Junge Panke
Das Lektüreseminar widmet sich mit Victor Klemperers Buch LTI – Notizbuch eines Philologen einem Klassiker der kritischen Analyse der nationalsozialistischen Sprache. Es basiert auf umfangreichen Tagebuchaufzeichnungen, wurde erstmals 1947 veröffentlicht und hat seitdem viele Auflagen erlebt. Klemperer untersucht darin vielfältige Dimensionen der Sprache des Dritten Reiches, der Lingua Tertii Imperii (LTI), darunter etwa prägnante Einzelwörter, Redewendungen und Floskeln der Nazisprache, die Instrumentalisierung und Umdeutung von Sprachtraditionen oder die Politik der Normierung und Reglementierung der Sprache seitens der Nazielite. Darüber hinaus geht es Klemperer aber auch in einem viel umfassenderen Sinne um die im Medium von Sprache hergestellte und im alltäglichen Sprachgebrauch reproduzierte nationalsozialistische Ideologie, um das Einwandern und Festsetzen der Herrschaftssprache, um die oft unbewussten Wirkungen und Prägungen, um die Verführungs- und Lenkmacht der Sprache, die sich gerade auch in unscheinbaren Wendungen und Redensarten bekundet. Klemperer geht damit weit über das Feld der offiziellen Politik oder der offenen Zustimmung zum Nationalsozialismus hinaus und bezieht in seine Analysen der Wirkmacht von Sprache selbst noch diejenigen ein, die Gegner und Opfer des Nationalsozialismus waren. Seinen Analysen liegt damit ein Sprachkonzept zugrunde, das Sprache nicht als neutrales Instrument, sondern als wahrnehmungslenkendes und prägendes Medium begreift, in dem Wirklichkeit geformt, beeinflusst und verändert wird. Sprache trägt damit immer politische Züge, auch wenn es um scheinbar ganz unpolitische Dinge geht. Es sind nicht zuletzt diese Dimensionen, die Klemperers Buch im Hinblick auf die Neue Rechte und ihre Sprachpolitik eine neue Aktualität verschaffen. Gerade eine kritische Sprachanalyse kann nämlich über den Nachweis einer bewussten Umwertung und Neubesetzung von Begriffen (wie etwa den der Kultur) oder einer gezielten Verschiebung der Grenzen des Sagbaren durch sprachliche Provokationen (z.B. Umvolkung, Volksverräter) seitens der Rechtsideologen hinaus zeigen, dass rassistische und rechtsextreme Anschauungen längst bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein verbreitet sind und sich dort festgesetzt und oft genug auch dort ihren Ursprung haben (Bspl.: Überfremdung, Nafri).
Auf dem Lektüreseminar sollen ausgewählte Kapitel von Klemperers Buch gelesen und kritisch diskutiert werden. Zu einem kritischen Umgang mit dem Buch gehört es dabei einerseits, auch seinen Widersprüchen, Problemen und offenen Fragen nachzugehen, wie auch andererseits, die (sprach-)kritischen Impulse aufzunehmen und es im Hinblick auf die Sprachpolitik und Sprachpraxis der Neuen Rechten neu zum Sprechen zu bringen.
Teamer*innen: Dr. Falko Schmieder und Dr. des. Birgit Ziener