Von: Leonore Krenzlin, Helmut Peitsch und Ronald Weber
Reihe "hefte zur ddr-geschichte", Nr. 156, 2024, 52 Seiten
Am 13. März 2024 referierte Leonore Krenzlin aus Anlass ihres 90. Geburtstages in der „Hellen Panke“ zum Thema „Provozierte Dissidenz. Zum literaturpolitischen Dilemma in der DDR nach 1965“. Moderator und Gesprächspartner war Ronald Weber. Zehn Jahre zuvor, am 13. März 2014, sprach sie an selber Stelle über „Zerwürfnisse – nicht überscharf? Schriftsteller zwischen Loyalität und Konfrontation mit der Obrigkeit“. Es moderierte Helmut Peitsch. Das vorliegende Heft enthält die beiden Vorträge Leonore Krenzlins sowie Beiträge der zwei Moderatoren aus Anlass der runden Geburtstage. Wir bedanken uns für die Texte und die Möglichkeit zum Abdruck.
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Leonore Krenzlin
Dr., Literaturwissenschaftlerin mit den Forschungsschwerpunkten
Literatur des Nationalsozialismus und der inneren Emigration, Literatur der Remigration und DDR-Literatur.
Helmut Peitsch
Prof. Dr., von 2001 bis 2016 Professor für Neuere deutsche Literatur (19./20. Jahrhundert) an der Universität Potsdam. Senior Research Fellow am Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg. Er publizierte u.a. zur Exil- und Nachkriegsliteratur.
Ronald Weber
Dr., wurde 2014 mit einer Arbeit über die Dramenästhetiken von Peter Hacks und Heiner Müller promoviert, 2018 erschien von ihm „Peter Hacks – Leben und Werk“, er arbeitet als Redakteur bei der Tageszeitung junge Welt.
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Inhalt
* Vorbemerkung
* Helmut Peitsch: Leonore Krenzlin zum 80. Geburtstag.
* Leonore Krenzlin: Zerwürfnisse – nicht überscharf? DDR-Schriftsteller zwischen Loyalität und Konfrontation mit der Obrigkeit.
* Ronald Weber: Verlorenes Land. Der Literaturwissenschaftlerin Leonore Krenzlin zum 90. Geburtstag.
* Leonore Krenzlin: Provozierte Dissidenz. Zum literaturpolitischen Dilemma in der DDR seit 1965. 37
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LESEPROBE
Vorbemerkung
"Nicht überscharf" seien seine "Zerwürfnisse" mit der Obrigkeit, dichtete Peter Hacks im Jahr 1974 – und behauptete, mit diesem Zustand zufrieden zu sein. Andere Schriftsteller waren es keineswegs.
Aus Anlaß ihres 80. Geburtstages schaut die Referentin auf viele Jahre Arbeit zur DDR-Literatur zurück. Sie analysiert die verschiedenen Konflikte zwischen Schriftstellern und der Partei- und Staatsführung der DDR und sucht Modelle, diese schwierige Beziehung zu bestimmen.
Mit dem 11. Plenum im Dezember 1965 verschärfte sich die Situation bis zur Unlösbarkeit. Anknüpfend an ihren Vortrag zehn Jahre zuvor analysiert die Referentin zu ihrem 90. Geburtstag die Konfliktkonstellationen seit 1965 und fragt nach den Folgen des kulturpolitischen Dilemmas.
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Leonore Krenzlin: Zerwürfnisse – nicht überscharf? DDR-Schriftsteller zwischen Loyalität und Konfrontation mit der Obrigkeit
Liebe Freunde,
ich freue mich, daß ihr heute gekommen seid, und ich danke für die sehr freundliche Einführung, die Helmut Peitsch gegeben hat. Ich habe mir für diesen Vortrag ein ziemlich sprödes Thema ausgewählt und hoffe, daß es nicht zu abstrakt und damit zu langweilig wird. Einen guten Teil meines wissenschaftlichen Lebens – wahrscheinlich ist es ungefähr ein Drittel – habe ich mich mit Schriftstellern beschäftigt, die in der DDR gelebt und geschrieben haben. Und als ich mich in der letzten Zeit manchmal gefragt habe, ob diese Arbeit eine Besonderheit hatte und ob man da etwas verallgemeinern kann, fiel mir unter anderem auf, daß es eigentlich immer auch eine Beschäftigung mit Spannungszuständen war – mit Spannungszuständen, welche zwischen den Schriftstellern der DDR und den Führungskräften dieses Staates bestanden und in die man als Literaturhistoriker bisweilen auch hineingezogen wurde. Das ist ja nicht zu allen Zeiten und nicht in allen Ländern so – in der Bunderepublik, in welcher ich seit nunmehr fünfundzwanzig Jahren lebe, scheint eine solche Spannung nicht – oder besser gesagt: nicht mehr - zu existieren. Denn in den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gab es eine solche Spannung ja dort auch: Man denke nur an den jungen Günter Grass, den frühen Martin Walser oder an Rolf Hochhuth, der vom damaligen Bundeskanzler Ludwig Erhard wegen seiner politischen Haltung mit den Worten beschimpft wurde: "Da hört der Dichter auf, da fängt der ganz kleine Pinscher an".[1]
Nun gibt es für diese angestrengte Beziehung zwischen Schriftstellern und Staatsmacht in der DDR eine gängige Erklärung, die man im Feuilleton, aber auch in seriösen literaturwissenschaftlichen Studien lesen kann, sie lautet: Da die Staatsform der DDR eine 'totalitäre Diktatur' gewesen ist, hat sie die Schriftsteller hochgradig reglementiert, und diese sind, sofern sie sich nicht unterworfen haben, in Opposition gegangen und haben versucht, sich dagegen zu wehren. Aber ich habe ja nun auch – in den anderen zwei Dritteln meines wissenschaftlichen Lebens – zu denjenigen Schriftstellern gearbeitet, welche zwischen 1933 und 1945 im faschistischen Deutschland gelebt und geschrieben haben. Und obwohl dieses Hitlerdeutschland ganz zweifellos eine 'totalitäre Diktatur' war, haben dort nur sehr wenige Schriftsteller versucht, sich ein kleines bißchen zu wehren, und das auch immer nur für einen ziemlich kurzen Zeitraum – von realisierter Opposition kann nur bei Einzelnen die Rede sein. Ernst Wiechert, mit dem ich mich so viel beschäftigt habe, gehört zu den vereinzelten Ausnahmen. Die Diktatur reicht also nicht aus als Erklärung, so daß ich dachte: Man müßte mal genauer hinschauen, wie es in der DDR zu diesen Konfliktlagen kam, ob sie im Grunde immer die gleichen Voraussetzungen und die gleiche Struktur hatten oder jeweils verschiedene, und worum es dabei ging.
