Von: Hans-Christoph Rauh
Reihe "hefte zur ddr-geschichte", Nr. 155, 2022, 76 S.
Die vorliegende Publikation enthält den überarbeiteten verschriftlichten Vortrag des Autors vom 22. Februar 2022, gehalten in der „Hellen Panke“, Kopenhagener Str. 9, 10437 Berlin. Die Veranstaltung in der Reihe „Geschichte“ stand unter dem Titel „Zur Generationengeschichte der DDR-Philosophie 1945–1995“.
Autor:
Prof. Dr. Hans-Christoph Rauh, geboren 1939, Philosophiestudium an der Humboldt-Universität zu Berlin, 1969 Promotion und 1978 Habilitation ebenda, 1978–82 Chefredakteur der „Deutschen Zeitschrift für Philosophie“, jedoch im Zuge der „Ruben-Affäre“ abgesetzt, 1986 bis 2004 Professor für Philosophie an der Universität Greifswald. Er arbeitet seit über drei Jahrzehnten zur Geschichte der DDR-Philosophie, ihrer historisch-kritischen Aufarbeitung, und ist Autor sowie Mitherausgeber zahlreicher Publikationen zu diesem Thema. Hervorzuheben ist die fünfbändige Edition, bestehend aus „Anfänge der DDR-Philosophie“ (2001, Hrsg. mit Volker Gerhardt), „Denkversuche. DDR-Philosophie in den 60er Jahren“ (2005, Hrsg. mit Peter Ruben), „Ausgänge. Zur DDR-Philosophie in den 70er und 80er Jahren“ (2009, Hrsg. mit Hans-Martin Gerlach), „Philosophie aus einer abgeschlossenen Welt. Beiträge zur Geschichte der DDR-Philosophie und ihrer Institutionen“ (2017) und ein „Personenverzeichnis zur DDR-Philosophie 1945–1995“ (2021).
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Inhalt
Vorbemerkung zur dreigliedrig periodisierten Darstellungsweise
A. Anfänge: Entnazifizierung und/als Stalinisierung 1945–1956/57
Keine „Stunde Null“, aber ohne phil. Einrichtungen und „Stalin über alles“
„Berliner Geist“: Nicolai Hartmann/Eduard Spranger und Liselotte Richter/Hans-Joachim Lieber – als „Freie Universität“
Jena: Hans Leisegang, Max Bense und Georg Klaus – Die Wahrheit wird Euch frei machen
Halle: Paul Menzer und Leo Kofler – Ein ideologischer Schädling
Leipzig: Hans-Georg Gadamer und Ernst Bloch – Hoffnung kann
enttäuscht werden
Greifswald: Günther Jacoby und Erhard Albrecht – „subjektfreie
Objektivität“ statt philosophisch-marxistische Parteilichkeit
Diskussionsrunden in der einzigen Philosophie-Zeitschrift (DZfPh)
der DDR 1953–Heft 5/1956
B. Institutionalisierung, Spezialisierung und Denkversuche
1958–1968/69
Philosophiegeschichte als ideologische Auseinandersetzung
ums nationale philosophische Erbe
Erste (erkenntnistheoretische) Praxisdiskussion 1961/63 und ein
(I.) Philosophiekongreß 1965
Zweite (fundamentalmarxistische) Praxisdiskussion 1966/67
und ein entsprechender Lehrbuchversuch 1967
Das Jahr 1968 und die Folgen der III. DDR-Hochschulreform
C. Lehrbuch-Marxismus und Philosophiegeschichte
als Ausgänge 1970–1989/90
Philosophiehistorische Klassikerseminare in Jena
Erkenntnistheorie-Tagungen in Leipzig
Kritik der spätbürgerlichen Philosophie und Wissenschaftsforschung
als Doppelpakt in Halle
Berlin: der Ley-Wessel-Lehrstuhl Philosophie-Naturwissenschaften
als „Institut im Institute“
Akademiephilosophische Publikationsreihen
und die Rubenaffäre 1981
Parteiphilosophische Selbstdarstellungen der DDR-Philosophie
1979 und 1988 und das sie verwaltende Rätesystemsystem
Nachleben:
Selbsterneuerung, Abwicklung und Aufarbeitung 1990/95
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LESEPROBE
Vorbemerkung
zur dreigliedrig periodisierten Darstellungsweise
