Die Nation. Von "Globalisten" und "Antinationalen" wird sie ideologisch geächtet; Marx hielt ihre Aufhebung perspektivisch für ein Erfordernis des Fortschritts. Aber ist ihr Ende heute schon gekommen? Oder bleibt sie, wie der französische Linkssozialist Jean Pierre Chévènement meinte, „unersetzbarer Rahmen der Demokratie“. Auch Aijaz Ahmad, ein profunder indischer Marxist, sieht im Nationalstaat eine grundlegende Realität, in der gegenwärtig die sozialen Konflikte stattfinden. Aber schon Marx und Engels betonten die Verwobenheit des nationalen Kampf des Proletariats und des Klassenkampf: "Es bedarf aber bloß der Verbindung, um die vielen Lokalkämpfe von überall gleichem Charakter zu einem nationalen, zu einem Klassenkampf zu zentralisieren."
Die Nation ist jedenfalls eine dynamische Materie; dialektisches Denken muss sie stets im konkreten Rahmen behandeln. Wir wollen uns in der Veranstaltung vor allem ansehen, was die fortschrittliche Literatur darüber zu sagen hat, das Herangehen von Marxisten im Verlauf der Zeit wiedergeben. Einen wichtigen (aber beileibe nicht den einzigen) Ausgangspunkt dazu bildet Otto Bauers Werk „Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie“. Der Blick auf das Heute begleitet dabei stets die Analyse – es ist die Gegenwart, die als Standort eine Rückschau bestimmt!
Referent: Michael Wengraf, Wissenschaftshistoriker und Publizist, hat zuletzt beim Mangroven Verlag das Buch Die Aufhebung. Nation und Nationalismus aus marxistischer Perspektive veröffentiicht.