Gemeinsame Tagung von BdWi und Helle Panke e.V.
Mit der Erschütterung des globalen Bankensystems ist die Krise in die öffentliche Wahrnehmung gerückt. Die Erfolgsrezepte neoliberaler Politik und Wertschöpfung, der Diskurs der Freiheit des Marktes vom Staat sind – zumindest zwischenzeitlich – auf dem Rückzug. Stattdessen wird nach der Finanzierung des Staates zu Gunsten von Banken und großen Unternehmen gerufen, Konjunkturprogramme und Konsumzuschüsse sollen „die Wirtschaft“ ankurbeln. Keynesianische Konzepte scheinen aus den Hauptquartieren des Neoliberalismus zu tönen.
Ob mit der neoliberalen Regulation auch die hoch-technologische Produktionsweise – oder gar der ganze Kapitalismus – in die Krise geraten ist, ist umstritten. Unklar ist auch, ob die Krisenbewältigung wiederum zu einer Erneuerung des Neoliberalismus oder zu seinem Ende führen wird. Beides wird auch Ergebnis von politischen Auseinandersetzungen und Kämpfen sein – zwischen verschiedenen Fraktionen des Kapitals und als Ergebnis von Widerstand, der sich von unten – und/oder von links – bilden könnte.
Welche Szenarien der Krisenbearbeitung gibt es? Stehen wir am Anfang eines „Post-Neoliberalismus“? Welche Krisentheorien sind geeignet, die Situation zu analysieren? Welche Kapitalfraktionen liegen im Streit, welche Transformationskonzepte von Seiten der Gewerkschaften und der gesellschaftlichen Linken? Die „Rettungspackete“ haben in den meisten Ländern demokratische Entscheidungsfindungen umschifft – gibt es Chancen für eine Ausweitung der Demokratie in der Krise? Werden die Subjektanforderungen des Neoliberalismus zurückgewiesen, lassen sich neue Solidaritäten bilden?
Die Struktur der Herbstakademie ist stark auf die Beteiligung aller Anwesenden, auf Textarbeit und Diskussion in Arbeitsgruppen angelegt. Die Tage beginnen mit einem Grundlagenreferat, zu dem sich unterschiedliche AGs und Lesegruppen bilden, die am Abend zu einer gemeinsamen Diskussion (mit den Referentinnen und Referenten) zusammenfinden. Für die Teilnehmenden wird ein Reader mit Literatur erstellt werden.
Themen:
30.9.: Eine neue Produktionsweise? Ursachen der Krise und Szenarien ihrer Bearbeitung.
(Frank Deppe)
1.10.:
Umbau der Demokratie und des Staates im „Post-Neoliberalismus“. Perspektiven für einen Kampf um Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft aus der Krise (Alex Demirovic)
2.10.:
Green New Deal? Perspektiven und Probleme eines neuen Kapitalismus, Linien der neuen Kämpfe zwischen Nachhaltigkeit, Ernährungssicherheit und In-Wert-Setzung des Lebens (Frieder Otto Wolf)
3.10:
Gewerkschaften in der Krise – Fallen der Krisenanalysen und politische Perspektiven der gewerkschaftlichen Kämpfe zwischen Konversion, politischem Streik, Co-Management und Korporatismus. (Bernd Röttger)
4.10.
Kämpfe ums neue Subjekt? Können Subjektanrufungen aus dem Neoliberalismus kritisch gewendet werdet und neue Handlungsfähigkeiten in der Krise entwickelt werden? Wie könnten Träger eines neuen gesellschaftlichen Projekts zusammenfinden? (Christina Kaindl)
Diskussionen:
1. Wie weiter nach dem Bildungsstreik? Aktivistinnen und Aktivisten werten die Aktionen aus und diskutieren über Perspektiven weiterer. (Torsten Bultmann, Jan Latza)
2. Auswertung der Bundestagswahl – Perspektiven für linke Gegenhegemonie
Arbeitsgruppen (wird weiter ergänzt):
1.
