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Heft 123: Ein „rot-grünes“ Deutschland?

Über eine Vision Wolfgang Harichs 1989/90

Von: Alexander Amberger und Siegfried Prokop

Heft 123: Ein „rot-grünes“ Deutschland?

Reihe "hefte zur ddr-geschichte", Heft 123, 2011, 45 S., A5, 4 Euro plus Versand

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Reihe "hefte zur ddr-geschichte", Heft 123, 2011, 45 S., A5, 4 Euro plus Versand

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INHALT

Alexander Amberger
Die Wandlungen des ökologischen Harich
1. Biografische Skizze
2. Wolfgang Harich, der Club of Rome und die DDR
3. Der Stellenwert der Ökologie in Harichs Denken nach 1990

Siegfried Prokop
Wolfgang Harich in und nach der Wende
1. Die Grüne Partei der DDR und die deutsche Frage
2. Die „Brecht-Ehrung“ am 29. Mai 1994

Anlage 1:
Beendigung der Tätigkeit der Alternativen Enquêtekommission.
Rechenschaftsbericht der Alternativen Enquêtekommission Deutsche Zeitgeschichte (AEK) am 20. März 1996

Anlage 2:
Die Alternative Enquêtekommission "Deutsche Zeitgeschichte" (AEK), die Ostdeutschen Verbände und die GBM

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LESEPROBE

Alexander Amberger
Die Wandlungen des ökologischen Harich
1. Biografische Skizze

Liest oder hört man heutzutage den Namen Wolfgang Harich, so hat dies meist mit seiner Rolle als oppositioneller Gegenspieler Walter Ulbrichts im Jahre 1956 zu tun. Seltener stolpert man über seinen Namen im Zusammenhang mit dem ökologischen Diskurs oder mit seinem Engagement für eine sachlichere Beurteilung der DDR in der Geschichtsschreibung des wiedervereinten Deutschlands. So gut wie gar nicht nimmt man mehr seinen Einsatz für Jean Paul und Ludwig Feuerbach wahr, oder seinen Kampf gegen eine Nietzsche-Renaissance in der DDR oder, oder, oder.

Man sieht, Wolfgang Harich war ein vielseitiger Philosoph, der auch den Schritt aus dem Elfenbeinturm heraus in die nüchterne Realität nicht scheute. Vielleicht liegt dies auch an seiner Biografie mit ihrem Wechselbad zwischen Erfolgen und harten Rückschlägen. Geboren wurde Harich am 9. Dezember 1923 in Königsberg in einem bildungsbürgerlichen Hause. Seine Familie zog nach Neuruppin und von dort aus dann nach Berlin, wo der junge Wolfgang Harich zu Beginn der vierziger Jahre bereits ein Interesse für Philosophie entwickelte. Um 1942 herum stieß er auf Lenins Schrift „Materialismus und Empiriokritizismus“, für die er sich begeisterte.[1] Im gleichen Jahr wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Zwei Jahre später desertierte er und schloss sich einer Berliner Widerstandsgruppe an. Er wurde von den Nazis nicht entdeckt und versteckte sich Anfang Mai 1945 in Wilmersdorf. Dort wurde er kurz vor der endgültigen Befreiung Deutschlands von Wolfgang Leonhard aufgesucht, der ihm im Auftrag Walter Ulbrichts anbot, die Nachkriegsverwaltung für den Stadtbezirk zu übernehmen. Harich lehnte die Bitte ab, bat aber darum, stattdessen im kulturellen Bereich tätig werden zu dürfen.[2] Der Bitte wurde stattgegeben und Harich startete eine steile Karriere in der SBZ/DDR: Er trat im Februar 1946 der KPD bei und wurde bald SED-Mitglied. Zugleich studierte er Philosophie und Literaturwissenschaften, wurde anschließend Dozent an der Humboldt-Universität Berlin und promovierte dort 1951 über Johann Gottfried Herder.[3] Nur ein Jahr später wurde er im Alter von 29 Jahren Professor für Philosophie an der HU und Lektor im Aufbau-Verlag. Gemeinsam mit Ernst Bloch gründete er die „Deutsche Zeitschrift für Philosophie“ und wurde deren Chefredakteur.

