3. Hermann-Henselmann-Kolloquium
mit Prof. Dr. Wolf R. Eisentraut, Dr. Bruno Flierl, Dieter Bankert, Helmut Geisert,
Prof. Dr. Heinrich Moldenschardt, Prof. Hans Kollhoff, Sergej Tchoban, Augustin und Frank Architekten
Gemeinsam mit der Hermann-Henselmann-Stiftung, der RLS und mit Unterstützung der Akademie der Künste
Teilnahmebeitrag: 5 Euro (incl. Essen und Trinken)
Tom Mustroph schrieb über das Kolloquium:
Werbung wider Wohnkultur. Kolloquium der Hermann-Henselmann-Stiftung zur Architektur der Gegenwart
Tom Mustroph
Über Architektur wird in Berlin heutzutage wenig gesprochen. Über Sinn und Zweck von
Architektur wird nicht diskutiert. Die Regierungsstadt, selbst noch Objekt des städtebaulichen Diskurses, wenngleich bereits weniger als der Innenstadtumbau in den frühen 90er Jahren, ist vollendet. Gebaut wird weiterhin. Gedankenlos werden Lücken geschlossen, Gelder in Stein und Glas angelegt, auf dass die Wandzwischenräume mehr Geld generieren. Fotografen kommt die undankbare Aufgabe zu, die gesichts- und gedankenlosen Produkte des Investments so in Portfolios darzustellen, dass immer neue Geldgeber für weitere Gelddruckmaschinen gewonnen werden können.
Seit Kurzem tritt die Hermann-Henselmann-Stiftung in diese ästhetische und analytische Ödnis. Mit dem Arbeitsmittel des Symposiums möchte sie einen neuen Garten des Architekturdiskurses anlegen. Die der Rosa-Luxemburg-Stiftung assoziierte Organisation veranstaltete zum dritten Mal ein Architektur-Kolloquium, das sich am Schaffen ihres Namensgebers orientiert, gleichfalls aber aktuelle Fragen aufwirft. »Zeichensetzungen der Architektur der Gegenwart« lautete das Thema. Ein relevantes, angesichts des Städte- Brandings, der Jagd nach markanten Gebäudeskulpturen, die die Wichtigkeit von Bauherrn und Architekten in die Skyline meißeln. Werbe-Zeichen sind angesagt, Architektur als Gebrauchs- und Wohngegenstand gilt wenig.
Begonnen hatte das Kolloquium provokativ: Aufs Faltblatt waren die Gontard nachempfundenen Doppeltürme von Hermann Henselmann am Frankfurter Tor und das ungleiche Zwillingspaar Hans Kollhoffs (ein Klinkerbau und ein Glaspalast) am Potsdamer Platz gesetzt. Welches Turmpaar ist das richtige? So lautete die provokative Frage, die auch gleich beantwortet wurde: Folgt man dem Schriftbild des aufgeklappten Flyers, dann befinden sich Henselmanns Türme oben, die Spitzen zeigen aufwärts. Kollhoffs Kolosse hingegen sind nach unten abgerutscht. Kopfüber gerichtet weisen sie in den Boden. 1:0 für Henselmann geht also das Ost-West-Duell, der Ostmoderne-Postmoderne-Vergleich aus.
Mit einer Diskussion von Henselmanns Schaffen begann der Architekturhistoriker Bruno Flierl den Reigen der Vorträge. Flierl bettete die Arbeit des wirkungsmächtigsten Architekten und neben dem Betonschalenkonstrukteur Ulrich Müther wichtigsten Baukünstlers der DDR in seine Theorie der Bildzeichen ein. Henselmann drängt sich als Autor architektonischer Zeichen geradezu auf. Der »Frank Lloyd Wright der DDR« hat einige der spektakulärsten Bauten Ostdeutschlands geschaffen: den »Arbeiterbarock« der Stalinallee etwa, verblüffende Objekte der Moderne wie Kongresshalle und Haus des Lehrers. Selbst das neben dem Brandenburger Tor am meisten abgebildete Objekt Berlins, der Fernsehturm, entstand nach Henselmanns Idee des »Turms der Signale«.
