Geschichte
Untersuchungen über die DDR und Osteuropa beschäftigen sich heutzutage vorrangig damit, die Ursachen für den Untergang des sozialistischen Systems aufzudecken. Dabei wird völlig vergessen, dass es in der langjährigen Geschichte des Realsozialismus auch Problemlösungen gegeben hat, die mit Blick auf die Gegenwart unser Interesse verdienen. Ein solches Beispiel ist der Umgang mit Konflikten zwischen dem kollektiven Interesse am Ausbau von Wirtschaftsgemeinschaften und den nationalen Interessen der einzelnen beteiligten Staaten.
Seit einigen Jahren befindet sich die EU in einer derartigen Krise. Auch der RGW befand sich nach schwierigen Start am Anfang der 50er Jahre und einer prosperierenden Phase der Zusammenarbeit in den folgenden Jahren von Anfang der 60er bis Anfang der 70er Jahre in einer Existenzkrise. Ceausescu drohte Chruschtschow auf ihrem Höhepunkt 1964 offen mit Rumäniens Austritt aus dem RGW. Die Meinung, dass von der osteuropäischen Wirtschaftsgemeinschaft nur die UdSSR, die DDR und die CSSR Vorteile hätten, teilten mit Rumänien auch eine Reihe weiterer RGW-Länder. Es dauerte bis 1971, bevor es mit dem RGW-Komplexprogramm gelang, einen akzeptablen Kompromiss zu finden, der den Interessen aller an der osteuropäischen Wirtschaftsgemeinschaft beteiligten Staaten entsprach jedenfalls für die folgenden anderthalb Jahrzehnte.
Heute haben wir es mit einer EU-Krise zu tun. Wie damals der Rumexit bedroht heute der Brexit das weitere Funktionieren der Wirtschaftsgemeinschaft. Wäre die 1971 gefundene Lösung zur Sicherung der Existenz der Wirtschaftsgemeinschaft Ost heute auch auf die Wirtschaftsgemeinschaft West anwendbar?
Die Beschäftigung mit dieser Frage setzt einen neuen Blick auf die Geschichte des RGW voraus, der im Vortrag zu vermitteln versucht wird.
Referent: Prof. Jörg Roesler (Wirtschaftshistoriker)
Moderation: Dr. Alexander Amberger