1953 traten erste Spannungen zwischen Harich und der SED-Politik auf: Seine Vorlesungen über Hegel entsprachen nicht der Hegelkritik Stalins, was ihm eine Parteirüge einbrachte.[4] Den jungen Intellektuellen engten die Parteidoktrin und der kulturpolitische Kurs der SED zu sehr ein. Kein Wunder also, dass er nach dem XX. Parteitag der KPdSU (Februar 1956), auf dem Chruschtschow den Entstalinisierungskurs verkündete, auf mehr kulturelle und philosophische Freiräume hoffte. Harich verband mit dem Tauwetter außerdem die Hoffnung auf eine baldige deutsche Wiedervereinigung unter demokratisch-sozialistischen Vorzeichen. Er wünschte sich eine Entstalinisierung der DDR und einen Wahlsieg der SPD im kommenden Jahr in der BRD. Dann wäre eine schnelle Einheit realistisch, so sein Glaube.

Nach dem XX. Parteitag der KPdSU kam es auch in der DDR zu Veränderungen im politischen Gefüge. Es waren vor allem die Intellektuellen, die Kritik an der SED-Führung wagten. Neben führenden Köpfen wie Bloch oder Bertolt Brecht fing auch Harich an, Forderungen nach der Überwindung von Dogmatismus und Schematismus zu äußern. Dazu schrieb er einen Beitrag für die „Deutsche Zeitschrift für Philosophie“ mit dem Titel „Kleines Vademecum für Schematiker“, in dem 16 Thesen zur Überwindung des Dogmatismus präsentiert wurden.[5] Weiterhin erarbeitete er ein „Memorandum“ für den Botschafter der Sowjetunion, in dem diesem die Ablösung Ulbrichts vorgeschlagen wurde. Den Höhepunkt dieses Vorgehens stellt aber die „Plattform“ dar, das Programm der „Gruppe Harich“ vom Spätherbst 1956.

Die Geschehnisse rund um die „Gruppe Harich“ hat Siegfried Prokop in „1956 – DDR am Scheideweg“ Stück für Stück nachgezeichnet, insoweit dies noch möglich war. Manche Details werden sich wohl nicht mehr eindeutig klären lassen, zu widersprüchlich sind die Aussagen der Beteiligten. Jedenfalls machten sich Wolfgang Harich, Walter Janka und andere Intellektuelle aus dem Aufbau-Verlag Gedanken über eine Entstalinisierung in der DDR. Ihrer Meinung nach musste dazu Walter Ulbricht entmachtet werden. Sie agierten dabei unvorsichtig und weckten die Aufmerksamkeit Ulbrichts.

Dessen Stellung war nach dem XX. Parteitag der KPdSU ernsthaft in Gefahr. Seine Rückendeckung aus Moskau bröckelte und im Lande begehrten die Intellektuellen auf. Nach den Unruhen in Polen und der Tragödie in Budapest setzte Moskau jedoch wieder auf ihn. Nun musste er zur Machtsicherung nur noch einen Schlag gegen die aufmüpfigen Intellektuellen ausführen, wofür ihm die „Gruppe der Gleichgesinnten“ im Aufbau-Verlag und „Sonntag“ wie gelegen kam. Deren Mitglieder ließen trotz aller Warnungen nicht locker, sie waren innerhalb der aufmüpfigen DDR-Intelligenz bekannt und angesehen und zugleich verfügten sie nicht über so ein internationales Renommee wie z.B. Ernst Bloch. Ein Schauprozess gegen diese Kritiker würde das richtige Warnsignal an die Intelligenz sein, ohne zugleich Ulbricht und die DDR international ins Abseits zu manövrieren.

Weil Harich in diesem Prozess gegen seinen Mitverschwörer Walter Janka als Belastungszeuge auftrat und dabei die Namen der „Gleichgesinnten“ und deren subversive Pläne im Sinne der Anklage wiedergab, wurden die beiden zu lebenslangen erbitterten Gegnern. Harich sagte zwar nichts aus, was das MfS nicht schon vorher ermittelt hatte, aber Janka schrieb dennoch in seinen Erinnerungen über Harich: „Ohne seine Aussagen wäre die Staatssicherheit nicht imstande gewesen, eine einigermaßen überzeugende Anklage gegen mich und die anderen Mitangeklagten Just, Zöger und Wolf zu formulieren.“[6] Harich zeigte sich fortan geläutert. Man vernahm aus seinem Munde während des Prozesses und auch danach keine bösen Worte mehr gegen Ulbricht, und er stellte zudem seine Forderungen nach einer Demokratisierung der DDR ein.