So ist es zu meinem Thema gekommen, und ich bin dann chronologisch vorgegangen und habe fünf historische Knotenpunkte gefunden, an denen eine konfrontative Situation zwischen den Politikern und den Schriftstellern der DDR entstanden ist. Sie liegen in den Jahren 1951, 1957, 1962, 1965 und 1976. Ich kann heute im Rahmen dieses Referats nicht alle behandeln und werde mich auf die ersten drei Fälle beschränken, die auch weniger bekannt sind als die restlichen zwei. Der erste Fall ereignete sich im Jahre 1951 und wurde in den geschichts- und literaturwissenschaftlichen Darstellungen vergleichsweise wenig beachtet. Ich meine die fünfte Plenartagung des Zentralkomitees der SED im Jahre 1951, welche erstmals in der DDR offiziell zu künstlerischen Gestaltungsfragen Stellung nahm und unter dem Namen "Formalismus-Plenum" für einige Jahre in unguter Erinnerung blieb, dann aber vergessen wurde. Ich habe diesem ersten Fall die Überschrift "mißglückter Einschüchterungsversuch" gegeben.
Das zweite Modell hat die Überschrift "Verweigerter Dialog" und betrifft die Kulturkonferenz von 1957, das dritte heißt "Souveränitätserklärung" und bezieht sich auf die berühmte von Stephan Hermlin initiierte Lyrik-Lesung im Jahre 1962. Das vierte und das fünfte Modell, die ich beide heute nicht mehr behandeln werde, wären dann das 11. Plenum von 1965 unter der Überschrift "Machtdemonstration", und die Situation der Biermann-Ausweisung 1976 unter der Überschrift "Provozierte Dissidenz".
Mißglückter Einschüchterungsversuch
Die Frage, wieso es zu diesem Formalismus-Plenum gekommen ist, habe ich mir früher schon öfter gestellt, und ich habe 1989 in einem Aufsatz versucht, die damals zugänglichen Dokumente zu beschreiben und auszuwerten.[2] Man kann aus diesem Material den recht sicheren Schluß ziehen, daß dieses Plenum nicht auf Initiative der DDR-Parteiführung zustande kam, sondern die Folge einer sowjetischen Weisung war. Dafür spricht bereits der Ausdruck "Formalismus", welcher in der russischen Literaturwissenschaft seit den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts als etablierter Fachterminus galt, in der deutschen Wissenschaftstradition jedoch unüblich war. Bereits um 1930[3] – und verstärkt nach 1945 – war in der Sowjetunion eine Gruppe von Schriftstellern und Literaturwissenschaftlern – die sogenannte "russische formale Schule" – unter scharfe politische Kritik geraten, und 1946/47 wurde diese Kritik von Shdanow aufs heftigste wiederholt.
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[1] Ludwig Erhard in einer Rede vor dem Wirtschafstag der CDU/CSU in Düsseldorf am 9. Juli 1965.
[2] Vgl. Leonore Krenzlin: Das Formalismus-Plenum. Die Einführung eines kunstpolitischen Argumentationsmodells. In: Krisen Brüche Wendepunkte. Neubefragung von DDR-Geschichte. Hg. v. Jochen Czerny, Leipzig/Jena/Berlin, S. 52-62. – Überarb. u. erw. Fassung in: Leonore Krenzlin, Dieter Schiller: Rückblick auf ein verlorenes Land. Studien und Skizzen zur Literatur der DDR. Gransee 2019, S. 74-101.
[3] Vgl. Hans Günther: Marxismus und Formalismus. In: Marxismus und Formalismus. Dokumente einer literaturtheoretischen Kontroverse. Hg. v. Hans Günther und Karla Hielscher. München 1973, S. 20.