Die entscheidenden Ursprünge, prägenden Anfänge und wesentlichen Inhalte der marxistisch-leninistischen DDR-Philosophie 1945–1995 reichen natürlich sehr viel weiter zurück als das Weltkriegsende 1945. Sie liegen inhaltlich-thematisch begründet und hergeleitet ebenso wie namentlich bezeichnet und später parteiamtlich so festgelegt bereits im 19. Jh. bei Marx und Die entscheidenden Ursprünge, prägenden Anfänge und wesentlichen Inhalte der marxistisch-leninistischen DDR-Philosophie 1945–1995 reichen Engels und reichen werkbezogen, nicht grundlegend mehr verändert, jedoch weitergehend lehrdogmatisiert fixiert, über Lenin und Stalin, bis in die erste Hälfte des 20. Jh. Denn weder deren spätere, bleibend reduzierte Bestimmung als dialektisch-historisch-materialistisch noch ihre schließlich alleinige sektiererische Selbstbezeichnung als marxistisch-leninistisch (weniger „stalinistisch“) wären ansonsten erklärlich und so herleitbar gewesen.
Was die doppelseitige zeitliche Erweiterung von 1945 bis 1995 betrifft, so erfassen diese beiden zusätzlichen Zeitfenster vor 1949 und nach 1990 hinsichtlich der Gesamtexistenz der DDR zum einen deren unmittelbar nachkriegszeitliche Vorgeschichte, in der bereits die wichtigsten (sowjet-kommunistischen) Anfänge der späteren DDR-Philosophie angelegt wurden. Und zum anderen vollzog sich abschließend bis 1995 die vollständig erneuerte Wiederherstellung traditioneller, nun allein lehruniversitärer Philosophieverhältnisse in postmoderner Vielfalt und ohne jede parteilichen Einschränkungen. Von einer besonderen eigenen Nachgeschichte, 1990 folgend, in der die offizielle DDR-Philosophie von sich aus aufgegeben und als solche nur noch abgewickelt wurde, also wiederum nicht weiter eigenständig existierte, kann somit (so wie schon vorangehend „eingeübt“), sicher nicht mehr gesprochen werden; wohl aber von einem intensiv betriebenen historisch-kritisch aufgearbeiteten sog. „Nachleben“, wozu dann wohl auch dieser hier vorgelegte Abriss zur (keineswegs aber der) DDR-Philosophie zu rechnen wäre. Ihre überlieferte strenge ML-Lehrbuchdogmatik konnte weder historisch noch systematisch zugrunde gelegt und damit nicht nochmals nachreferiert werden. Aber welche anderen Kriterien und Gesichtspunkte einer nachvollziehbaren Darstellung derselben sollten stattdessen ausgewählt werden?
Bei einem derartig traditionell feststehenden Lehrsystem, wie der jahrzehntelang allein staatsparteilich vorherrschenden Marxistisch-leninistischen Philosophie in der DDR konnte daher auch niemals eine wirklich eigenständige, ebenso selbstbestimmte wie wissenschaftskritische Weiterentwicklung derselben stattfinden, was die immer wiederkehrenden parteiamtlichen Revisionismusvorwürfe gegenüber einer jeden andersartigen philosophischen Denkweise in den inzwischen zugestandenen „Krisenjahren“ (1948, 1953, 1956, 1961, 1968, 1976, 1981, 1989) der SED-DDR-Geschichte, als solche aktuell stets geleugnet und ausgeschaltet, inoffiziell trotzdem nachhaltig wirksam und nie vergessen, verdeutlichen. Immerhin würde allein deren chronologische Nachzeichnung ganz sicher eine ganz andersartige, allerdings sehr personenbezogene „Sondergeschichte“ des philosophischen Denkens in der DDR von Lukacs und Bloch über Harich und Havemann bis zu Seidel und Ruben ergeben. Hier geht es aber um eine kurzgefasste realsozialistische wie parteiorganisierte Gesamtgeschichte desselben im angegebenen zeithistorischen Rahmen; anfänglich beginnend und ausgehend endend sogar teilweise nationalgeschichtlich bestimmt und vermittelt.
