Politik im Gespräch
Knapp ein Jahr ist die letzte Parlamentswahl in der Türkei her. Seitdem bestimmen die Türkei bzw. das deutsch-türkische Verhältnis die hiesigen Nachrichten: Krieg in den kurdischen Gebieten im Südosten des Landes, Bombenanschläge des IS, Prozesse gegen kritische JournalistInnen, die Diskussion um das Böhmermann-Schmähgedicht, der Umgang mit der Armenienresolution des Deutschen Bundestags, der Flüchtlingsdeal zwischen EU und Türkei, der Putsch und die darauffolgenden Reaktionen der Erdogan-Regierung und zuletzt der Einmarsch des türkischen Militärs in den Norden von Syrien.
In der deutschen Öffentlichkeit wird über die Türkei aber vor allem aus dem Blickwinkel berichtet, was das dortige Geschehen für Deutschland bedeuten könnte. Zu viel ist zu schnell hintereinander passiert und kann nicht richtig eingeordnet werden und unkommentiert stehen bleiben. Deshalb wollen wir über die aktuelle politische und menschenrechtliche Situation in der Türkei sprechen mit:
Deniz Yücel (Türkei-Korrespondent der Welt und Buchautor) und
Dilay Yalcin (Medienexpertin, Istanbul)
Moderation: Fabian Kunow
Einlass: 19:30 Uhr, Beginn 20:00 Uhr
Zur Verhaftung Deniz Yücel (Fabian Kunow)
Seit einer Woche sitzt der Türkei-Korrespondent der "Welt" und Buchautor Deniz Yücel in Polizeigewahrsam in Istanbul. Am 5. Oktober 2016 hatten wir ihn auf einer Abendveranstaltung im Kreuzberger Club SO36 auf dem Podium. Thema des Abends war: Was passiert gerade in der Türkei? Podiumsgespräch zur politischen und menschenrechtlichen Situation. Die Bierbänke im SO36 waren bis auf den letzten Platz gefüllt, schrieb die TAZ am nächsten Tag in einem Bericht. Die Besuchenden wurden nicht enttäuscht, denn Deniz Yücel tat, was er hervorragend kann: anschaulich berichten, was er selbst erlebt und mit eigenen Augen gesehen hat. So war er als einziger deutschsprachiger Journalist vor Ort, als nach dem niedergeschlagenen Putsch Recep Tayyip Erdoğan am Istanbuler Flughafen auftauchte und von einer frenetisch jubelnden Menge empfangen wurde.
Wir hatten unsere beiden damaligen ReferentInnen eingeladen, weil wir nicht irgendwelche Türkei-Experten sprechen lassen wollten, die im Ausland sitzen und ihre Informationen vor allem über das Internet oder persönliche Kontakte beziehen. Wir wollten Referierenden zuhören, die uns in Berlin Lebende direkt aus dem Leben im Ausnahmezustand berichten, über die Widersprüche, die Absurditäten und über das, was uns unbekannt und mitunter schwer vorstellbar ist. Genau das tat Deniz Yücel an diesem Abend und schoss dabei auch mehre Spitzen auf unsere Moderation ab. In seinen Ausführungen fand Deniz Yücel aber auch lobende Worte für die türkische Gesellschaft, die mehre Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufnahm, ohne dass es, anders als in Deutschland, zu größeren Protesten aus der Bevölkerung kam.
Wir hoffen und fordern, dass Deniz Yücel das, was er am besten kann, bald wieder tun kann, ob in der Zeitung oder auf einem Podium!
Vermutlich ist es den Verantwortlichen in der Türkei egal, was ein linker Bildungsverein aus Berlin fordert. Deshalb appellieren wir an die hiesige Öffentlichkeit sowie die Bundesregierung, sich einzusetzen, wenn in der Türkei ein bekannter kritischer Journalist hinter Gittern verschwindet. Selbstverständlich dürfen auch die anderen hunderte Journalistinnen und Journalisten sowie Politikerinnen und Politiker der HDP nicht vergessen werden, die ebenfalls in türkischen Gefängnissen sitzen.
Auf dem Twitter- sowie Facebook-Account von Deniz Yücel kann sich regelmäßig informiert werden.