100 Jahre Russische Revolution
DOCH DER MENSCH ÄNDERT SICH LANGSAMER, ALS ER DIE WELT VERÄNDERT. GENAU DARIN BESTEHT DAS ZENTRUM DER TRAGÖDIE.
Andrej Platonov, Über die erste sozialistische Tragödie, 1934
Wie kaum ein anderer Schriftsteller erfasste Andrej Platonov (18991951) in seinem Werk die Widersprüche des ersten sozialistischen Staates, der Sowjetunion. Die Kritik war so tiefgehend, dass die meisten seiner Bücher erst während der Perestroika oder nach dem Ende der Sowjetunion erscheinen konnten.
Nahezu unbekannt ist, dass Platonov ein ökologischer Prophet war. Anfang der 1920er Jahre nahm er als Ingenieur für Bewässerung und Elektrifizierung am Aufbau des Landes teil und setzte sich schon damals für die Nutzung der Sonnenenergie ein. Er war davon überzeugt, dass man in der jungen Sowjetunion eine neue Wirtschaft errichten muss, die die natürlichen Ressourcen schont. Eine ökologische Katastrophe, so Platonov, lasse sich nur verhindern, wenn fossile Brennstoffe durch regenerative Energien ersetzt werden und der Mensch ein neues Bewusstsein erlangt.
Der Schriftsteller hat die gewaltigen ökologischen Probleme, vor denen wir im 21. Jahrhundert stehen, vorhergesehen und erstaunlich aktuelle Ansätze zu ihrer Überwindung aufgezeigt. Platonovs hochaktuelles ökologisches Denken durchzieht sein gesamtes literarisches Werk. Die Utopie vom Aufbau einer neuen Gesellschaft fällt beim Sozialisten Platonov mit der ökologischen Utopie zusammen.
Der Vortrag von Michael Leetz unternimmt den Versuch, diesen bisher kaum erschlossenen Aspekt im Schaffen des Schriftstellers zu erhellen. Im Mittelpunkt steht der Schlüsseltext "Über die erste sozialistische Tragödie". Er ist Platonovs Warnung: vor der Zerstörung von Mensch und Natur durch die Stalinsche Industrialisierung in seiner Gegenwart, und vor einer globalen ökologischen Katastrophe in der Zukunft.
Referent: Michael Leetz
Moderation: Dr. Alexander Amberger