Philosophische Gespräche
Der (oft bloß imaginierte) Vorwurf einer Kollektivschuld der Deutschen für die Taten des Dritten Reichs hat ein erstaunliches Beharrungsvermögen in der politischen Kultur Deutschlands bewiesen und zwar aus drei sehr unterschiedlichen Gründen: Erstens, weil der Vorwurf durchaus treffend ist. Zweitens, weil der Topos zur empörten Abwehr und zur Exkulpation großer Teile der deutschen Bevölkerung bezüglich ihres Engagements im NS diente. Drittens, weil er dazu verwendet wurde und wird, um durch seine Akzeptanz eine selbstbewusste nationale Schuldgemeinschaft zu konstituieren, die ihre eigenen Verbrechen als Argumente für zukünftige Machtansprüche verwenden kann.
Alle drei Aspekte sind in den zugleich hellsichtigen und fragwürdigen Vorlesungen von Karl Jaspers zur "Schuldfrage" (1946) wiederzufinden. Sie eignen sich daher nicht nur, um einen philosophisch sinnvollen Begriff moralisch-politischer Kollektivschuld zu erarbeiten, sondern auch, um zu zeigen, wie ein politischer Existentialist das theoretische Fundament für einen kollektiv-narzisstischen deutschen Aufarbeitungsstolz legen konnte.
Referent: Dr. Ingo Elbe ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Privatdozent am Institut für Philosophie der Universität Oldenburg. In seinem zuletzt erschienenen Buch "Paradigmen anonymer Herrschaft. Politische Philosophie von Hobbes bis Arendt" untersucht er theoretische Analysen der strukturellen Herrschaftsverhältnisse im modernen Kapitalismus sowie ihrer regressiven Verarbeitungsformen in faschistischen und antisemitischen Ideologien.
Moderation: Dr. Christoph Hesse
Eine Veranstaltung in Kooperation mit dem Institut für Sozialtheorie Bochum e.V.