Donnerstag, 24. März 2011, 16:00 bis 21:00, Helle Panke, Kopenhagener Str. 9, 10437 Berlin

Sowjetrussland 1921 - Zwischen Kronstadt und NÖP, Rätemacht und Realpolitik

Die Mutter aller Krisen und Reformen und die verspielten sozialistischen Alternativen

Die Geschichte des Realsozialismus war die von Revolution und Aufbruch, von Krise und Konflikt. Die historisch ersten Weichen nach der Oktoberrevolution wurden in der Krise von 1920/21 gestellt, als die Bolschewiki im durch Krieg und Bürgerkrieg zerstörten Land mit einer unzufriedenen Arbeiterklasse und einer aufständischen Bauernschaft über den weiteren Weg des Revolution und des Sozialismus stritten und gleichzeitig ihre Macht zu behaupten suchten. Die Ereignisse mögen Geschichte sein. Wie Basisdemokratie, gesamtgesellschaftliche Machtstrukturen und wirtschaftliche Effizienz sozialistisch zu verbinden sind, das bleibt das Zentralproblem jeder sozialistischen Transformation.

Aus heutiger Sicht waren 1920/21 die Alternativen klar: Ein Weg der Revitalisierung der Sowjets ohne Bevormundung durch eine allmächtige Partei, wie dies die Aufständischen von Kronstadt versuchten, in dem sie basisdemokratisch und anarchistisch für eine "3. Revolution" stritten. Oder eine Wiederbelebung der Demokratie insbesondere in den Arbeitsbeziehungen als Grundlage für eine Überwindung der diktatorischen Verhältnisse, wie dies die Arbeiteropposition anstrebte. Schließlich der realpolitische Weg Lenins mit einer begrenzten Demokratie und einer Entdeckung von Ware-Geldbezeigungen, heute würden wir sagen Marktwirtschaft, für einen längeren Abschnitt des sozialistischen Wiederaufbaus. In der politischen Praxis war diese Entscheidung zwischen den Alternativen so einfach nicht. Trotzkis "Militarisierung der Arbeit" als schärfste Form der Diktatur wurde abgewehrt, Lenin setzte sich durch. Die Meuterer von Kronstadt wurden niedergeworfen, die NÖP Wirklichkeit und damit ein Ausgleich mit der Bauernschaft möglich und die Arbeiterklasse befriedet. Aber die Art der Niederwerfung der Kronstädter wie der rebellischen Bauern, nicht zuletzt das Fraktionsverbot in der KPR(B) sorgten dafür, dass sich bereits mittelfristig nicht die realpolitische Linie durchsetzen sollte sondern jene diktatorisch-repressive Linie des revolutionären Sturmlaufs die ab 1927/28 mit dem Namen Stalins verbunden sein sollte. Ein historisches Lehrbeispiel, aus dem wenig gelernt wurde.

Die Vergewisserung der Krise von 1920/21, ihrer Protagonisten, Konzepte, ihrer Ergebnisse und vor allem ihrer vielfältigen Widergänger bis 1989 ist für das Verständnis des gescheiterten Realsozialismus elementar und linke Politik auch heute elementar. Hier zeigten sich Leistungen wie Grenzen der Protagonisten und jene genetischen Fehler, die sechseinhalb Jahrzehnte später den Realsozialismus scheitern ließen.

Dies näher zu beleuchten, leistet einen Beitrag zu programmatischen Debatten der Linken wie zur Sicherung von Kenntnisse zur Geschichte des Realsozialismus als eines widersprüchlichen Prozesses mit Chancen und Irrwegen, einer Geschichte, die an ihrem Anfang noch offen war.

Die Tagung ist eine gemeinsame Veranstaltung mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg.

Mit Beiträgen von:

Dr. Stefan Bollinger: Die Mutter aller Reformen - die Nachwirkungen der NÖP bis zum Ende des Realsozialismus

Dr. Christoph Jünke: Sowjets ohne Bolschewiki - die letzte Chance für eine Rätedemokratie?

Dr. Ljudmila Bulavka: Soziales Schöpfertum der Massen und die Kulturrevolution. Widersprüche und Lehren der NÖP

Prof. Dr. Alexander Buzgalin: Markt und staatliche Regulierung, Lehren der NÖP

Prof. Dr. Karl-Heinz Gräfe: Offene Flanke Demokratie: Partei ohne Demokratie - Sozialismus ohne Demokratie?

Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg

Kosten: 3,00 Euro

Wo?

Helle Panke
Kopenhagener Str. 9
10437 Berlin