Tageskonferenz
Der Begriff der Klasse ist zurück! Allerdings kehrt die Klasse in der gegenwärtigen Diskussion nicht unvermittelt wieder, vielmehr hat der Klassenbegriff eine Geschichte der Abkehr, der Erweiterung und der Entgrenzung durchlaufen.
Da war zunächst die Abkehr vom Klassenbegriff im Zuge der Herausbildung der Neuen Linken und der Neuen Sozialen Bewegungen nach 1968. Sie führte für Jahrzehnte, so der Vorwurf, in eine Identitätspolitik, in der sich die Linke einer selbstreferentiellen Beschäftigung hingab – bis sie schließlich, wie Eribon in seiner „Rückkehr nach Reims“, vor den Folgen eines unterbrochenen, ja abgerissenen Verhältnisses stand. Vor allem der Kontakt mit demjenigen Teil der Klasse, der sich mittlerweile dem Rechtspopulismus hingibt, scheint verloren gegangen zu sein.
Die Frage ist allerdings, ob die Abkehr nicht einerseits einen affirmativen Arbeits- und einen verengten Klassenbegriff aufgebrochen hat, und ob im Zuge der Abkehr nicht andererseits gesellschaftliche Widersprüche eingebracht wurden, die gerade der Diversität in der Klassenzusammensetzung sowie in den Herrschaftstechniken und den Herrschaftserfahrungen gerecht werden. Es waren vor allem zwei Öffnungen, die den Klassenbegriff regelrecht aufgebrochen haben. Zum einen machten die feministische Intervention und die postkoloniale Theorie die übergreifende Reproduktion innerhalb der Arbeits- und Klassenverhältnisse sowie eigenständige Herrschaftsverhältnisse sichtbar. Zum anderen erfuhr die Klasse aber auch Entgrenzungen durch Konzeptionen der Multitude, durch Körper- und Tierpolitik, durch die kritische Geographie sowie durch die Integration der neuen Technologien in das „Humane“.
Die Rückkehr des Klassenbegriffs ließe sich demnach mit einer Aufarbeitung und Aktualisierung, mit einer Öffnung und Erweiterung und vielleicht sogar mit einer Entgrenzung verbinden. Allerdings scheint diese umfassende Erneuerung bislang nur in eine Unverbundenheit zu führen. Bei aller Anstrengung um ein „Patchwork der Minderheiten“, „Intersektionalität“ oder eine „Mosaik-Linke“ fehlt die Übereinkunft in einem Universalismus, wie er in einer Politik im Namen der Arbeit und der Arbeiterklasse einst möglich schien.
Die Konferenz zur Klasse ist in die drei Blöcke Erneuerung, Erweiterung und Entgrenzung geteilt. Im ersten Block soll es um Geschichte und Aktualität des Klassenbegriffs gehen, im zweiten um Ansätze, die Klasse von Reproduktionsverhältnissen her begreifen, und im dritten geht es schließlich um die Öffnungen, Supplementierungen und Entgrenzungen des Klassenbegriffs.
Eine Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung.
Programm
10:30 Begrüßung
10:45 I. Panel. Erneuerung: Historie und Aktualität des Klassenbegriffs
Janina Puder (Projekt Klassenanalyse Jena, PKJ):
Entwicklungen in der Klassentheorie im Überblick
Kim Lucht (PKJ):
Aktuelle Debatten um Klasse: Thesen aus dem Projekt Klassenanalyse Jena
Sebastian Friedrich (Autor und Journalist):
Die Debatte um "Neue Klassenpolitik": eine kritische Zwischenbilanz
Moderation: Dr. Falko Schmieder
12.30 Mittagessen
14.00 II. Panel. Erweiterung des Klassenbegriffs: Feminismus, Social Reproduction Theory und die Reproduktionsmaschine
Friederike Beier (Politologin FU Berlin, Herausgeberin von Materializing Feminism!):
Anerkennung oder Vereinnahmung? Zur globalen Regierung sozialer Reproduktion
Luise Meier (Berlin, Autorin von MRX Maschine):
Friktionen in der Reproduktionsmaschine
Moderation: Dr. Patrick Eiden-Offe
16:00 Kaffeepause
16:30 III. Panel. Entgrenzungen: Mutationen des Klassenkampfes
Katja Diefenbach (Kulturwissenschaftlerin an der Merz Akademie, Autorin von Spekulativer Materialismus: Spinoza in der postmarxistischen Philosophie):
Der verfemte Teil der Multitudo - Welche Zukunft hat der Klassenkampf?
FAHIM AMIR MUSSTE LEIDER WG. KRANKHEIT ABSAGEN. Stattdessen: Christian Frings (Autor, Köln): "Der verfemte Teil" Teil 2: Pöbel, Lumpen und Kinder
Nina Scholz (Journalistin in Berlin, Autorin von Nerds, Geeks und Piraten. Digital Natives in Kultur und Politik):
Nerds, Geeks, KI & Klassenkampf
Moderation: Dr. Frank Engster
In der Helle Panke ist 2018 auch eine Broschüre zu "Klasse. Begriff und Gebrauch in der Gesellschaftskritik vor, bei und nach Marx" erschienen, erhältlich hier.