Zu den ungeliebten Themen linker Geschichtspolitik und Positionierung in den politischen, sozialen und geistigen Kämpfen gehört die Haltung zum deutschen Nationalstaat und zur nationalen Frage in der deutschen Geschichte. Von Haus aus Internationalisten haben Linke sich immer schwer getan, hier einen positiven Bezug herzustellen. Denn die Gefahr nationaler Überhebung und nationaler oder rassistischer Ausgrenzung ist groß. Und wer andere unterdrückt, der kann nicht emanzipatorische Politik für sich in Anspruch nehmen. Wenn sie auf die nationale Karte setzten - so in der Unterstützung der Herrschenden im 1. Weltkrieg -, haben sie dafür ein ebenso bitteres Lehrgeld zahlen müssen wie bei dem Verzicht auf eine eigene nationale Position in den politischen Kämpfen der Weimarer Republik und gegen den Faschismus oder in der Positionierung der DDR als einem sozialistischen Staat aus der Erbmasse des NS-Regimes, aber eben ein Deutschland. Spätestens 1989 wurde die Linke in Ost wie West überrascht und übermannt, als nationale Losungen die Beerdigung des Realsozialismus in der DDR begleiteten. Trotzdem bleibt die Zeit einer deutschen Einheitsstaatlichkeit immer noch die Ausnahme in de deutschen Geschichte. Unter den Voraussetzungen des Ringens um ein anti-neoliberales, um ein anti-militaristisches Europa zeigen sich erneut die Schwierigkeiten in der Positionierung zu den nationalen wie den internationalen Feldern und Losungen der politischen Auseinandersetzung. Für Linke gibt es offenbar kein entweder oder sondern nur ein sowohl als auch. Und das fiel und fällt ihnen schwer.
Mit Beiträgen von:
Prof. Dr. Walter Schmidt: Nationalstaat von oben und linker Widerstand
Prof. Dr. Georg Fülberth: Der deutsche Einheitsstaat trug den Keim seiner Auflösung von Anfang an in sich. Und so sieht er heute auch aus
Prof. Dr. Jürgen Hofmann: Wie viel Staaten verträgt eine Nation - großdeutsche, kleindeutsche und zweistaatliche Lösungen
Dr. Stefan Bollinger: Nie wieder Deutschland, Vaterland, Europa? Von der Schwierigkeit linker Suche nach neuen Identitäten
Gemeinsame Veranstaltung mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Gesellschaftsanalyse und politische Bildung e.V.
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Im ND vom 26.2.2011, S. 23, schrieb Karlen Vesper über die Konferenz:
Blut und Eisen. Konferenznotizen.
Karlen VesperEs war schon bemerkenswert, dies aus dem Munde eines Geschichtsprofessors zu vernehmen: »Ich kann nur eindringlich warnen, Lehren aus den Revolutionen des 19. oder 20. Jahrhunderts für heute ziehen zu wollen. Ich möchte das jedenfalls nicht mehr.« Walter Schmidt, einst Institutsdirektor an der Akademie der Wissenschaften der DDR fügte hinzu: »Zum Nachdenken sollte Geschichte aber stets anregen.« So war also die Ehre der Profession doch noch gerettet?
Der Berliner Verein Helle Panke hatte zu einem Kolloquium »140 Jahre Einheit und Uneinigkeit in Deutschland« geladen. Schmidt eröffnete mit der deutschen Reichsgründung 1871, Ergebnis einer Revolution von oben als Reaktion auf eine von unten (1848/49) und zugleich zur Abwendung der Wiederholung einer solchen. »Soll Revolution sein, so wollen wir sie lieber machen als erleiden«, ließ Bismarck 1866 General Manteuffel wissen.
Anknüpfend an dessen kleindeutsche Lösung mit »Blut und Eisen«, stellte Jürgen Hofmann folgenden großdeutschen Ambitionen der »Heimholung« Österreichs und der Sudetendeutschen in Hitlers Deutsches Reich, Prolog des Zweiten Weltkrieges mutigen »kleindeutschen« Widerstand gegenüber: Alfred Klahr (Foto: KPÖ) »ein kluger Mann«, Staatsrechtler, Kommunist, Auschwitzhäftling war, als er seine These von der eigenständigen österreichischen Nation zur Stärkung des Antifaschismus formulierte, von seinen Landsleuten noch belächelt oder angefeindet worden.
»Der deutsche Einheitsstaat trug den Keim seiner Auflösung von Anfang an in sich«, annoncierte Georg Fülberth. Der Marburger verwies auf die frappierende Übereinstimmung zwischen einer Denkschrift des Reichskanzlers Bethmann Hollweg 1914, der einen mitteleuropäischen Wirtschaftsverbund unter deutscher Vorherrschaft anstrebte, und dem Konzept, mit dem die (CDU-geführte) BRD die europäische Vereinigung betrieb: »Deutschland hebt sich in Europa auf und dominiert es.« Vom Bismarckschen Sozialstaat über die Sozialpolitik der SED und die materielle Anziehungskraft der BRD auf DDR-Bürger spannte Stefan Bollinger den Bogen zu Aufgaben der europäischen Linken heute. Sie sollten sich stark machen für die Übernahme des skandinavischen Sozialstaatsmodells in der EU, so der Historiker. Klios Jünger versuchten auch eine Deutung derzeitiger Revolutionen in Nordafrika und stimmten hierbei der zitierten Zurückhaltung Schmidts zu. K.V.
Rosa Luxemburg Stiftung Brandenburg