Philosophische Gespräche
Wenn Adorno schreibt, dass die analytische Psychologie die Einzige sei, die im Ernst den subjektiven Bedingungen der objektiven Irrationalität nachgehe, dann ist damit nicht nur gesagt, dass angesichts des fortdauernden Misslingens der Emanzipation die Psychoanalyse ein unabdingbares Moment kritischer Gesellschaftstheorie sein sollte, sondern auch, dass man es hier mit einer Lücke zu tun bekommt. Dieses Verhältnis von Nichtidentität, Bedingung der Möglichkeit und Grenze von Aufklärung zugleich, fordert Übersetzung ein. Freuds Konzentration auf das Individuelle, die Abwesenheit eines emphatischen Begriffs von Gesellschaft ist so ein Mangel, der es in seiner Negativität erlaubt, psychoanalytische Konzeptionen gesellschaftskritisch zu wenden, ohne sie in Gesellschaft aufgehen zu lassen. Ähnlich exzentrisch wie Hegel, der die Geschichte ausgerechnet auf die Verwirklichung der Freiheit hin konzipierte, entwirft Freud das Subjekt vom unbewussten Wunsch, der Suche nach Lust aus. Das macht die Psychoanalyse widerständig gegen alle affirmativen Psychologien, die den Menschen nicht anders als unter der Voraussetzung der Anpassung an eine immer schon vorgegebene Umwelt denken. Damit ist ein Punkt bezeichnet, an dem sich Psychoanalyse und Kritische Theorie in aller Unterschiedlichkeit treffen: Das schlechte Gegenwärtige wird von der zu verwirklichenden Möglichkeit her gedacht.
Eine Veranstaltung in Kooperation mit dem Institut für Sozialtheorie Bochum e.V.
Referentin: Jun.-Prof. Dr. Christine Kirchhoff (Juniorprofessorin an der International Psychoanalytic University Berlin)