Samstag, 3. September 2011, 10:00 bis 17:00, Helle Panke, Kopenhagener Str. 9, 10437 Berlin

Der Sozialstaat im 21. Jahrhundert - neue Herausforderungen und Gefahren

Seit über einem Vierteljahrhundert steht der Sozialstaat unter Beschuss. In mehreren Schüben neoliberaler Privatisierungspolitik wurde die Regulierung des Kapitalismus immer weiter zurück genommen, die Arbeits- und Lebensverhältnisse zunehmend der Profit- und Marktsteuerung unterworfen. Ein Ergebnis dieser Politik ist, dass Deutschland nach den USA den höchsten Anteil von Niedriglohnbeschäftigung in den Metropolen aufweist. Ein anderes, dass Armut über den gesamten Lebensverlauf hinweg grassiert.

Inwieweit stellt die große Krise des Finanzmarktkapitalismus nun einen Einschnitt in dieser Entwicklung dar? Einerseits haben sich politische Interventionen und soziale Transfers als wirksame Stabilisatoren gegen den weiteren ökonomischen Absturz erwiesen.

Andererseits wird unter dem Diktat der "Schuldenbremse" und der Euro-Krisenpolitik ein verschärftes Austeritätsregime exekutiert. Damit deuten sich bereits neue Herausforderungen an: Ist sozialstaatliche Politik heute überhaupt noch nationalstaatlich zu denken und zu verteidigen oder ist der Kampf um ein neues europäisches Sozialmodell dem vorausgesetzt?

Sozialpolitik scheint kaum noch möglich, ohne die ökologischen Dimensionen – also die Kontroverse um quantitatives und qualitatives Wachstum und damit eine Strategie des sozial-ökologischen Umbaus – einzubeziehen. Und: Wie weit muss der Zusammenhang von Erwerbsarbeit und sozialer Sicherung aufgebrochen werden, um ein menschenwürdiges Leben für alle zu gewährleisten? Hier sind die Kontroversen über verschiedene Grundsicherungs- bzw.Grundeinkommenskonzepte und die Reichweite einer Politik der Entprekarisierung der Arbeit weiterhin aktuell.

Kurzum: Es geht um zentrale Fragen der Weiterentwicklung des Sozialstaats unter den veränderten Bedingungen des 21. Jahrhunderts. Damit sollen zugleich Hauptlinien und Perspektiven sozialistischer Politik diskutiert werden.

Bestandsaufnahme alter und neuer Herausforderungen:

Referate zum ersten Schwerpunkt 10.00-12.30 Uhr:

Prof. Christoph Butterwegge (Institut für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften, Universität Köln): Die Zukunft des Sozialstaats - Niedergang oder Neugestaltung?

Dr. Lutz Brangsch (Institut für Gesellschaftsanalyse, Rosa-Luxemburg-Stiftung): Wie mächtig ist der Neoliberalismus in und nach der großen Krise?

Diskussion

Erneuerung des Sozialstaats: ökologische und arbeitspolitische Umbauten

Referate zum zweiten Schwerpunkt 13.30-15.00 Uhr:

Uwe Witt (Mitarbeiter der umweltpolitischen Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag): Perspektiven des Sozialstaats 1: der sozial-ökologische Umbau

Dr. Alexandra Wagner (Forschungsteam Internationaler Arbeitsmarkt): Perspektiven des Sozialstaats 2: gute (selbstbestimmte, emanzipative) Arbeit

Diskussion

Perspektiven des Sozialstaats 3: ein neues Verteilungsregime

Referate zum dritten Schwerpunkt 15.15-16.45 Uhr:

Ralf Krämer (ver.di Bundesvorstand, Abt. Wirtschaftspolitik) und Stefan Wolf (Sprecher der BAG Bedingungsloses Grundeinkommen): Herausforderungen und Wege für eine stabile, zukunftsfeste und sozial gerechte Finanzierung des Sozialstaats; Christian Brütt (Mitarbeiter Fraktion DIE LINKE im Bundestag): Veränderte Prioritäten bei der Weiterentwicklung der sozialen Sicherheit

Diskussion

Moderation der Veranstaltung: Richard Detje (WISSENTransfer) und Prof. Dr. Klaus Steinitz (Helle Panke e. V.- Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin)

Klaus Steinitz schrieb im Neues Deutschland, 7.9.2011, S. 17:

Wohin treibt der Sozialstaat? Konferenz in Berlin diskutiert Auswirkungen der Finanzkrise.