Harich wurde 1964 aufgrund einer Amnestie vorzeitig aus der Haft entlassen (ursprünglich war er zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt worden). Eine Rückkehr an die Universität wurde ihm verwehrt, und die Möglichkeit zur Übersiedlung in die Bundesrepublik schlug er als überzeugter Kommunist aus.[7] Stattdessen nahm er eine Tätigkeit im Akademie-Verlag auf und beteiligte sich an der Herausgabe der Werke Ludwig Feuerbachs. Des Weiteren arbeitete Harich auf theoretischem Gebiet über Jean Paul, zu dem er später zwei Bücher in der BRD und eines davon auch in der DDR veröffentlichte.

Harich beschäftigte sich zudem mit tagespolitischen Problemen, mit globalen Entwicklungen und Fragen. Er zeigte Interesse an der Bewegung der Achtundsechziger im Westen und verfasste hierzu mit „Zur Kritik der revolutionären Ungeduld“ eine Streitschrift gegen deren anarchistischen Flügel. Harich bekannte sich darin zum etatistischen Weg zum Kommunismus, zur Notwendigkeit einer Übergangsphase, in der die Diktatur des Proletariats unumgänglich sei.

Daneben zeigte er schon zu Beginn der siebziger Jahre ein reges Interesse an ökologischen Fragen und verfolgte den Diskurs, der im Westen nach der Veröffentlichung der Berichte an den Club of Rome einsetzte. Harich wird deshalb nicht zu Unrecht „als erster Grüner der DDR“[8] bezeichnet. Sein Interesse für dieses Thema manifestierte sich 1975 in seinem Buch „Kommunismus ohne Wachstum?“. Darin setzte er sich mit der Möglichkeit und dringenden Notwendigkeit eines Wachstumsstopps auseinander, und er brachte sich auch wieder in die politische Praxis ein, indem er permanent auf führende SED-Politiker einzuwirken versuchte, damit die Partei sich dem Thema Umweltschutz endlich annehme. In den Akten der Birthler-Behörde finden sich hierzu zahlreiche Belege, z.B. das Protokoll eines Gesprächs, das Harich durch Androhung einer Zivilklage gegen die Redaktion der „Einheit“ erzwang. Ihm ging es dabei um einen Beitrag von Harry Nick in dieser Zeitung, der sich polemisch mit Harichs Thesen auseinandersetzte (ohne jedoch dessen Namen zu erwähnen). Das Gespräch mit führenden Redakteuren der „Einheit“ fand am 6. Januar 1977 statt. Harich brachte dabei zunächst seine Freude über dessen Zustandekommen zum Ausdruck. Er fragte, ob sein Buch wirklich so zu verstehen sei, „dass die sozialistischen Länder in der Einschränkung des Wachstums vorangehen sollten“? Ihm wurde diese Frage von allen Anwesenden bejaht. „Harich erklärte, er hätte das Buch heute sicher anders geschrieben; ihm sei es darum gegangen, eine attraktive Alternative zu schaffen zur ‚kapitalistischen Verschwendungssucht‘, wie Robert Jungk es formuliert habe […].“ Harich betonte, dass eine interne Studie zum Thema Wachstum in der DDR dringend notwenig sei. Aber: „Er sei sich völlig darüber im Klaren, dass man dies nicht publizieren könne – und das sei wohl auch einer seiner Fehler gewesen.“ Harich bat darum, als Ökologe ernst genommen zu werden und für die DDR an einer ökologischen Strategie mitarbeiten zu dürfen. Er suchte Wege aus seiner Isoliertheit und äußerte vor diesem Hintergrund, wenn man ihm „eine wichtigere Aufgabe stellen würde, so würde er diese mit Freuden lösen wollen. Er könne verstehen, dass er ‚nach außen hin‘ nicht mit Fragen des Wachstums betraut werden könne, weil es dann wohl heiße: ‚Honecker baut auf Nullwachstum‘. Er billige daher jeden Auftrag, den man ihm stelle; ausdrücklich hob er mehrfach hervor: ‚Ich bitte nur darum: Macht von mir Gebrauch!‘.“[9]

Seine Bemühungen trugen jedoch keine Früchte. Harich stieß auf taube Ohren, da die SED-Führung nach dem 8. Parteitag völlig andere Prämissen gesetzt hatte. Sie wollte mehr Wirtschaftswachstum, mehr Konsummöglichkeiten für die Bevölkerung und eine Annäherung an das materielle Lebensniveau der BRD-Bevölkerung erreichen.