Eine punktuell vereinzelt versuchte, diskussionsbereite und widerstreitende („unorthodoxe“) ostdeutsche Philosophieentwicklung bestimmte daher, nachträglich historisch-kritisch aufgearbeitet, weit mehr das sog. „philosophische Leben in der DDR“, als der durchgehend parteidirigierte, immer schon in sich abgeschlossene, allmächtig vorherrschende („weil wahre“) und so massenhaft-propagandistisch verbreitete, dadurch letztlich thematisch jedoch nicht mehr entwicklungsfähige Lehrbuch-Marxismus. Mit einer solchen, allein parteitagsgeschichtlich abgelaufenen politideologischen Selbstdarstellung, als einer angeblichen „Philosophie für eine neue Welt“ (1988) verendete diese gewissermaßen termingerecht zum 40. Jahrestag der DDR. Und mit deren eigenen, unausweichlichen parteistaatlichem Ende zerfiel zugleich auch die unabdingbare und absolute Alleinherrschaft der SED über diese angeblich revolutionäre und erstmalig wissenschaftliche „Philosophie (der Partei, Stalin 1938) der Arbeiterklasse“. – Doch wie konnte es bei einem derartig epochalen gesellschaftspolitischen Anspruch an diese Philosophie zu einem solch eklatanten Scheitern und abrupten Ende derselben kommen, was sogar bis heute ihre nachholend selbstkritische Aufarbeitung belastet und als nahezu unaufklärlich erscheint? Es muss dazu trotzdem eine historisch-kritische Erklärung und Darstellung dieser ihrer konkreten Existenzweise gesucht und gefunden werden!
Einmalig politisch-ideologisch ausgerichtet und eingeengt wie zunehmend historisch-wissenschaftlich isoliert, erübrigt sich bei diesem besonderen ostdeutschen Philosophiegebilde vorangehend jede vorbehaltlose, außer ideologiekritisch-feinbildliche Bezugnahme auf die sonstige vergangene, vor allem aber aktuelle europäische Philosophiegeschichte bzw. zeitgleiche westdeutsche (nun allein bürgerliche!) Philosophieentwicklung. Da diese immer nur ideologisch-klassenmäßig ausgegrenzt und bekämpft wurde, stand die offizielle DDR-Philosophie letztlich in gar keinem wirklich inhaltlich-thematisch wie national und international (außer sowjetphilosophisch) übergreifenden Zusammenhang; – man hatte sich daher „gesamtdeutsch“ nachweislich niemals, also wirklich fachphilosophisch bzw. „außermarxistisch“ etwas zu sagen; offiziell parteimarxistisch-leninistisch schon gar nichts.
