Von: Klaus Steinitz, Alexandra Wagner, Loren Balhorn
Grundlage des Heftinhalts sind Ausführungen der Referenten auf einer Veranstaltung der "Hellen Panke".
52 Seiten
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LESEPROBE
Klaus Steinitz: Nutzen von Erfahrungen für eine zukunftsfähige sozialistische Alternative
1. Bedeutung der differenzierten gesellschaftlichen Erfahrungen des gescheiterten Staatssozialismus für eine neue, erfolgreiche und zukunftsfähige sozialistische Alternative
Im Folgenden werden die Erfahrungen der DDR aber auch der anderen Staaten des „Realsozialismus“ ausgewertet und auch wichtige Erfahrungen aus der Entwicklung des aktuellen Kapitalismus berücksichtigt.(1)
Beginnen wir mit drei Überlegungen, um die Problematik einer sozialistischen Alternative zu charakterisieren:
Die aus der 40-jährigen DDR-Entwicklung vorliegenden Erfahrungen beim Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft und bei deren Scheitern sind unverzichtbare Erkenntnisgrundlagen für die Gestaltung einer lebens- und zukunftsfähigen Alternative zum Kapitalismus.
Schon zu dieser Feststellung gibt es jedoch unter linken Theoretikern Meinungsverschiedenheiten. Einige lehnen es ab, Erfahrungen als Erkenntnisquellen für die Gestaltung der Zukunft anzusehen, weil sie sich auf die Vergangenheit, d.h. auf schon abgelaufene Prozesse beziehen, die nicht mehr verändert werden können. Auf die Frage eines Reporters, ob die SPD nicht besser kurz recherchiert hätte, bevor sie ein geklautes Wahlkampfmotto verwendet, das ihr nun schadet, antwortete Peer Steinbrück im Wahlkampf 2013: „Hätte, hätte Fahrradkette“ Wenn wir vom Nutzen von Erfahrungen sprechen, geht es nicht darum, darüber zu philosophieren was passiert wäre, wenn man damals etwas anderes getan hätte. Bei der Auswertung von Erfahrungen steht im Vordergrund, die richtigen Schlussfolgerungen für die Gegenwart und die Zukunft zu ziehen. Das bezieht sich immer sowohl auf zugelassene Fehler oder falsche Einschätzungen der Situation und ihrer voraussichtlichen Veränderung, als auch auf unterlassene Maßnahmen und eine defizitäre Politik und Strategie.
Sehen wir uns einige Aussprüche bekannter Persönlichkeiten an, die die Verschiedenheit der Interpretationsmöglichkeit von Erfahrungen bestätigen.
Wenn hier unterschiedliche Erfahrungen betrachtet werden, so geht es nicht um die äußerst vielfältigen subjektiven Erfahrungen einzelner Individuen, sondern um gesellschaftliche Erfahrungen von Klassen, größeren sozialen Gruppen und Schichten.
Im Vordergrund der folgenden Analysen stehen die Erfahrungen der progressiven, linken sozialen Kräfte und Bewegungen, die sich für eine friedliche, lebenswerte, sozial gerechte und nachhaltige Zukunft für alle Menschen einsetzen. Dabei gibt es natürlich auch innerhalb dieser Klassen und sozialen Gruppen unterschiedliche Sichtweisen und Interpretationen.
Auch die Differenzierung der Erfahrungen nach unterschiedlichen Generationen spielt eine wichtige Rolle. (Siehe dazu auch die Beiträge von Alexandra Wagner und Loren Balhorn in diesem Heft.) Unter den linken kapitalismuskritischen Menschen verschiedener Generationen überwiegen meines Erachtens übereinstimmende Auffassungen zum Umgang mit den vorliegenden Erfahrungen. Bei bestimmten Erfahrungen gibt es jedoch generationsabhängige spezifische Schwerpunktsetzungen zu deren Rolle und der angestrebten Richtung ihrer Nutzung. Natürlich will die jüngere Generation die Positionen der Älteren sowohl hinsichtlich des gescheiterten Realsozialismus als auch einer zukünftigen sozialistischen Alternative nicht einfach übernehmen. Für sie spielen Themen wie Bedrohung der Umwelt, Klimakrise und sozial-ökologischer Umbau, Freiheitsrechte, größere demokratische Mitbestimmungsmöglichkeiten, neue soziale Kommunikationsformen sowie Innovationen im Zusammenhang mit neuen Technologien besonders der Digitalisierung, eine herausragende Rolle.
Um die Erfahrungen der DDR zu nutzen, ist es zunächst notwendig sich in aller Kürze über den Charakter dieses sozialistischen Versuchs zu verständigen. Er beruhte vorwiegend auf dem sowjetischen staatssozialistischen Modell mit einer übermäßigen Zentralisierung aller Entscheidungen im Staat bzw. in der führenden Partei und bürokratischen Zügen der Leitung und Kontrolle. Daraus ergaben sich stark eingeschränkte ökonomische Spielräume für eine eigenverantwortliche wirtschaftliche Tätigkeit der Unternehmen und kaum Möglichkeiten für offene, kritische Debatten über anstehende Probleme und die Wege ihrer Lösung. Ebenso waren die Bedingungen für eine demokratische Einflussnahme auf die zu treffenden Entscheidungen und die Kontrolle ihrer Durchführung völlig unzureichend.
Die Entwicklung in der DDR wurde im Vergleich mit den anderen Ostblockstaaten auch durch einige wichtige Besonderheiten beeinflusst. Dazu gehörten insbesondere: (1) die Spaltung Deutschlands in zwei gegensätzliche, einander weitgehend feindlich gegenüberstehende Staaten mit allen sich daraus ergebenden politischen, wirtschaftlichen, sozialen und bewusstseinsmäßigen Konsequenzen, (2) die direkte Lage an der Grenze zwischen den beiden einander feindlich gegenüberstehenden Systemen, (3) ein relativ hoher Entwicklungsstand der Produktivkräfte im Vergleich zu fast allen anderen Staaten des sozialistischen Lagers, bei gleichzeitig beträchtlichen ökonomischen Rückständen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland.
Für die Beurteilung der wirtschaftlichen Rückstände der DDR gegenüber der Bundesrepublik, die in ihrer gesamten Lebenszeit bis zum Anschluss an die Bundesrepublik 1990 bestanden, spielt das äußerst unterschiedliche Ausgangsniveau der Wirtschaftsleistung der beiden Staaten eine wichtige Rolle. Infolge der hohen Belastungen Ostdeutschlands durch die Folgen des faschistischen Krieges – nach offiziellen Angaben entfielen über 90 % der Reparationszahlungen Deutschlands, vor allem als Demontagen von Produktionsanlagen und als Lieferungen aus der laufenden Produktion auf das Territorium der Sowjetischen Besatzungszone – betrug die industrielle Kapazität in Ostdeutschland 1948 etwa 50 % des Standes von 1936, in Westdeutschland lag sie dagegen in diesem Jahr schon über dem Stand von 1936. Daraus ergaben sich für die weitere ökonomische Entwicklung einschneidende Konsequenzen, die Investitionsquote erreichte z. B. nur die Hälfte der westdeutschen. (Zahlenangaben nach Roesler, 2006).
(1) Die in diesem Heft analysierten Erfahrungen bei der Entwicklung des Realsozialismus hängen eng und in vielfältiger Weise mit den Problemen zur Bewertung der DDR- Entwicklung und ihrer Wirtschaftspolitik zusammen, die in vielen Heften der „Hellen Panke“ veröffentlicht wurden.