Harich resignierte[10] und bat Erich Honecker um die Erlaubnis zur Ausreise in den Westen. Diese wurde prompt bewilligt. Er bekam bei dieser Gelegenheit auch seinen Doktortitel zurück. Zudem erhielt er eine Bescheinigung über seine Invalidität (für Rentenansprüche im Westen) und ein Langzeitvisum mit Beibehaltung der DDR-Staatsbürgerschaft.[11]

In der BRD versuchte er dann bei der entstehenden grünen Bewegung mitzumachen. Da aber SED-Kritiker wie Wolf Biermann oder Stefan Heym den Ruf Harichs beschädigten, konnte er nur bedingt Fuß fassen.[12] Auch wehrte er sich dagegen, im Westen die Rolle des Dissidenten zu übernehmen.[13]

Enttäuscht kehrte er bereits 1981 in die DDR zurück und saß dort zwischen den Stühlen: die SED-Kritiker um Robert Havemann, aus denen später der Kern der Bürgerrechtsbewegung hervortreten sollte, mochten ihn nicht, da er nicht mehr gegen die SED Stellung bezog. Die SED-Führung sah in ihm wiederum einen unbequemen Quälgeist, der sie mit seinen Vorstellungen zur Umwelt- und Kulturpolitik nervte. Harich durfte trotz des zurückgegebenen Doktortitels nicht wieder an der Universität tätig werden. Da er durch seine Invalidenrente ein kleines Einkommen hatte, zog er sich zurück und arbeitete zu Hause. Er hielt trotz aller Zurückgezogenheit weiterhin Kontakte zu Wissenschafts- und Kulturfunktionären wie Gregor Schirmer oder Klaus Höpcke aufrecht – zumindest bis zum Streit über eine Revision des Nietzsche-Bildes in der DDR.

Im Jahre 1990 wurde Harich endgültig rehabilitiert, das Urteil von 1957 wurde aufgehoben. Auch jetzt widersetzte er sich jeder Instrumentalisierung als Dissident. Er ließ sich auch nicht zu kritischen Äußerungen über einzelne SED-Politiker verleiten. Stattdessen bezeichnete er sich weiterhin als Kommunisten, und als solcher versuchte er die Geschichtsschreibung über die DDR zu beeinflussen. Hierzu engagierte sich Harich führend in der „Alternativen Enquete-Kommission Deutsche Zeitgeschichte“. Er trat in die „KPD Initiative“ ein, um 1994 in die PDS zu wechseln, nachdem er von nordkoreanischen Spenden an die KPD gehört hatte.[14] Am 15. März 1995 verstarb mit Wolfgang Harich ein Intellektueller voller Widersprüche.

Er wurde vom Bürgersohn zum Stalinisten, engagierte sich dann für die Entstalinisierung und mehr Meinungsstreit, um später wieder zum Fürsprecher des demokratischen Zentralismus zu werden. Er war kein Opportunist, aber auch kein bewusster Dissident. Er setzte sich Zeit seines Lebens für die deutsche Wiedervereinigung ein, kritisierte nach 1990 aber massiv deren realen Verlauf. Harich begrüßte die Politik Gorbatschows und dessen deeskalierendes Vorgehen, lehnte aber zugleich die westliche Art der Demokratie ab.

Harich saß zwischen den Stühlen. Da er sowohl zur der SED-Spitze als auch zu den Oppositionellen um Havemann (eine Ausnahme bildete hier der Philosoph Rudolf Schottlaender) und den Westmedien keine freundschaftlichen Bande pflegte, befand er sich häufig auf einsamem Posten. Umso erfreulicher muss für ihn die positive Resonanz gewesen sein, die er auf die Alternative Enquete-Kommission erfuhr.

 

[1] Vgl. Harich, Anne [2007], S. 60.
[2] Vgl. Leonhard [1996], S. 223 f., im Detail etwas anders bei: Prokop [1997], S. 33.
[3] Zu dieser Zeit war Harich ein überzeugter Stalinist. Seine Reiseberichte aus der Sowjetunion, die 1947 in der „Weltbühne“ erschienen, machen dies überdeutlich. Darin verneint er, dass es dort Zensur und Repressionen gegen Kulturschaffende gebe. Vgl. Heyer [2010b].
[4] Vgl. Harich, Anne [2007], S. 120.
[5] Vgl. Prokop [2005].
[6] Janka [1992], S. 339.
[7] Vgl. Harich, Anne [2007], S. 306 und S. 309.
[8] Prokop [1996], S. 22.
[9] Vgl. BStU, MfS, AP, Nr. 4578/71, Bd. 8, S. 243 ff.
[10] Vgl. Harich, Wolfgang [1979b].
[11] Vgl. Harich, Anne [2007], S. 182 f.
[12] Vgl. Harich, Anne [2007], S. 188 ff.
[13] Vgl. Prokop [1996], S. 22.
[14] Vgl. Prokop [1997], S. 173 f.

 

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