„So wie du bist, bleibst du nicht.“ Die Frage nach dem Fortbestand des Neoliberalismus in den alltäglichen Kämpfen um eine neue Lebensweise. (Janek Niggemann)
Wie schnell verändern sich Gewohnheiten, Überzeugungen, Denkweisen und Emotionen, wenn sich massive politische und ökonomische Umbrüche vollziehen? Finden die aktuellen Krisenprozesse ihre Entsprechung im Bereich des Alltäglichen, der Lebensweise? Gibt es schon eine veränderte kulturelle Bearbeitung der sich verschärfenden sozialen Widersprüche? Oder hat sich das Projekt Neoliberalismus massiv in den Denkweisen und Handlungsgründen alltäglicher Praxis eingeschrieben? Was bedeutet das für die mögliche Akzeptanz der sich anbahnenden Krisenlösungen? Führt die Anforderung, sich beständig neu zu erfinden, eigene Gedanken und Gefühle effizient in Selbstausbeutung zu mobilisieren zu einer breiten Akzeptanz autoritärer Krisenlösung? Lassen sich bereits Ansätze erkennen, die über die bestehenden Spaltungen hinweg ein gegenhegemoniales Projekt darstellen könnten?
Literatur: Angela McRobbie: Make-Over-Zv und postfeministische symbolische Gewalt. In: Volker Woltersdorff und Robert Schmidt (Hg.): Symbolische Gewalt. Herrschaftsanalyse nach Pierre Bourdieu, 169-194
2.
Gramsci und die Krise (Flo Becker):
„Ausgeschlossen kann werden, dass die unmittelbaren Wirtschaftskrisen von sich aus fundamentale Ereignisse hervorbringen; sie können nur einen günstigeren Boden für die Verbreitung bestimmter Weisen bereiten, die für die ganze weitere Entwicklung des staatlichen Lebens entscheidenden Fragen zu denken, zu stellen und zu lösen.“
Antonio Gramsci, Gefängnishefte, 13.Heft, § 17
Die Arbeitsgruppe untersucht anhand von Originaltexten von Gramsci, was sich aus seinem Verständnis über den Zusammenhang von Ökonomie, Politik und Hegemonie über Verlauf und politische Bearbeitungen lernen lässt und fragt nach Konsequenzen für eine linke Perspektiven in den aktuellen Krisendebatten und –protesten.
3.
Subjekte und Subjektwissenschaften in der Krise (Christina Kaindl)
In der aktuellen Debatten werden häufig determinierende Verbindungen von ökonomischen und politischen Konstellationen zu den Einzelnen gezogen: es geht um „Auswirkung“ der Krise auf die Menschen, die „Nachwirkungen“ neoliberaler Subjektanforderungen und warum sie dazu führen, dass „die Menschen“ sich nicht wehren, ob „es losgeht“, wenn „die Krise bei den Menschen angekommen ist“. In der Arbeitsgruppe wird nach einem anderen Verständnis vom Zusammenhang von Struktur und Handlung gefragt werden. Einige Grundlagen Kritischer Psychologie werden zur Diskussion gestellt und auf ihre Brauchbarkeit in den aktuellen Krisendebatten befragt.
Literatur:
4.
Perspektiven der Mosaik-Linken
Hans-Jürgen Urbans Konzept einer „Mosaik-Linken“ soll dazu dienen, jenseits der gegenseitigen Blockaden von gewerkschaftlicher, Bewegungs- und Partei-bezogener Linker zu überwinden und die jeweiligen organisatorischen und kulturellen Traditionen als „Ressource“ für eine gemeinsame Handlungsfähigkeit zu betrachten. In der Arbeitsgruppe wird nach möglichen gemeinsamen Transformations-Perspektiven der verschiedenen Akteure gefragt. Beleuchtet wird auch die gegenseitige Blockade von Parlamentarismus-Kritik in der Bewegungslinken und Bewegungs-Skepsis in vielen parlamentarischen Orientierungen.
