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Heft 19: Zum Begriff des Glücks bei Theodor W. Adorno und Walter Benjamin

Vortrag am 30. Juni 2010

Von: Simon Duckheim

Heft 19: Zum Begriff des Glücks bei Theodor W. Adorno und Walter Benjamin

Reihe "Philosophische Gespräche", Heft 19, 2010, 44 S., A5, 3 Euro plus Versand

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Reihe "Philosophische Gespräche", Heft 19, 2010, 44 S., A5, 3 Euro plus Versand

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Inhalt

I. Glücksforschung
II. Zum Verhältnis von Positivität und Negativität
III. Exkurs: Zum ontologischen Gottesbeweis
IV. Möglichkeiten der Glückserfahrung
V. Die Utopie der Warenform
VI. Die Utopie des Namens und das Glück der Kindheit

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LESEPROBE

I. Glücksforschung

So viel Glück wie heute war noch nie. Der Begriff des Glücks hat zurzeit Hochkonjunktur in der Öffentlichkeit. Dabei fällt auf, dass zumeist lediglich die Subjektivität des Glücksbegriffs herausgestellt wird. Man sucht Antworten auf die Frage, wie das einzelne Individuum imstande sei, unabhängig von den gesellschaftlichen Verhältnissen sein persönliches Glück zu finden. Dabei wird eine Beschränkung auf die Innerlichkeit suggeriert; es werden "Glücksformeln" ausgearbeitet, die die Menschen dabei unterstützen sollen, ein möglichst glückliches Leben zu führen. So ist an einer Heidelberger Schule im Jahr 2007 gar das Schulfach Glück eingeführt worden – am englischen Wellington College existiert eine solches Fach bereits seit 2006 –, das den Schülern bei ihrer individuellen Suche nach dem Glück Hilfestellung geben und "Lebenskompetenz" vermitteln soll.[1] Auch die Titel der Ratgeberliteratur, von denen einige Exemplare bis in die Sachbuch-Bestsellerlisten gelangten und in denen Begriffe wie eben "Glücksformel"[2], "Gebrauchsanweisung"[3] oder auch "Glücks-Faktor"[4] auftauchen, zeigen die Richtung an, in welche die neuere Glücksforschung weist.

Unterstellt wird, ein jeder Mensch habe die Möglichkeit, in dieser Welt glücklich zu werden; er müsse sich nur für das Glück entscheiden und entsprechend dieser Entscheidung sein Leben führen. Kritik an den objektiven Verhältnissen, die das allgemeine Glück im emphatischen Sinne a priori verhindern, wird aus der Diskussion verdrängt. So gibt es beispielsweise zahlreiche Statistiken, die das bloß subjektive Glücksempfinden der Menschen in verschiedenen Ländern der Erde zu erfassen versuchen.[5]

Daneben existiert auch das andere Extrem der heutigen Glücksforschung, wenn versucht wird, das Glück unter Absehen von individuell-subjektiven Aspekten zu objektivieren. Einer dieser Ansätze ist der, Glück auf neurophysiologische Prozesse im menschlichen Gehirn zu reduzieren. Ausgehend von Gehirnstrommessungen werden Statistiken erstellt, die angeben sollen, wann und unter welchen Umständen der Mensch am glücklichsten bzw. unglücklichsten ist. Weitere Statistiken wollen wissen, zu wie viel Prozent seines Lebens ein durchschnittlicher Mensch überhaupt glücklich sein könne. Zur Erklärung solcher Statistiken werden dann biologische bzw. evolutionistische Erklärungen angeführt, wie etwa die, dass Glück ein chemisch übertragenes Signal und insofern grundsätzlich nicht von Dauer sei.