Klaus Steinitz

Der Sozialstaat ist eine der wichtigsten Errungenschaften europäischer Nachkriegsgeschichte. Seine Aushöhlung gehört zu den gefährlichsten Tendenzen seit dem Aufstieg des Finanzmarktkapitalismus. Welche Entwicklung wird der Sozialstaat nehmen? Diese Frage diskutierten die Teilnehmer der Konferenz »Der Sozialstaat im 21. Jahrhundert«, die von der Hellen Panke – Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin in Kooperation mit WISSENTransfer Anfang September stattfand.
Ein Ergebnis dieser Politik ist, dass Deutschland nach den USA den höchsten Anteil von Niedriglohnbeschäftigung aufweist. Ein anderes, dass Armut über den gesamten Lebensverlauf hinweg grassiert. Zu Beginn der Konferenz stand der Weg der fordistischen Wohlfahrtsstaaten zu den heutigen neoliberalen Wettbewerbsstaaten. Christoph Butterwegge von der Universität Köln skizzierte die wichtigsten Merkmale so: Umverteilung im Sinne des Standortwettbewerbs, Minimal- statt Grundsicherung, stärkere Repressionen gegen Widerstände und der Ausbau des »aktivierenden « Sozialstaats, in dem die Marktlogik nach dem Prinzip Leistung durchgesetzt wird. Eine Alternative zu diesen Tendenzen sieht der Sozialwissenschaftler im Umbau der Sozialversicherung zu einer allgemeinen Bürgerversicherung, die »bedarfsorientiert, repressionsfrei und armutsfest« gestaltet werden und in der das Solidarprinzip eine größere Rolle spielen müsse.
Auf eine Folge des Umbaus machte Lutz Brangsch von der Rosa-Luxemburg-Stiftung aufmerksam, der aufzeigte, wie sich die staatliche Machtausübung mit dem Übergang zum Finanzmarktkapitalismus verändert hat und welche negativen Konsequenzen das für
den Sozialstaat hat: Aushöhlung der Demokratie durch die Stärkung der Exekutive, Unterordnung der sozialen Sicherheit unter die Zwänge der Haushaltspolitik und das Schrumpfen der sozialen Räume für die Selbstbestimmung.
Doch wie den Widerstand stärken? Christian Brütt, Mitarbeiter LINKEN im Bundestag, fordert, dass sich die Linke weit stärker für die Demokratisierung des Sozialstaats einsetzen müsse.
Ein Ansatzpunkt für zukünftige Modelle ist immer wieder das Bedingungslose Grundeinkommen. Auf der Pro-Seite begründete Stefan Wolf, Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Bedingungsloses Grundeinkommen, wie das Modell ausgestaltet und finanziert werden könnte. Der Gewerkschafter Ralf Krämer von ver.di setzt dagegen auf
eine bedarfsorientierte soziale Grundsicherung, die aktive Beschäftigungspolitik, eine Erhöhung der Reallöhne und eine umfassende Bürgerversicherung miteinander verbinden müsse.
Welche neuen Herausforderungen bei der zukünftigen Gestaltung des Sozialstaats zu beachten sind, wurde am Beispiel von zwei Problemen charakterisiert: Uwe Witt, Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten Eva Bulling-Schröter, analysierte die gewaltigen Herausforderungen, die sich aus der Umwelt-, Klima- und Ressourcenkrise
sowie dem notwendigen sozialökologischen Umbau ergeben. Sein Fazit: »Die ökologischen und sozialen Probleme werden immer enger miteinander verflochten und können nur zusammenhängend gelöst werden.«
Alexandra Wagner, Forschungsteam internationaler Arbeitsmarkt, stellte zentrale Entwicklungen in der Erwerbsarbeit dar und schlug Interventionen zur Lösung von Arbeitslosigkeit und Prekarisierung vor, die – wie bestimmte Ausgestaltungen
des Öffentlichen Beschäftigungssektors – noch intensiver diskutiert werden müssen.

WISSENTransfer

Kosten: 5,00 Euro

Wo?

Helle Panke
Kopenhagener Str. 9
10437 Berlin

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