Denn an den stets gesetzten dreifachen Klassiker-Texten von Marx, Engels und Lenin (nicht zuletzt zeitweilig und prägend auch J. W. Stalins) durfte im Prinzip niemals etwas „geändert“ oder auch nur eigenständig „weiterentwickelt“. Diese waren nur dazu da, immer wiederkehrend zitiert, interpretiert(!) und dadurch weiterhin bestätigt zu werden, womit sich deren denkbare Kritik und Neubewertung grundsätzlich erübrigte; ja als feindselig und revisionistisch erklärt wurde. Wie sollte sich da alleinig inner-marxistisch jemals etwas „Anderes“ darüber hinausgehend herausbilden und herrschaftsfrei als diskussionswürdig erweisen? Und was bleibt dann noch von einer solchen, schließlich wenig originellen, sich kaum thematisch verändernden Philosophie und wie wäre diese als solche, von ihrem derartig scheiternden Ende her gesehen, überhaupt noch sachgerecht und folgerichtig darstellbar oder sogar weiter anerkannt von anhaltendem Interesse? Wir wollen es trotzdem versuchen, ihren widersprüchlichen Werdegang hier punktuell (mehr institutionen- und personalgeschichtlich als inhaltlich-thematisch) aufzuweisen und nachzuzeichnen. Dazu basieren wir auf folgenden entsprechend strukturierten und periodisierten Vorarbeiten:
(I.) V. Gerhardt/H.-C. Rauh (Hg.): Anfänge der DDR-Philosophie (Berlin 2001);
(II.) H.-C. Rauh/P. Ruben (Hg.): Denkversuche. DDR-Philosophie in den 60er Jahren (Berlin 2005);
(III.) H.-C. Rauh/H.-M. Gerlach (Hg.): Ausgänge. Zur Philosophie in den 70er und 80er Jahren (Berlin 2009);
(IV.) H.-C. Rauh/C. Warnke: Philosophie aus einer abgeschlossenen Welt
(Berlin 2017);
(V.) H.-C. Rauh: Personenverzeichnis zur DDR-Philosophie 1945–1995 (Bln. 2021).
Voranstehende Buchtitel werden in den Fußnoten unter den kursiv gesetzten abgekürzten Überschriften der fünf aufgeführten Titel zitiert.
Die offizielle marxistisch-leninistische DDR-Philosophie des dialektischen und historischen Materialismus bestand historisch-systematisch besehen stets aus folgenden relativ getrennten, oftmals durchaus unerklärt ineinander übergehenden Bestandteilen bzw. Darstellungsweisen. Zum einen ging es um die „Geschichte der marxistisch-leninistischen Philosophie in Deutschland von den Anfängen bis 1917“ (Bd. I/1 und 2, Berlin 1968) als einer alleinigen bio-bibliographischen Schriftenabfolge der einzelnen Klassikerwerke von Marx, Engels und Lenin, in denen aber andere eigenständig-kritisch denkende marxistische Autoren von Kautsky über Bogdanow und Bucharin, Lukacs, Bloch oder Korsch einfach nicht mehr sachgerecht bzw. immer nur revisionistisch ausgrenzend und ideologisch abwertend vorkommen; von der kritisch-marxistischen „Frankfurter Schule“ oder gar Jürgen Habermas ganz zu schweigen.
Zum anderen veränderte sich auch an der lehrdogmatisch-stalinistischen Struktur, Thematik und Darstellungsweise des dialektischen und historischen Materialismus (1938 KPdSU-geschichtlich fixiert) und später lehrplanmäßig-ministeriell so festgeschrieben, über Jahrzehnte nichts mehr. Denn der einzige Versuch einer andersartigen ostdeutschen Darstellung als Lehrbuch „Marxistische Philosophie“ von 1967 (hrsg. von Alfred Kosing) mit einer Überwindung dieser Trennung beider Lehrbestandteile, ebenso wie die von Materialismus (System) und Dialektik (Methode), scheiterte sehr bald durch direkte Eingriffe der Parteiführung und von Kurt Hager persönlich, dem selbst ernannten „DDR-Philosoph Nr. 1“. Danach war die traditionelle lehr- dogmatische ML-Philosophie-Systematik nach sowjetisch-poststalinistischem Schematismus als bleibend und unverändert bis zur allerletzten Auflage 1989 vollständig wieder hergestellt.