Auf diese Weise wird der Begriff des Glücks offenkundig verflacht. Adornos Verständnis des Glücksbegriffs ist ein gänzlich anderes und dessen Erläuterung selbst kann als eine konsequente Kritik der aufgeführten Tendenzen angesehen werden. In einer seiner Vorlesungen über Ästhetik von 1968/69 sagt Adorno: "Es kann wahres oder falsches Glück in einem objektiven Sinne geben, und es erschöpft sich nicht darin, wie das einzelne Subjekt seine Erlebnisse glückvoll oder leidvoll registriert. Darin liegt die Anmaßung der Theorie, darüber zu urteilen, was Glück und [was] kein Glück sei."[6] An einem objektiven Begriff des Glücks festzuhalten ist deshalb notwendig, da dieser als beliebiger sein kritisches Potential verlöre – auch angesichts dessen, dass dies, wie Adorno selbst sagt, als Anmaßung gegenüber dem individuellen Glücksempfinden erscheinen mag. Glück wäre sonst tatsächlich nicht mehr und nicht weniger als das, was der Einzelne dafür hält; eine Kritik an der Objektivität, die eine der nahezu vollständigen Glücksversagung ist, wäre – zumindest, was den Glücksbegriff betrifft – nicht möglich.

In der Philosophiegeschichte gilt seit der Antike das Glück gemeinhin als eines der höchsten Ziele menschlichen Lebens. Die Philosophie geht seither zumeist von einem Begriff des Glücks aus, der eine dauerhafte Zufriedenheit meint, im Gegensatz zum glücklichen Zufall oder momenthaften angenehmen Gefühlslagen. Einen noch emphatischeren Glücksbegriff vertritt Adorno: Glück sei per se nicht teilbar, die Partikularität des Glücks negiere den Begriff des Glücks selbst. Dieser Gedanke jedoch muss dialektisch gedacht werden: Glückserfahrungen, die im Bestehenden nur momenthaft möglich sind und schon in ihrer Momenthaftigkeit dem Glücksbegriff widersprechen, sind zwar kein Glück im oben genannten emphatischen Sinne, sind aber auch nicht zu vernachlässigen, da sie das einzige an Glück sind, das den Menschen heute bleibt.

Entscheidend für Adornos Theorie des Glücks sind also zum einen der objektive bzw. emphatische Begriff des Glücks, und zum anderen derjenige Glücksbegriff, der an einem Moment bzw. einem erfüllten Augenblick hängt und den Martin Seel in Anlehnung an Kierkegaard als "ästhetischen Glücksbegriff" bezeichnet.[7] Zwischen diesen beiden Begriffen des Glücks bei Adorno besteht eine ständige Spannung, die nicht widerspruchsfrei aufzulösen ist.

[1] Vgl. Fritz-Schubert, Schulfach Glück. Wie ein neues Fach die Schule verändert.

[2] Vgl. Klein, Die Glücksformel. Wie die guten Gefühle entstehen.

[3] Vgl. Schneider, Glück! Eine etwas andere Gebrauchsanweisung.

[4] Vgl. Seligmann, Der Glücks-Faktor. Warum Optimisten länger leben.

[5] Vgl. z.B. die "World Database of Happiness" an der Erasmus Universität Rotterdam.

[6] Adorno, Vorlesungen zur Ästhetik 1968/69, S. 7.

[7] Über den "ästhetischen Glücksbegriff" schreibt Seel: "Das Glück des Augenblicks ist radikal ein Glück hier und jetzt. Es ist ein herausgehobener Moment des Lebens, der nicht für das Ganze dieses Lebens steht. Natürlich können die Inhalte nahezu eines ganzen Lebens in diesem Moment eine Rolle spielen – wenn man etwa an die vorwiegend retrospektiven Glücksaugenblicke des Helden in Prousts A la rechereche du temps perdu denkt. Aber dies muss nicht so sein; der erfüllte Augenblick kann sich auch im rein Gegenwärtigen halten […]. Es kann einfach ein Augenblick des Heraustretens aus der Kontinuität des bisherigen und auch des bisher erwarteten Lebens sein. Er liegt dann in einer Abwesenheit von der Normalität des eigenen Lebens." (Seel, Versuch über die Form des Glücks, S. 105 f.) Für Adorno sind die Glückserfahrungen, die im Bestehenden möglich sind, grundsätzlich solche, die, ähnlich wie Seel mit Bezug auf Proust schreibt, erst in der Retrospektive als Augenblicke des Glücks erkannt werden. Aber auch der Aspekt des Heraustretens aus der Kontinuität und der Normalität des Lebens, den Seel im zweiten Teil des Zitats erwähnt, ist für Adorno unabdingbar für die Möglichkeit von Glückserfahrungen.

  • Preis: 4.00 €