Konferenz
Die Deutschen sind gründlich. Sie schaffen es, ihr Land zwölf Jahre den Faschisten zu überlassen und dafür zu sorgen, dass das deutsche Großkapital mit Rüstung und Sklavenarbeit sich bereichert und selbst eine bedingungslose Kapitulation gut verkraftet.
Mit deutscher Gründlichkeit lassen sich die verfeindeten politischen Lager von Rechts wie Links in den ihnen aufgedrückten Besatzungszonen auf einen oder zwei neue Wege ein: Entweder ein Kapitalismus ohne seine faschistischen Verbrechen, nun als soziale Marktwirtschaft mit demokratischen Zügen ausgerichtet oder als ein Versuch, endlich das sozialistische Versprechen der Novemberrevolution einzulösen. Über vier Jahrzehnte stehen sich BRD und DDR als Feinde, als Konkurrenten, oft auch als Partner gegenüber. Und mit deutscher Gründlichkeit können sich die beiden Supermächte ihrer beiden Republiken sicher sein, es sind treue Verbündete, gelegentlich mit eigenem Kopf, mit großer Wirtschaftskraft und der neuen Sache mehr oder minder treu ergeben.
Mit deutscher Gründlichkeit meistern sie – insbesondere im Osten von der Sowjetunion gestützt - ihre Krisen und stehen in den 1980er Jahren vor Herausforderungen: Wie beherrscht man neue Technologien und den Wandel der Klassengesellschaft, wie sichert Konsum politische Stabilität, wie bestellt man seinen Platz in Europa und in der Welt in Zeiten eines neuen Kalten Krieges und einer beginnenden Entspannungspolitik. Und wie nutzt man die Krise des einen deutschen Staates für eine Einheit eines geläuterten und klügeren, friedlicheren Deutschland – oder wie geht man den Weg zu einer neuen deutschen Normalität mit europäischem Führungsanspruch.
Und wie bringt man diese beiden deutschen Staaten nach Jahrzehnten von Feindschaft, zögerlichen Nebeneinanders, offenen Wunden und langen familiären Kontakten in Zeiten eines weltweiten Umbruchs wieder zusammen. Ist die Krise der DDR ein Zufallsprodukt oder verwirklicht sich in ihr das Streben nach deutscher Einheit oder einem funktionierenden Staats- und Gesellschaftssystem, in Ost und West. Gehen diese Hoffnungen auf, oder verfestigt sich aus der Euphorie der Einheit, der kalkulieren wirtschaftlichen Übernahme und der Diskreditierung eines Versuchs eines besseren Deutschlands und eines solidarischen Gesellschaftskonzepte ein Kapitalismus, der erneut nach einer zumindest europäischen Führungsrolle strebt und die tödliche Vergangenheit in einer neuen Normalität aufzuheben sucht.
In diesem Spannungsbogen soll sich die Konferenz bewegen, nicht mit dem Anspruch, auf alle Fragen erschöpfende Antworten zu geben, aber Denkweisen aufzuzeigen, die nun seit über drei Jahrzehnten tradierten Erzählungen kritisch zu hinterfragen und zu prüfen, was ein 75. Jahrestag einer ungewollt doppelten Staatsgründung heute noch bedeutet und was nunmehr fast 35 Jahre einer deutschen Neugründung bewegt oder verhindert hat.
Plenum (Leitung: Stefan Bollinger) 14:00-15:30
Deutschlands Wege in die Zeit nach dem Faschismus – Brüche, Kontinuitäten, Alternativen
14:00
Stefan Bollinger (Berlin)
Fragen an die Geschichte sind Fragen an das Heute – Wege und Irrwege deutscher Spaltung und deutscher Einheit
14:20
Frank Deppe (Marburg)
Ein deutscher Weg jenseits der Vergangenheit – der Weg in die Bundesrepublik aus eigener Kraft und eingebunden in ein neues Bündnis
14:40
Lothar Schröter (Borgkwalde)
Die beiden deutschen Armeen im Kalten Krieg. Der Versuch eines Vergleichs
15:00
Jörg Wollenberg (Bremen)
Antifaschismus als Anspruch für eine demokratische Bundesrepublik?
Diskussion
15:30-15:45
Pause
Podium (Moderation: Karlen Vesper) 15:45-17:45
Zweimal Deutschland für die Menschen – Gemeinsames und Trennendes
mit
• Viola Schubert-Lehnhardt (Halle/S.) Zwischen Schein und Sein - Gleichberechtigung und Frauenemanzipation in der DDR
• Heiner Niemann (Berlin) Die Erbschaften zweier deutscher Staaten für ein gesundes vereintes Deutschland?
• Petra Welitschkin (Heiligenstadt) Sowjetisch-russische Alltagserfahrungen für die DDR und das vereinte Deutschland
• Sabine Kebir (Berlin) Die beiden deutschen Staaten, der Nahe Osten und Israel – zwischen Solidarität, Konfrontation und Spannungen in Deutschland vor und nach 1989
17:45-18:15
Pause
Podium (Moderation: Karlen Vesper) 18:15-19:45
Ein Einheitsstaat, zwei Erbschaften, zwei Gesellschaften?
mit
• Anna Stiede Deutsche Einheit – Chancen für Emanzipation oder neue Gängelei?
• Ulrich Busch (Berlin) Fokus Ostdeutschland - Gewinner und Verlierer der deutschen Einheit?
• Michael Klundt Deutsche Einheit als Chance für einen Bruch mit der Vergangenheit oder als Moment der nationalistischen und rechtsextremistischen Wiederentdeckung
Plenum (Leitung: Stefan Bollinger) 20:00-21:00
Aussichten, Sorgen, Hoffnungen
20:00
Erhard Crome (Berlin)
Ein mündig gewordenes vereintes Deutschland auf dem Weg in die "Zeitenwende"
20:20
Lukas Meisner (Berlin)
Deutsch-deutsche Geschichte zwischen Interpretation und Manipulation?
20:40
Stefan Bollinger (Berlin)
Die Geschichte bleibt offen
Eine Konferenz der Hellen Panke in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung.