Von: Stefan Bollinger, Ralf Hoffrogge, Simon Loidl, Helmut Meier, Gisela Notz, Michael Pesek, Axel Weipert
Reihe "Pankower Vorträge", Heft 189, 2014, 72 S.
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Zum Thema Erster Weltkrieg, "Urkatastrophe" und Widerstand fand am 14. Mai 2014 eine Konferenz der "Hellen Panke" e.V. – Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin statt. Die Projektleitung lag in den Händen von Dr. sc. phil. Stefan Bollinger, der auch die Publizierung der Beiträge initiierte und die Autoren konzeptionell betreute.
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AutorenInnen
Stefan Bollinger
Dr. sc. phil., Politikwissenschaftler und Historiker, Stellv. Vors. der "Hellen Panke" e.V., Berlin
Ralf Hoffrogge
Dr., Historiker, Berlin
Simon Loidl
Dr., Historiker, freier Publizist, Wien
Helmut Meier
Prof. Dr., Historiker, Leipzig
Gisela Notz
Dr., Historikerin, Berlin
Michael Pesek
Dr., Historiker, Gotha/Berlin
Axel Weipert
Dr. des., Historiker, Berlin
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INHALT
Stefan Bollinger
Weltkrieg und Widerstand
Eine Vorbemerkung
Stefan Bollinger
Weder "Schlafwandler" noch "Vaterlandsverteidiger"
Die Akteure 1914 in Verfälschung und Verklärung
Axel Weipert
Lokaler Widerstand gegen den Weltkrieg
Die Berliner Arbeiterbewegung 1914–1918
Gisela Notz
Frauen kamen ohne Waffen?!
Frauenbewegungen zwischen Mittäterschaft und Widerstand
Simon Loidl
Gehorsamsverweigerung – Der Matrosenaufstand von Cattaro
Michael Pesek
Afrika und der Erste Weltkrieg
Widerstand, Nationalismus und die Krise europäischer Herrschaft
Ralf Hoffrogge
Räteaktivisten in der Novemberrevolution
Richard Müller und die Revolutionären Obleute
Helmut Meier
Karl Heldmann – ein bürgerlicher Kriegsgegner im Ersten Weltkrieg
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LESEPROBE
Stefan Bollinger
Weltkrieg und Widerstand
Eine Vorbemerkung
Die "Helle Panke" wollte einen Kontrapunkt setzen – gegen ein mediales Großereignis, gegen die Umdeutung von Geschichte, gegen das Verschweigen und Diskreditieren des Widerstandes, der sich mühsam, letztlich aber nicht erfolglos gegen das Massensterben und die dafür Verantwortlichen formierte und wehrte. Sturzbäche von Büchern, Artikeln, Filmen prasseln auf den doch schon abgestumpften Interessierten ein. Je näher das Ereignis kommt, desto mehr Konferenzen suchen den wissenschaftlichen und geschichtspolitischen Extrakt der damaligen Ereignisse und des heutigen Umgangs mit ihnen. Wie einst auf den Schlachtfeldern wird nun auf Podien um Geschichtsdeutung gekämpft. Die "Helle Panke" setzte im Mai 2014 mit ihrer Konferenz "Erster Weltkrieg, 'Urkatastrophe' und Widerstand" dagegen auf eine kritische Geschichtsaufarbeitung. Denn der konservative Zeitgeist, zumal in der sich zu Normalität und Machtanspruch bekennenden Berliner Republik, zeigt Wirkung. Erfolgreich wurden die Erkenntnisse von Fritz Fischer wie von marxistischen, auch DDR-Historikern beiseite gewischt. Warum soll man heute über die sozioökonomischen Ursachen des Krieges, seinen imperialistischen Charakter, gar eine besondere Schuld Deutschlands nachdenken. Genau dafür brach Stefan Bollinger in seinem einleitenden Referat eine Lanze.
Das größte Phänomen aber war – dies ist für Linke desillusionierend – das Versagen der linken Parteien. Der Bruch in diesen in der Kriegsfrage und die Trennung zwischen staatstragenden, vermeintlich reformistisch-revisionistischen und Antikriegsaktivisten, letztlich oft revolutionären Kräften war die Folge. Dabei war dieses Umschwenken der Parteien – mit Ausnahme der Bolschewiki – ein Prozess, der in Parlamentsfraktionen und Vorständen begann. Vor allem setzte er nicht erst 1914 ein. Er hatte eine Vorgeschichte in der Hinwendung der Linken zu einer staatstragenden, staatgestaltenden Rolle, auch in der Frage der Landesverteidigung.
Aber linke Arbeiter gingen im Juli 1914 zu Hunderttausenden zu Protestkundgebungen. Bei aller Desorientierung durch die Politik ihrer Führer standen viele Organisierte und Unorganisierte gegen den Krieg. Die Konferenz brach das weitgehende Verschweigen des spontanen und noch mehr des organisierten Widerstands gegen den Krieg in der Heimat wie in den Armeen. Dabei erwies sich dies für organisierte Arbeiter, auch die Frauen, als schwierig, wie Gisela Notz herausarbeitete. Oft standen sie genau in diesem Konflikt zwischen der vaterlandsverteidigenden SPD und dem aktiver werdenden Widerstand gerade auch der Frauen. Am Beispiel der politischen Biografien etwa von Luise Zietz, Marie Juchacz oder Martha Arendsee mit ihren Präferenzen für USP, SPD und KPD wurde dies plastisch. Axel Weipert berichtete über die vielfältigen Formen des spontanen, zunehmend aber auch organsierten Widerstandes in Berlin. Er verwies auf die großen Streiks von 1916, 1917 und im Januar 1918 für Frieden und Brot. Diese Auseinandersetzungen kulminierten im Januarstreik 1918, den Revolutionäre Obleute und Spartakus organisierten, obwohl ihre Köpfe Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Clara Zetkin inhaftiert waren. Ähnliche Streiks gab es zur gleichen Zeit auch in Österreich-Ungarn. Simon Loidl aus Wien erinnerte an den Matrosenaufstand von Cattaro, der isoliert blieb und blutig niedergeschlagen wurde. Der aber vor allem heute aus dem politischen Gedächtnis gestrichen wurde. Michael Pesek erweiterte den Blick über den europäischen Horizont nach Afrika, das zum Kriegsschauplatz, aber auch zum Rekrutierungsort und Rohstofflieferanten gemacht wurde. Und wo sich oft spontan Widerstand gegen den Krieg der Kolonialherren regte. Ralf Hoffrogge spann schließlich den Bogen von den Streikaktionen über die hier besonders wirksamen Revolutionären Obleute jenseits der linken Parteien hin zu dem großen Umbruch gegen den Krieg, für eine vielleicht auch sozialistische Republik im November 1918. Helmut Meier reichte schließlich einen Beitrag ein, der sich auf den leider auch auf der Konferenz unterbelichteten bürgerlich-pazifistischen Widerstand bezieht.
