Geschichtspolitik in Osteuropa
Die Ukraine ist erinnerungspolitisch tief gespalten: Vor allem im Westen überwiegen antisowjetische/antirussische Motive. Angehörige der „Organisation Ukrainischer Nationalisten“ (OUN) bzw. der „Ukrainischen Aufständischen Armee“ (UPA) werden wegen ihres Kampfes gegen die Sowjetunion als nationale Helden betrachtet, Denkmäler des Nationalistenführers Stepan Bandera schießen aus dem Boden. Dessen zeitweilige Kollaboration mit den Nazis wird genauso ausgeblendet wie die mörderischen „ethnischen Säuberungen“ der UPA an der jüdischen und polnischen Bevölkerung Galiziens und Wolhyniens.
Der Holodomor, die unter Stalin aus politischen Gründen verschärfte Hungersnot von 1932/33 wird als „Genozid“ durch Russland dargestellt, der schlimmer gewesen sei als der Holocaust.
Anders als im Baltikum bleibt diese Politik in der Ukraine aber nicht unwidersprochen. Dabei verschieben sich die in Westeuropa vertrauten politischen Pole: Gemeinhin als „prowestlich“ eingestufte Kräfte relativieren den Holocaust und rehabilitieren Kollaborateure, während vermeintlich „antiwestliche“ Kräfte den Kampf gegen den Faschismus als historische Notwendigkeit verteidigen. Die Erinnerung an den Holocaust kommt indes auf beiden Seiten zu kurz.
Dieser „Krieg der Erinnerungen“ wird von den Regierungen gleich welcher Couleur angeheizt und instrumentalisiert. Von der Verschärfung des politischen Klimas profitiert vor allem die faschistische Swoboda-Partei, die 2012 erstmals in Fraktionsstärke ins Parlament einzog.
Referenten:
Georgij Kasianov, Institut für Geschichte an der Nationalen Akademie der Wissenschaften, Kiew
Grzegorz Rossolinski-Liebe, Freie Universität Berlin
Winfried Jilge, Institut für Slavistik, Universität Leipzig