Da sich in diesen beiden, allein parteiphilosophisch vorherrschenden Ebenen letztlich also gar nichts mehr bewegte, veränderte und entwickelte, so erübrigt sich wohl auch eine jede nachholende historisch-kritische Darstellung dieser beiden genannten Ebenen. Denn derartige traditionelle Klassikerschriften bzw. festgeschriebene Lehrbuchtexte ergeben so einfach keinen ernsthaften/annehmbaren fachphilosophischen Gegenstand, bildeten allerdings jahrzehntelang den einzigen, staatsparteilich streng vorgeschriebenen, vereinheitlichten wie in sich völlig abgeschlossenen Rahmen eines jeden sonstigen philosophischen Denkversuches und Bemühens, Lehrens und Forschens in der DDR. Wenn es daher keine eigentlich inhaltlich-thematische (wirklich problemgeschichtliche) Daseinsweise der offiziellen marxistisch-leninistischen DDR-Philosophie geben konnte, so bleibt schließlich nur eine universitätsregionale-institutsgeschichtliche sowie parteiinterne und akademiephilosophische Ereignisgeschichte sowie post festum wesentlich personenbezogene Wirksamkeitsanalyse zur (wiederum nicht der) DDR-Philosophie übrig; abschließend bleibend in ihren unterschiedlichsten Biographien sowie hinterlassenen Schriften sich manifestierend und dokumentierbar.[1]
Diese philosophiegeschichtliche Ereignisabfolge basiert damit auf einer natürlich so niemals offiziell zugestandenen dreigliedrigen Grundstruktur der DDR-Philosophie als Universitäts-, Partei- und Akademie-Philosophie, während deren Personalstruktur insgesamt ebenfalls auf einer dreigliedrigen Generationenabfolge (so niemals thematisiert) verweist: antifaschistisch-kommunistische Aufbau- und Gründergeneration, etablierte 2. Lehrer- und Siegergeneration und eine „ewige“ Schüler- und Nachwuchsgeneration, denen auch „idealtypisch“ bestimmte Jahreszahlen zuzuordnen wären. Fast immer nur scholastische lehrdogmatische Streitigkeiten um die Grundfrage der Philosophie oder den Lenin‘schen Materiebegriff, um Idealismus-Materialismus und Dialektik, um Basis und Überbau, materielle und ideologische Verhältnisse, Spontanität und Bewusstheit, usw. müssen also nicht ersatzweise wiederholend nochmals referiert werden. Sie bleiben immer nur ML-Klassikerkonform fixiert und wurden als solche niemals historisch-begrifflich hinterfragt oder diskussionskritisch problematisiert.
Aber die zeitweilig trotzdem existentiellen Debatten zum Gegenstand der formalen (oder gar dialektischen) Logik, zum Verhältnis des Marxismus zu Hegel, vor allem aber um den Marx‘schen philosophischen Praxisbegriff, aber auch um den Wahrheits- und Ideologiebegriff sowie sogar eine verkürzte Dialektik-Diskussion werden durchaus im Mittelpunkt unseres Abrisses stehen. Doch keine dieser eigentlich für das philosophische Wesen und die wissenschaftliche Substanz der marxistischen Philosophie grundlegenden Debatten wurde jemals zu Ende geführt, vielmehr stets vorzeitig als revisionistisch verdächtig und parteiamtlich abgebrochen. Das ergibt eine völlig veränderte Sicht auf die nunmehr allerdings vollständig abgeschlossene DDR-Philosophie; – eine lehrthematische „Abgeschlossenheit“, die sie selbst schon frühzeitig herbeiführte und repräsentierte, ehe die später fremdbestimmte Abwicklung sie abschließend institutionell erreichte und endgültig zumindest als solche abschaffte. Übrig geblieben sind so die unterschiedlichsten ostdeutschen Philosophenbiographien, auf denen der hier vorliegende Abriss ebenfalls entscheidend basiert. (s. Vortrag 22. 3.). Genannt werden können aus diesem umfangreichen Dreigenerationenpersonal und den vorgenannten drei Strukturebenen trotzdem nur einige wenige Hauptvertreter und ihre Schriften. Es wird zwar ansatzweise eine historisch-systematische dreigliedrig periodisierte Darstellungsweise versucht, aber hiermit noch keine abschließend denkbare Gesamtdarstellung in einer solch abrissartigen Kürze vorgelegt.