Literatur:
Urban, Hans-Jürgen, 2009: Die Mosaik-Linke. Vom Aufbruch der Gewerkschaften zur Erneuerung der Bewegung, in: Blätter f. dt. u. intern. Politik, H. 5, 2009, 71-8
Becker, Florian, und Christina Kaindl, 2009: Widersprüche der Mosaik-Linken. Perspektiven der Krisenproteste. In: Luxemburg. Gesellschaftsanalyse und linke Praxis, Heft 1
Riexinger, Bernd, 2009: Perspektiven des Protestes. Wie weiter nach den Demonstrationen in Frankfurt und Berlin?, in: Sozialismus, H. 7/ 2009
5.
„Emanzipier dich gefälligst!“- Der Anspruch auf befreiende Veränderung und die Unmöglichkeit, ihn als Lernziel für andere zu setzen.
Linke und emanzipatorische Ansätze setzen auf Bildung und Erziehung. Dass die Veränderung der Umstände nicht ohne die Selbstveränderung der Menschen zu haben ist, gilt vielen als Konsens. Aber wie wird in Konzepten, Methoden und konkreter Praxis damit umgegangen, dass die Perspektive der Selbstveränderung den Teilnehmenden nicht "beigebracht" werden kann? Warum wehren sich Lernende zurecht gegen fremdgesetzte Lernziele, auch wenn es inhaltlich richtig ist, Befreiung und Emanzipation erreichen zu wollen? Die Kritische Psychologie bietet viele Kategorien und Argumente, um Bildung, Erziehung und Selbstbestimmung zu denken und bestehende Ansätze auf Fremdbestimmung und Handlungsbegrenzungen hin zu kritisieren. Mögliche Schwerpunkte des Workshops sind allgemein die Frage nach der Aktualität Kritischer Psychologie für linke Bildungspraxis, die Widersprüche von Bildungsarbeit zwischen persönlicher Veränderung, Fremdbestimmung und politischen Kämpfen für eine ganz andere Welt.
Textgrundlage:
Klaus Holzkamp: „We don’t need no education“.In: Forum Kritische Psychologie 11, 113-125
Christina Kaindl: Über die Unmöglichkeit, emanzipatorische Ziele für Andere zu setzen.
Die Arbeitsgruppe Vermittlung ist Teil der neu gegründeten „Assoziation Kritische Psychologie Berlin“. Sie organisiert workshops, Seminare und eine Ringvorlesung zur Kritischen Psychologie in Berlin. Mehr Infos unter:
http://kritischepsychologie.blogsport.de/ags/vermittlung/
Organisatorisches
Veranstalter:
Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler / BdWi
Helle Panke zur Förderung von Politik, Bildung und Kultur e.V.
Leitung: Christina Kaindl
Teilnahmegebühr:
Pro Person 50,00 Euro, inkl. Unterkunft und Vollverpflegung im Doppel- oder Mehrbettzimmer für 5 Tage Seminardauer. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhalten vor der Tagung Reader und Vorbereitungsthesen.
Aufgrund begrenzter Platzkapazitäten bitten wir um eine verbindliche Anmeldung. Die Tagung wird von den VeranstalterInnen finanziell bezuschusst.
Überweisung des Teilnahmebeitrags an:
BdWi, Volksbank Mittelhessen, Konto: 16 40 88 08, BLZ: 513 900 00
Verwendungszweck: Herbstakademie
Tagungsort:
Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein
Freienwalder Chaussee 8–10, 16356 Werftpfuhl
Das Haus liegt im Nordosten von Berlin, 30 km von der Stadtmitte am Rande des Erholungsgebietes “Gamengrund”.
Anmeldung:
Mit dem Anmeldeformular auf dieser Seite oder direkt bei:
BdWi, Gisselberger Str. 7, 35037 Marburg
Tel.: (06421) 2 13 95, Fax (06421) 16 32 66
E-Mail: bdwi@bdwi.de
Die Anreisebeschreibung zum Tagungsort findet sich hier:
www.kurt-loewenstein.de/hausinfos/anreise.html
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