Für Flierl ist der Turm das Bildzeichen der Stadt schlechthin, er fokussiert die damalige Aufbruchs-euphorie als »symbolische Verheißung für den Weg des Menschen in den Kosmos«. Dass Henselmanns ungebaute oder wie im Falle des Jenaer Uni-Turms abgeschwächte Projekte eine Strahlkraft aufgewiesen hatten, die bei originalgetreuer Realisierung die DDR auf die architektonische Höhe von Oscar Niemeyers Brasilia oder der Pariser Achse vom Louvre bis zu La Defense katapultiert hätten, ging aus dem Beitrag von Dieter Dankert hervor.
Doch was unterscheidet den Fernsehturm von neuen Türmen in Shanghai und Singapur? Wo hätte die Differenz zwischen den heute eher kritisierten Hochhaustürmen von Hongkong und den eher heimlich gefeierten WG-Türmen für den geplanten naturwissenschaftlichen Campus der Humboldt-Universität im Berliner Hans-Loch-Viertel gelegen? Die Diskussion, wann symbolkräftige Architektur schon wohlwollend rezipiertes »Zeichen« ist, weil sie ein kulturelles Komprimat schafft, und wann sie lediglich als »Oberfläche« abgetan wird, blieb leider unscharf.
Einen interessanten Beitrag zur Widerspiegelungsmöglichkeit von Architektur eine Fähigkeit, die ein Zeichen ja erst ausmacht lieferte Helmut Geisert. Zwar scheiterte Henselmann an der zeitweilig von Partei und Staat und wohl auch selbst gestellten Aufgabe, die Ideale des Sozialismus in Baukunst zu transformieren; die damalige Stalinallee ist eine fürs bürgerliche Wohnen gut nutzbare Anlage, die im Dekor ein architekturhistorisches Potpourri liefert. Henselmanns strengeren ästhetischen Ansprüchen genügenden Projekte finden ihren Platz in der kapitalistischen Moderne. Er wollte aber tatsächlich eine Architektur der frei assozierten Produzenten schaffen, erläuterte Henselmann-Schwiegersohn Geisert aus profunder Kenntnis des Archivs des Architekten. Dazu wollte der Chefarchitekt Berlins den Bauprozess revolutionieren. Die Kompetenz von Arbeitern und Architekten sollte genutzt werden, die Standesunterschiede eingeebnet, die Bedürfnisse realer Nutzer integriert werden. Ironie der Geschichte ist, dass ausgerechnet im Versuchslabor des neuen Bauens, auf den Baustellen der Stalinallee, auf denen eine aus dem Nationalsozialismus übernommene Funktionselite die Normen für eine zumindest teilweise antifaschistisch gewesene Arbeiterschaft hochgesetzt hatte, der Aufstand des 17. Juni eine seiner Keimzellen hatte. Der später in Gang gesetzte industrielle Bauprozess war von diesem Ideal der Partizipation weit entfernt. Geisert sieht in ihm sogar den Ausdruck des Willens einer herrschenden Schicht, ihre Macht mit Hilfe der Entfremdung der anderen zu zementieren. Scharfer Tobak. Dass eine Alfabetisierungskampagne für Bildzeichen der Architektur sowohl für Architekten wie auch Interessierte nottut, zeigten spätere Präsentationen aktueller Projekte. Der in Moskau wie Berlin aktive Sergej Tschoban entwickelte aus einer gefälligen Darstellung des »genetischen Codes« einer Stadt er unterscheidet zwischen wohlorganisierter »Stadt der Räume« (etwa Berlin) und spektakulärer »Stadt der Objekte« (etwa Moskau) willkürlich erscheinende Effektbauten.
Ein womöglich nächstes, und dann eher »linkes« Thema deutete sich in Diskussionen über neue Baulandregelungen an. Nicht Spekulationsobjekt sollte ein Grundstück sein, sondern auf Zeit überlassene Fläche für ein Gehäuse am Ort benötigter Funktionen. Diese Frage allerdings ist, wie Bruno Flierl anmerkte, nur zu lösen, wenn sich die Gesellschaft ändert. Parallel dazu sollte man sich daher schon Gedanken über eine Ästhetik der Architektur frei assoziierter Produzenten machen. Das Kolloquium der Hermann-Henselmann-Stiftung war ein erster kleiner Schritt.