Junge Panke auf der Verbrecherversammlung
Das ehemalige Jugoslawien gehört bei vielen Bürgerinnen und Bürgern seiner Nachfolgestaaten nicht mehr zu ihrer eigenen biografischen Erfahrung. Dennoch füllen die Abhandlungen darüber eine ganze Bibliothek. Woher rührt das große Interesse an diesem untergegangenen Staat? Dieser Frage geht Tanja Petrović in ihrem Buch Yuropa nach.
Im ersten Teil behandelt sie die Vorstellungen vom ehemaligen Jugoslawien, die in den Äußerungen von EU-Politikern aufscheinen und auch in den postjugoslawischen Staaten selbst artikuliert werden. So wird etwa der Terminus Westbalkan am ehesten negativ definiert: Er bezieht sich auf die Staaten, die (noch) nicht zur EU gehören, wird aber vor allem dazu benutzt, um nicht zu benennen, was diese Staaten einmal waren nämlich Teile Jugoslawiens. Auch innerhalb des postjugoslawischen Raums gibt es ein Arroganzgefälle von Nordwest nach Südost: Genau so gönnerhaft wie sich etwa Österreich gegenüber Slowenien verhält, verhält sich Slowenien gegenüber Kroatien und Kroatien gegenüber Serbien. Der eine Staat gehört einfach mehr zu Europa als der andere. Diese internen Orientalismen spiegeln die Auffassung wider, der Balkan sei eine ewige Peripherie, die es zu zivilisieren gelte.
Im zweiten Teil werden die Verleugnungsmechanismen, die sich die postjugoslawischen Staaten angeeignet haben, aufgezeigt. Die sozialistische Vergangenheit Jugoslawiens wird nicht nur von den EU-Politikern ignoriert ihre positiven Seiten werden auch von den postjugoslawischen politischen Eliten in Abrede gestellt. Besonderes Augenmerk legt Petrović dabei auf den Modebegriff der Jugonostalgie, der die Gefühle der Postjugoslawen in demselben Maß trivialisiert, in dem sie der neuerdings von Tim Judah lancierte Begriff der Jugosphäre ignoriert.
Referentin: Tanja Petrović (Ljubljana)
Moderation: Mara Pu¨karević (SolidarnOst)
Der Vortrag wird auf englisch gehalten und es wird eine Flüsterübersetzung geben bei Bedarf. Fragen und Diskussion folgen dann der bunten Gesprächssituation auf serbokroatisch, deutsch und englisch.
Eine Veranstaltung von Helle Panke in Kooperation mit dem Referat für Ost-, Mittelost- und Südosteuropa der Rosa Luxemburg Stiftung, dem Verbrecher Verlag und SolidarnOst.
Tanja Petrović (Ljubljana) analysiert die Erinnerungspolitik postjugoslawischer Gesellschaften bei einem Junge Panke Abend
Bericht im Nachgang (Birgit Ziener und Fabian Kunow)
Am 9. Juni lud die Helle Panke gemeinsam mit dem Verbrecher-Verlag und dem Referat für Ost-, Mittelost- und Südosteuropa der Rosa Luxemburg Stiftung die Kulturwissenschaftlerin Tanja Petrović nach Berlin ein. 75 Besucherinnen und Besucher nahmen an diesem Vortrag und Buchvorstellung in der Kreuzberger Fahimi-Bar am Kotti teil. Die Idee zu diesem Junge Panke Abend entstand auf unserer Jugendbildungsreise 2015 durch den post-jugoslawischen Raum. Unsere Teamerin Mara Puskarevic moderierte die Abendveranstaltung.
In Petrovićs jetzt in deutscher Übersetzung vorliegenden Studie über den Umgang post-jugoslawischer Gesellschaften mit dem Erbe und den Erfahrungen eines sozialistisch-förderalen Jugoslawiens ergründet die Slowenin, warum auf der einen Seite ein großes wissenschaftliches und kulturelles Interesse an den biographisch individuell gemachten Erfahrungen des Sozialismus existiert und auf der anderen Seite mit großem politischen Aufwand diese Erinnerungen aus einem kollektiven Gedächtnis getilgt werden sollen, sobald die EU ins Spiel kommt.