Natürlich wäre auch eine, doch sehr zersplitterte/ausgegliederte, durchaus fachphilosophische Analyse der über den dialektischen und historischen Materialismus hinausgehenden bzw. ihm untergeordneten, allmählich sich zusätzlich herausbildenden traditionellen und neueren philosophischen Spezialisierungen, Lehr- und Forschungsbereichen denkbar. Diese betrafen jedoch anfänglich bei den ersten Philosophie-Institutswiedergründungen 1951 lediglich und sehr reduziert die klassische (deutsche) Philosophiegeschichte sowie in unerklärter „neukantischer“ Tradition (aber auf Lenin zurückgehend) den zunächst einzig herkömmlichen philosophisch-systematischen Zusatzbereich Logik und Erkenntnistheorie. Nach 1959 bis 1968 kamen dann weitere spezialisierte Ausbildungs- und Forschungsbereiche dazu, wie die Ästhetik und Ethik sowie völlig neuartig in Berlin der universitäre Aspiranten-Bereich Philosophische Probleme der Naturwissenschaften. Und es differenzierten sich aus der ML-Philosophie zunehmend die Soziologie, die Kulturwissenschaften sowie vor allem die Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftstheorie (später auch Wissenschaftsphilosophie genannt). Ebenso verselbständigte sich schließlich auch die Logik und es entstanden spezielle sog. „Kritikbereiche“ zur angeblich ständig zunehmenden und sich sogar gesetzmäßig verschärfenden Auseinandersetzung mit der „spätbürgerlichen“ Ideologie (eigentlich nachklassischen Gegenwartsphilosophie) und natürlich mit dem Revisionismus in den eigenen Reihen. – Auf all diese Spezialisierungen, in denen sich aber das eigentliche philosophische Leben der DDR vollzog (und keineswegs in den zahllosen „Grundlagenbereichen“ des dialektischen und historischen Materialismus der ML-Sektionen), kann hier aber nicht umfassend und systematisch, sondern nur schwerpunktmäßig philosophie-institutsgeschichtlich eingegangen werden. Diese Ausdifferenzierungen offenbaren zumeist eine zeitgemäß zunehmende fachwissenschaftliche Ausrichtung (um nicht zu sagen in der Tendenz eine regelrechte entideologisierende Auflösung und Ersetzung) der gen. eigentlich tragenden ML-philosophischen Fachbereiche, um von diesen letztlich ebenso lehrdogmatisch wie ideologisch-politisch zunehmend unabhängig zu werden.
Übergehen wir also die vorangegangene (immer nur personell isoliert auf Marx, Engels und Lenin werkgeschichtlich reduzierte längere) Vorgeschichte der Marxistisch-leninistischen Philosophie in Deutschland, – ihre unmittelbare, schließlich wesentlich stalinistische Vorgeschichte 1917–1945 erschien fortlaufend parteiverhindert ja wohlweislich überhaupt nicht –, so konzentriert sich alles auf den entscheidenden Ausgangspunkt 1945. Eine nachträglich gesamtdeutsche Sicht kann nicht realisiert werden; sie ist wie gesagt nur punktuell anfänglich und ausgehend sehr eingeschränkt aufweisbar.
Unsere ebenfalls dreigliedrige Gesamtabfolge, die realgeschichtlich durchaus so ableitbar wäre, soll auch nur unseren Überblick strukturell-thematisch und ereignisabfolgend über das Ganze etwas erleichtern; sie ist selbst wenig inhaltlich, aber institutionell und genauer zeitlich bestimmt. Doch jeder dieser drei periodisierten Hauptabschnitte endet stets mit einem weiteren Verlust philosophischer Eigenständigkeit: 1956/57 wie 1968/69 mit entsprechenden Revisionismus-Vorwürfen und 1989/90 schließlich mit dem gänzlichen Ende für dieses ostdeutsche, ganz parteiformierte marxistisch-leninistische Philosophiegebilde unter der nahezu 40-jährigen Anleitung und Bevormundung des ideologieherrschaftlichen „DDR-Phil.-Nr. 1“, Kurt Hager; diese einzigartige parteiamtliche Personifizierung ist so sicher ohne Beispiel. Die offizielle parteiamtliche marxistisch-leninistische Geschichtsschreibung kannte selbst stets nur die thematisch-personell „einheitlich und geschlossen“ parteiorganisierte DDR-Philosophie; es gab ansonsten keine eigenständige „Philosophie in der DDR“ und in jeder Periode immer nur zeitweilig einen einzigen parteilosen DDR-Philosophen (Jacoby, Bloch, Schottländer) von gesamtdeutscher Relevanz; einschließlich einiger einfach zeitweilig parteiausgeschlossener DDR-Philosophen.
