Philosophische Gespräche
Eine der Konsequenzen des praktizierten Sozialdarwinismus im Dritten Reich war, dass man nach 1945 zumindest im deutschsprachigen Raum die auf die Gesellschaft angewandte Evolutionstheorie vor allem mit ihrer eugenischen Stoßrichtung eindeutig und nachhaltig dem rechten Spektrum der ideologischen Lager zuordnete. Dabei geriet zunehmend aus dem Blick, dass es auch emanzipatorische Strömungen im europäischen Kontext gab, die Darwin und seine Evolutionstheorie zustimmend rezipierten. Das war z.B. bei den britischen Naturwissenschaftlern und Marxisten John Burdon, Sanderson Haldane und John Desmond Bernal der Fall, wie deren einschlägige posthumanistische Schriften in der Zwischenkriegszeit zeigen. Welche Argumente brachten sie vor, um sich einerseits mit Darwin gegen den Sozialdarwinismus abzusetzen und anderseits den technisch aufgerüsteten Neuen Menschen in das sozialistische Erbe zu integrieren? Die zweite Frage ist, wie sie das Problem der Vereinbarkeit von Solidargemeinschaft als Signum des Sozialismus mit dem Aggressionspotenzial der Evolution im Dienste der Selbsterhaltung des Individuums und der Art begründeten. Inwiefern Haldane und Bernal das Darwinsche evolutionstheoretische Paradigma nicht nur erweitert, sondern es möglicherweise in seinem Kern destruiert haben, ist die Stoßrichtung der dritten Frage. Abschließend geht es um eine Bestandsaufnahme, die eine kritische Reflexion der hier behandelten Positionen mit einschließt.
Referent: Prof. Dr. Richard Saage