transformatorischen Praxisbezuges. Bezüglich des Begriffs Science Fiction hingegen ist die Definitionsdebatte viel komplizierter. Das fängt mit der Frage an, ob das Genre überhaupt wissenschaftlich relevant ist. Bejaht man diese, dann geht es erst richtig los, denn: „Bis heute gibt es keine allgemein anerkannte Definition des Begriffs ‚Science-Fiction‘, nicht einmal einen Grundkonsens über das Korpus dieser Literatur.“[14] Der Begriff setzt sich aus den Worten Wissenschaft und Fiktion zusammen. Wissenschaftsliteratur allein ist also noch keine SF. Fiktive bzw. Fantasy-Geschichten allein sind es aber auch nicht. Es müssen Elemente beider Begriffsteile enthalten sein, über deren Gewichtung und Eingrenzung besteht weitgehend Uneinigkeit. Während Utopien fremde Orte oder Zukünfte als Handlungsrahmen haben, kann SF räumlich und zeitlich fast überall angesiedelt werden, auch in Vergangenheit oder Gegenwart. Häufig spielt sie jedoch in der Zukunft und/oder im Weltall. Dies hat sie gemein mit der politischen Utopie, die eine längere Geschichte als die SF aufzuweisen hat und zu deren Ursprüngen zu zählen ist. Während politische Utopien stets die Gesellschaft im Blick haben und in ihrem Entwurf sowohl Kritik am real Bestehenden als auch eine Alternative aufzeigen, ist dies bei SF keine unbedingte Notwendigkeit. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass es politische SF gibt, die einen normativen Anspruch erhebt. Die Grenzen zwischen beiden Gattungen sind fließend[15] was das Beispiel Gert Prokops zeigen wird.
Fußnoten
(Quellenangaben siehe Publikation)
[1] Prokop [1977], S. 261 f.
[2] Prokop [1983], S. 244.
[3] Prokop [1981].
[4] Prokop [1983], S. 7.
[5] DNB meint den Verlag Das Neue Berlin, Simon [2018], S. 27.
[6] „Einige Tatsachen im Fall Timothy Truckle, notiert von Erik Simon im Januar 2021“, übermittelt an den Autor.
[7] Ebenda.
[8] „Seine Erzählungen, Romane und Kinderbücher hatten auch nach 1989 weiterhin begeisterte Leser gefunden. Sieben der Werke des Autors waren in einer Gesamtauflage von mehr als 500 000 Exemplaren allein im Verlag Das Neue Berlin herausgekommen. Prokops literarische Figuren, so sein Stardetektiv Timothy Truckle und der Kinderdetektiv Pinky, wurden zu Publikumslieblingen.“ Pressemeldung „Gert Prokop aus dem Leben geschieden“, in: Neues Deutschland vom 3.3.1994, S. 12.
„Mit seinen beiden Erzählungsbänden um den Detektiv Timothy Truckle […] und den Erzählungsbänden phantastischer Geschichten ‚Die Phrrks‘ (1989) und ‚Null minus unendlich‘ (1990) setzte er Maßstäbe in der SF- und Kriminalliteratur. Auch im Bereich der Kinderliteratur gewann er Anerkennung durch seine Märchenbücher ‚Der Drache mit den veilchenblauen Augen‘ (1974), ‚Der kleine Riese‘ (1976) und ‚Die Maus im Fenster‘ (1980), die voller Phantasie sind. […]. Außerdem schrieb er Hörspiele nach seinen erfolgreichen Märchen […]. Daneben erschienen zahlreiche Erzählungen in diversen Anthologien.“ Orlowski [2010], S. 472.
[9] Stolper [1994].
[10] Einen umfassenden und nahezu enzyklopädischen Blick auf wichtige Texte und lange Entwicklungslinien der Utopiegeschichte hat der Politologe Richard Saage mit seinen vier Bänden unter dem Titel „Utopische Profile“ veröffentlicht. Von ihm stammt auch das Standardwerk „Politische Utopien der Neuzeit“. Für Saage sind „politische Utopien Fiktionen innerweltlicher Gesellschaften [...], die sich entweder zu einem Wunsch- oder einem Furchtbild verdichten. Ihre Zielprojektion zeichnet sich durch eine präzise Kritik bestehender Institutionen und soziopolitischer Verhältnisse aus, der sie eine durchdachte und rational nachvollziehbare Alternative gegenüberstellt. [...] Sie [...] sind stets zukunftsorientiert gerichtet.“ Saage [2000], S. 46 f.
[11] „Unter der Zielsetzung, ein Panorama zu präsentieren, reduziert sich speziell in der Utopie […] das erzählte Geschehen […] in einer Besichtigungstour, die ein Repräsentant des Hier und Jetzt durch den perfekt funktionierenden Staat unternimmt. Den Text dominieren Erläuterungen zu den besichtigten Institutionen – der Güterproduktion und -verteilung, dem Justizwesen und dergleichen mehr. […] „Für die SF ist die Beschreibung einer anderen sozialen Hierarchie oder Ökonomie demgegenüber eher eine Nebenveranstaltung. “ Greve [2017], S. 38.
[12] Saage [2010], S. 28.
[13] Heyer [2019], S. 237. „Dystopien sind also keineswegs utopiefrei. Vielmehr heben sie das utopische Denken auf, treten an seine Stelle, übernehmen seine gesellschaftliche Funktion. Schaut man so auf Dystopien, kann man zum einen den bis heute beliebten Gemeinplatz, Dystopien seien Anti-Utopien, vergessen. Wichtiger ist aber etwas anderes: Dystopien mit Resignation, Pessimismus und Fatalismus gleichzusetzen, greift zu kurz. Wer Schwarzmalerei für die einzige Bildgestaltungsidee von Dystopien hält, unterschätzt die konstruktive Dimension dystopischen Denkens. Selbstverständlich soll damit nicht behauptet werden, Dystopien würden eigentlich gute Stimmung verbreiten und uns aufmunternde Antworten auf die Frage bieten, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen – auch wenn sie durchaus unterhaltsam sein können. Die konstruktive Dimension von Dystopien scheint vielmehr darin zu liegen, dass sie – auch wenn sie auf drohendes Unheil hinweisen und fiktionalen Charakter haben – mit der sozialen Welt, in der sie entstehen, in Verbindung treten. Denn einerseits knüpfen dystopische Szenarien an Diskurse über reale gesellschaftliche Entwicklungen an, andererseits gehen sie selbst wieder ein in solche Diskurse. So wie sich Dystopien auf die soziale Welt beziehen, bezieht sich die soziale Welt auf Dystopien. In diesem Prozess der Interaktion verändern Dystopien nicht nur sich selbst, sondern auch die soziale Welt. Insofern ähneln sie allen Prognosen über den Bereich des Sozialen, vielleicht sogar: sozial-wissenschaftlichem Wissen im Allgemeinen.“ Müller/ Möbius/ Ritschel [2020], S. 4.
[14] Kruschel [2006], S. 520.
[15] „Doch […] scheinen die diffusen Grenzen zwischen SF und Utopie und Dystopie manchmal ganz aufzuhören, überhaupt Grenzen zu sein. Endgültig scheint dies bei Aldous Huxleys ‚Schöne neue Welt‘ der Fall, einem Roman, der bezeichnender Weise in der Forschungsliteratur quasi abwechselnd unter den Etiketten ‚SF‘ und ‚Dystopie‘ verhandelt wird.“ Greve [2017], S. 37.