Was die daher erst nachträglich festgeschriebene dreigliedrige Grundstruktur derselben betrifft, so konzentrieren wir uns in unserer kurzgefassten Darstellung vor allem auf die traditionelle und nunmehr allein übrig bleibende Universitätsphilosophie[2], weniger auf die kaum erforschte Parteiphilosophie (wozu wir nie einen Autor fanden) im engeren Sinne an der AfG, und verweisen bei der zeitweiligen Akademie-Philosophie seit 1958 bzw.1969 auf eine umfassende Darstellung von Camilla Warnke.[3] Die dreiteiligen Hauptüberschriften benennen daher überhaupt keine inhaltlichen Gesichtspunkte, sondern beschreiben periodisiert lediglich historisch-strukturelle Zeitumstände der DDR-Philosophie; – in den jeweiligen Unterpunkten wird es dann allerdings etwas inhaltlich-konkreter und anschaulicher zugehen. Das besonders hervortretende Personenbezogene und Biographische steht für deren unabgegoltene und keineswegs schon völlig erledigte Geschichtlichkeit und Wirksamkeit der DDR-Philosophie.
Wird gefragt, was von der vergangenen DDR-Philosophie übrigbleibt, dann sind es vor allem deren vielfältige historisch-kritischen Aufarbeitungen, wozu dann sicher auch dieser hier nun vorliegende Abriss ihrer Gesamtgeschichte 1945–95 gehören könnte. Die tatsächlichen philosophischen Basistexte der DDR-Philosophie sind wegen ihrer heuer unvermittelbaren parteilichen Politisierung und Ideologisierung (bis auf wenige Ausnahmen und Teilabschnitte) kaum noch nachlesbar und verständlich. Sie waren es oftmals schon zu ihrer Zeit nicht mehr, wurden sie doch kaum weitergehend irgendwo zitiert.
Gesamtbibliographisch erfasst wurden einmalig alle Zeitschriftenbeiträge der DZfPh in einem 25-Jahresregisterband 1953–78 (leider so nicht mehr fortgesetzt). Und unser umseitig gen. "Personenverzeichnis zur DDR-Philosophie 1945–1995" (2021) enthält neben den wichtigsten DDR-philosophischen Promotionsschriften (A und B) zugleich ebenso personenbezogen-biobibliographisch das bisher umfangreichste philosophische Schrifttum zur DDR-Philosophie, teilweise ergänzt und aktualisiert bis ins Jahr 2020. Nicht erfasst werden konnte allerdings das philosophische Schrifttum in den jeweiligen wissenschaftlichen Universitäts-Zeitschriften der DDR sowie sonstige universitäts-philosophische Sonderdrucke und Fernstudium-Lehrmaterialien. Die Informations- und Dokumentationsreihe "Aus dem philosophischen Leben der DDR" der AfG wurde in einer einmaligen nachwendischen Aktion durch Chr. Neumann an die Universität Erlangen-Nürnberg überführt und so vor einer drohenden Vernichtung bewahrt.
[1] Siehe dazu die redaktionelle Einführung „Kurzbiographien als Philosophiegeschichte“ im Personalverzeichnis (2021), S. 1–19.
[2] Siehe deren einzelne ostuniversitären Philosophie-Institutsgeschichten in abgeschlossene Welt (2017).
[3] Siehe den Abs. Akademiephilosophie in abgeschlossene Welt (2017), S. 521–639.