Genau dieser Widerstand von unten wird ausgeblendet und verschwiegen, ihre radikalsten Vertreter wie Karl Liebknecht oder Rosa Luxemburg, ganz zu schweigen von den russischen Bolschewiki, als Antidemokraten und Wegbereiter des linken Totalitarismus denunziert. Bei wenigen findet sich zumindest der Hinweis auf eine durchaus kriegsgegnerische sozialdemokratische Mitgliedschaft und auf Intellektuelle, die oft spät lernten, dass sie fälschlicherweise für ein Totenfest gejubelt hatten. Karl Pipers Kulturgeschichte des Krieges bietet solche Ansätze (1), manche Erklärungen finden sich auch in Jörn Leonhards "Büchse der Pandora" (2). Um so fataler ist die Fülle der Untersuchungen zur Julikrise von durchaus renommierten Weltkriegshistorikern wie Gerd Krumeich, der etwa bei seinen 101 Fragen an den Krieg [3] nur sage und schreibe drei findet, die sich mit diesen unkriegerischen, friedensgebietenden Aktionen vornehmlich der Linken auseinandersetzt. Die Beiträge der Konferenz der "Hellen Panke" können nur ausgewählte Schlaglichter auf ein vernachlässigtes Thema des Ersten Weltkrieges werfen, das aber für das Selbstverständnis einer antimilitaristischen, friedensorientierten und antiimperialistischen Linke in ihrer Pluralität konstitutiv ist. Die Hoffnung auf einen schnellen Sieg war mit der Marneschlacht im September 1914 erledigt, der lange Grabenkrieg im Westen, bald auch im Osten und Süden begann. Nicht ruhmreiche Attacken erlebten die Soldaten, sondern Dreck, Scheiße, Leichen, Tod überall. In der Heimat hungerte die Zivilbevölkerung und selbst die Truppe, nicht die Offiziere, darbten. Obwohl Gewerkschaften und SPD ihren Burgfrieden geschlossen hatten, begann sich Widerstand zu rühren. Bei den Unorganisierten und anarchistisch eingestellten Arbeitern, bei unzufriedenen Sozialdemokraten. Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Clara Zetkin, Otto Rühle, Franz Mehring wurden in der SPD zu einem abtrünnigen Flügel, den die Parteiführung am liebsten rasch aus der Partei hinausgespaltet sehn wollte, mit vollem Verständnis für die Repressionshandlungen der Staatsmacht. Mühselig suchten sie einen Weg zu einer Alternative zunächst in der Partei, später mit Spartakus außerhalb ihrer Reihen. Eine wachsende Zahl unzufriedener Abgeordneter, die sich an Liebknecht ein Beispiel nahmen und 1915, 1916, 1917 immer offener die Kriegskredite ablehnten, zunächst durch Fernbleiben von den Abstimmungen oder Stimmenthaltungen, schließlich durch Gegenstimmen. Letztlich brachen sie im April 1917 mit der SPD und gründeten die USPD.
Vor allem aber handelten Arbeiter, oft zuerst die Frauen, die aufbegehrten und Streikwellen auslösten. Sie nahmen ernst, was Karl Liebknecht auf den Punkt brachte: "Der Hauptfeind jedes Volkes steht in seinem eigenen Land! Der Hauptfeind des deutschen Volkes steht in Deutschland: der deutsche Imperialismus, die deutsche Kriegspartei, die deutsche Geheimdiplomatie. Diesen Feind im eigenen Lande gilt's für das deutsche Volk zu bekämpfen, zu bekämpfen im politischen Kampf, zusammenwirkend mit dem Proletariat der anderen Länder, dessen Kampf gegen seine heimischen Imperialisten geht."[4]
Die Arbeiterbewegung war im August 1914 durch die Vaterlandsverteidiger fast aller sozialdemokratischen Parteien gespalten worden. Den Krieg zu beenden und seine Ursachen ein für alle Mal zu beseitigen war für viele der Linken, am radikalsten zunächst nur bei den Bolschewiki Lenins, allein durch eine Revolution zu erreichen. Sie sollte kommen und war alsbald Gegenstand nicht nur der Auseinandersetzung mit den attackierten herrschenden Klassen, sondern auch ein Bruderkampf der nun getrennt ziehenden, alsbald aufs Blut verfeindeten Linken.
[1] Siehe Karl Piper: Nacht über Europa. Kulturgeschichte des Ersten Weltkriegs. Berlin 2013.[2] Siehe Jörn Leonhard: Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs. München 2014.
[3] Siehe Gerd Krumeich: Der Erste Weltkrieg. Die 101 wichtigsten Fragen. München 2014.
[4] Karl Liebknecht: Der Hauptfeind steht im eigenen Land! Flugblatt. Mai 1915. In: Ders.: Gesammelte Reden und Schriften. August 1914 bis April 1916. Bd. VIII. Berlin 1982, S. 229 f.