Im Klartext: Zur Bedingung erklärt wird scheinbar notwendiger Weise das zeigt ihre detaillierte Auffächerung der öffentlichen, medialen und politischen Rhetorik während der unterschiedlichen Phasen der Beitrittsbemühungen von Kroatien, Slowenien, Serbien und Bosnien eine Historisierung und das meint in erster Linie Entpolitisierung der jugoslawischen, sozialistischen Vergangenheit, um der Staatengemeinschaft Europäische Union politisch näher kommen zu können. Und solange die EU erste politische und ökonomische Priorität besitzt, entledigt sich der Balkan seiner sozialistischen Vergangenheit und mit ihr der historischen Dimension der Erfahrung einer Gesellschaft, die kollektiv-sozialistischen organisiert war und den öffentlichen Raum als einen politisch-multikulturellen definierte. Petrović behandelt die Vorstellungen vom ehemaligen Jugoslawien, die in den Äußerungen von EU-Politikern aufscheinen und auch in den post-jugoslawischen Staaten selbst artikuliert werden. So wird etwa der Terminus Westbalkan am ehesten negativ definiert: Er bezieht sich auf die Staaten, die (noch) nicht zur EU gehören, wird aber vor allem dazu benutzt, um nicht zu benennen, was diese Staaten einmal waren nämlich Teile Jugoslawiens. Auch innerhalb des post-jugoslawischen Raums gibt es ein Arroganzgefälle von Nordwest nach Südost: Genauso gönnerhaft wie sich etwa Österreich gegenüber Slowenien verhält, verhält sich Slowenien gegenüber Kroatien und Kroatien gegenüber Serbien. Der eine Staat gehört einfach mehr zu Europa als der andere. Diese internen Orientalismen spiegeln die Auffassung wider, der Balkan sei eine ewige Peripherie, die es zu zivilisieren gelte. Rhetorische Infantilisierungen wie die immer wiederkehrende Figur der noch zu erledigenden Hausaufgaben, die die Beitrittskandidaten zu erfüllen hätten, degradieren nicht nur die ex-jugoslawischen Staaten, sondern zementieren ein eindeutiges Machtgefüge: Das Verhältnis der EU zu den Beitrittsländern des Balkan reproduziert einen Kolonialismus ähnlich wie er sich jetzt im Verhältnis der EU zu Griechenland in die Wirklichkeit umsetzt.
Die Erinnerung an die Industriearbeit im Sozialismus muss dabei nach Petrović gerade nicht einer Jugonostalgie und Geschichtsvergessenheit folgen, sondern im Gegenteil vergegenwärtigt sie eine Gesellschaft, deren Allgemeines, die Arbeiter*innen und Handwerker, Angestellte und Erzieher sich als politischen Akteure anerkannt sahen, die sich ihrer Geschichte und ihrer politischen Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen bewusst waren. Dies lief nicht konfliktfrei ab, dies war auch nicht automatisch immer gewährleistet, und nicht jeder Einzelne, jede Einzelne sah sich natürlich repräsentiert im sozialistischen Jugoslawien das ist nicht die These aber die politische exponierte Situation in der Blockkonfrontation, die einen Alternativentwurf zu dem Wohlstandsversprechen eines Kapitalismus des Westens und dem Dogmatismus eines Fürsorge-Verwaltungszentralismus des Ostens darstellte, ließ die Menschen partizipieren; heute erscheinen sie nur mehr als Verhandlungs- und Kürzungsmasse eines neoliberalen Staatengebildes EU.
Tanja Petrović: Yuropa. Jugoslawisches Erbe und Zukunftsstrategien in postjugoslawischen Gesellschaften. Berlin: Verbrecher-Verlag 2015, 256 Seiten, 21 Euro, ISBN: 9783957320186
Verbrecher Verlag