Freitag, 23. Januar 2009, 18:00 bis Samstag, 24. Januar 2009, 0:00, Abgeordnetenhaus von Berlin, Niederkirchnerstr. 3-5, 10117 Berlin

Die Geburtsstunde der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie in Berlin 1918/19

Deutschlands Eintritt in die Moderne. Die ungeliebte Revolution 1918/19 und die Linke

VIII. Ständiges Kolloquium zur historischen Sozialismus- und Kommunismusforschung

Die deutsche Revolution von 1918/19 soll auf dem Kolloquium in die Geschichte der Umbrüche des 20. Jahrhunderts. Jahrhunderts gestellt werden. Die bürgerlich-parlamentarische Demokratie in Deutschland ist nicht zuletzt ein Ergebnis der revolutionären Massenkämpfe von 1918/19.
Ort: 23. Januar 2009: Helle Panke, Kopenhagener Str.. 9, 10437 Berlin
24. Januar 2009: Abgeordnetenhaus von Berlin, Niederkirchnerstr. 3-5, 10117 Berlin
Gemeinsam mit den Rosa-Luxemburg-Stiftungen in Berlin und Sachsen (Leipzig)

Andreas Diers hat einen Konferenzbeitrag in der Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung geschrieben (Nr. 78, Juni 2009, S. 205-209).

Karlen Vesper hat im ND einen Artikel geschrieben:

Demokratische Geburtswehen. Notizen von einer Konferenz über die Novemberrevolution.

Karlen Vesper

Justement, als der Leipziger Geschichtsprofessor Werner Bramke die deutsche Revolution von 1918/19 eine »Marneschlacht der Weltrevolution« nannte, drang durch ein angeklapptes Fenster in den voll besetzten Saal in der Kopenhagener Straße in Berlin der Lärm von Böllerschüssen. Die deutsche Hauptstadt läutete das chinesische Jahr des Stieres mit grandiosem Feuerwerk ein.

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen und der Berliner Bildungsverein »Helle Panke« hatten zu einer zweitägigen Konferenz geladen, um die »ungeliebte Revolution« zu würdigen, die Deutschlands Eintritt in die Moderne markiert und Geburtsstunde der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie war. Klaus Kinner, Geschäftsführer der sächsischen Stiftung, eröffnete mit der nicht unumstrittenen These, die Revolution im hoch industrialisierten Deutschland mit einer gut organisierten Arbeiterbewegung hätte die Leitrevolution im 20. Jahrhundert sein können. Der russische Oktober von 1917 wäre somit also seines einst in der sowjetischen und osteuropäischen Geschichtsschreibung zugewiesenen extraordinären Ranges beraubt. Den alten Streit, ob es sich bei der Novemberrevolution um eine bürgerlich-demokratische oder schon fast proletarische gehandelte habe, umging Kinner, in dem er von einer »Volksrevolution« sprach. Für Günter Benser (Berlin) war der deutsche November eine Revolution, »die den einen zu weit, den anderen nicht weit genug ging«.

Michael Buckmiller aus Hannover wiederum sah durchaus Chancen zur Verwirklichung eine radikaleren Demokratie gegeben. Eine andere Welt war möglich. Dass die aus dem spontanen Handeln vorwiegend proletarisierter Massen erwachsene Weimarer Republik eine Demokratie ohne Demokraten blieb, so Buckmiller, sei der unterlassenen Entmachtung der alten Eliten in Heer und Verwaltung zuzuschreiben. Durch das Bündnis von Noske, Ebert und Scheidemann mit den alten Kräften konnte aus der Revolution die Konterrevolution erwachsen. Die Freikorps nannte er Vorläufer der SA.

Ralf Hoffrogge (Berlin) sah das eigentliche Dilemma darin, dass die »angepasste Mehrheitssozialdemokratie nicht mehr in der Lage war, Revolution zu denken, geschweige denn zu führen«. Bramke wandte ein, die Unterlassungssünden von 1918/19 hätten nicht zwangsläufig zum Faschismus führen müssen. »Es gab stets Alternativen.« In die Januartage 1919 datiert Benser den tiefen (bis heute spürbaren) Graben zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten. Ein Fehler der Kommunisten und der späteren DDR-Geschichtsschreibung sei es gewesen, die erste deutsche Republik nicht – »wie sie es verdient hätte« – geschätzt zu haben, auch als Ausgangsbasis für den Kampf um mehr Demokratie. Elke Reuter (Berlin) glaubt in der heutigen LINKEN noch Kräfte, die der bürgerlich-parlamentarische Demokratie skeptisch gegenüber stünden. Sie forderte die Aufnahme eines linksrepublikanischen Projektes. Zuvor hatte sie rekapituliert, mit welch fatalem zeitlichen Verzug, erst ab 1935, die KPD nicht nur die »Sozialfaschismus«-These aufgebrochen, sondern auch eine klare Unterscheidung zwischen unterschiedlichen bürgerlichen Herrschaftsformen vorgenommen und ein positiveres Verhältnis zur parlamentarischen Demokratie gewonnen habe. Über einen für die Kommunisten psychologisch sicher schmerzhaften Strategiewechsel im Zweiten Weltkrieg sprach Gerald Diesener (Leipzig). Im 1943 in der Sowjetunion gegründeten Nationalkomitee »Freies Deutschland« arbeiteten sie nun mit Vertretern des Standes zusammen, der zuvor ihr erbittertster Feind war. In der Agitation von Wehrmachtsoffizieren habe Walter Ulbricht gar die alten Generale Hindenburg und Ludendorff positiv bewertet: Sie hätten im Herbst 1918 eingestanden, dass der Krieg verloren sei.

Ottokar Luban beklagte die bis in die 60er Jahre währende Ignoranz der etablierten westdeutschen Historiografie gegenüber der Novemberrevolution. Nunmehr sei wieder ein Rückfall in überwunden geglaubte Missachtung wie Stigmatisierungen zu registrieren. Der Westberliner betonte: Es drohte 1918/19 keine »bolschewistische Diktatur«, vor der die SPD die deutsche Nation angeblich gerettet habe, und es gab im Januar 1919 auch keinen »Spartakusputsch«.

Es ist bezeichnend, dass die heutige SPD kein Wort zur Revolution vor 90 Jahren verliert. Sie zieht es statt dessen vor, »weiter mit der Lüge zu leben«, wie Uwe Soukup deren Verweigerung eines Eingeständnisses von Schuld und Verantwortung für die Morde vom Januar bis März 1919 nennt. Selbst deren Historische Kommission hüllt sich in Schweigen. Nur die Linkspartei und ihr nahestehende Wissenschaftler bemühen sich ernsthaft um neue Sichtweisen. Sie haben sich als einzige im Jubiläumsjahr der »ungeliebten Revolution« angenommen. Sogar die bürgerliche Parteien ignorieren die Geburtsstunde der ersten deutschen bürgerlichen Demokratie.

Am zweiten Konferenztag im Berliner Abgeordnetenhaus bedankte sich der Geschäftsführer der LINKEN Dietmar Bartsch bei den Geschichtsaktivisten für ihre Arbeit, die wiederum seinen Satz, »Historiker sind keine Parteisoldaten«, mit zustimmendem Nicken repektive Schmunzeln quittierten. Es ist einzigartig und fast heroisch zu nennen, dass der Berliner Landesvorsitzende Klaus Lederer es sich nicht entgehen ließ, der zweitägigen Diskussion von Anfang bis Ende beizuwohnen. Er gehört offenbar zur seltenen Spezies von Politikern, die Geschichte nicht nur für ihre Sonntagsreden entdecken. Dankbar griff er Buckmillers Mahnung auf, von 1918/19 zu lernen, was geschehen könne, wenn eine politische oder soziale Bewegung ohne Kompass unterwegs sei. Der Professor aus Hannover hatte zudem explizit vor Realpolitik gewarnt, die auf stetig neue marxistisch-kritische Analyse verzichte.

Lederer fiel die undankbare Aufgabe zu, das letzte Referat zu halten, das »kein »Schlusswort« sei, »da es für geschichtspolitische Debatten ein solches nicht gibt«. Ob seine Bemerkung, »1918 hat die Sozialdemokratie von Ludendorff den Betel hingeworfen bekommen und den bankrotten Laden übernommen«, auf die Bankrotteurs-Politik des Schröder-Kabinetts mit den bekannten Folgen für die SPD oder auch auf Probleme einer Rot-Roten-Landesregierung anspielte, kann nur vermutet werden.

Podiumsteilnehmer am Freitag: Prof. Dr. Werner Bramke, Prof. Dr. Günter Benser, Prof. Dr. Michael Buckmiller, Dr. Klaus Lederer - Moderation: Prof. Dr. Klaus Kinner
Referenten am Sonnabend: Prof. Dr. Günter Benser, Prof. Dr. Werner Bramke, Prof. Dr. Michael Buckmiller, Dr. Gerald Diesener, Ralf Hoffrogge, Prof. Dr. Klaus Kinner, Dr. Klaus Lederer, Prof. Dr. Siegfried Lokatis, Ottokar Luban, Dr. Elke Reuter, Dr. Monika Runge, Dr. Dietmar Bartsch - Moderation: Dr. Wladislaw Hedeler
Kosten: Eintritt: 1,50 Euro (Frtg), 5 Euro (So)

Wo?

Abgeordnetenhaus von Berlin
Niederkirchnerstr. 3-5
10117 Berlin